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Ehemaliger THW-Präsident: "Habe sowas in Deutschland noch nicht erlebt"


Flutkatastrophe
Ex-THW-Präsident: "Habe sowas in Deutschland noch nicht erlebt"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

16.07.2021Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Eingestürztes Haus in Erftstadt: Katastrophenschutzexperte Albrecht Broemme warnt, zu früh in sein Haus wieder zurückzukehren.Vergrößern des Bildes
Eingestürztes Haus in Erftstadt: Katastrophenschutzexperte Albrecht Broemme warnt, zu früh in sein Haus wieder zurückzukehren. (Quelle: David Young/dpa-bilder)

Welche Maßnahmen müssen in der Flutkatastrophe jetzt ergriffen werden? Albrecht Broemme hat bereits viele Krisen miterlebt. Er fürchtet, dass der Einsatz noch lange dauern wird.

Wenn es einen Notfall gibt, ist Albrecht Broemme in der Regel zur Stelle. Anfang der Neunziger leitete er die Berliner Feuerwehr, später stand er 13 Jahre an der Spitze des Technischen Hilfswerks. 2019 wurde er in den Ruhestand verabschiedet, allerdings hatte er schnell eine neue Aufgabe gefunden. Während der Corona-Pandemie war er für die Errichtung eines Notfall-Krankenhauses für Covid-Patienten in Berlin verantwortlich, Ende des Jahres wurden unter seiner Leitung die Impfzentren der Hauptstadt errichtet.

Trotz all seiner Erfahrung ist auch Broemme von dem Ausmaß der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz überrascht. Im Gespräch mit t-online erläutert er, welche Aufgaben und Gefahren die Rettungskräfte gerade meistern müssen, wie lange der Einsatz noch dauern wird und wie solche Katastrophen in Zukunft verhindert werden könnten.

t-online: Herr Broemme, Sie waren 13 Jahre Präsident des Technischen Hilfswerks und haben etliche Katastrophen miterlebt. Haben Sie jemals solche extremen Hochwasser in Deutschland gesehen?

Albrecht Broemme: Ja, allerdings nicht auf so einer großen Fläche und an mehreren Orten gleichzeitig. Ähnlich dramatisch war etwa das Hochwasser in Braunsbach in Baden-Württemberg vor fünf Jahren. Dass solche Katastrophen enorme Schäden anrichten können, ist nichts Neues. Aber in dieser Form habe ich so etwas in Deutschland noch nicht erlebt.

Die Wetterprognosen gehen davon aus, dass zumindest keine neuen Regenmassen dazukommen. Was sind in einem solchen Moment die wichtigsten Aufgaben der Rettungskräfte?

Das Wichtigste ist dafür zu sorgen, dass sich keine weiteren Menschen gefährden. Dafür müssen wohl weitere Häuser evakuiert werden. Denn viele Gebäude sind einsturzgefährdet. Auch an Stellen, wo Talsperren noch überlaufen könnten, muss das zumindest vorbereitet werden. Daneben suchen die Rettungskräfte so lange nach Vermissten, bis jedes einzelne Schicksal geklärt ist. Gleichzeitig muss die Infrastruktur wiederaufgebaut werden: Wenn etwa Umspannwerke unter Wasser stehen, kann es lange dauern, bis der Strom wieder da ist. Straßen und Brücken müssen möglichst wieder befahrbar gemacht werden. Auch die Wiederherstellung des Mobilfunknetzes ist eine wichtige Aufgabe.

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Im Kreis Ahrweiler heißt es, dass die Suche nach Vermissten erschwert wird, weil niemand auf dem Handy erreicht werden kann. Insgesamt soll bei 165.000 Menschen der Strom ausgefallen sein. Wie sehr beeinflusst das die Arbeit der Rettungskräfte?

Wir benutzen zwar unsere Handys, aber auch den Digitalfunk gemeinsam mit Polizei und Feuerwehr. Das Netz ist besser gesichert und hat eine Notstromversorgung. Unsere Kommunikation funktioniert also meistens, wenn alle anderen Netze bereits streiken. Ohne Strom bricht in der Regel auch das Handynetz nach etwa drei Stunden zusammen, genauso wie das Festnetz.

Wo liegt aus Ihrer Sicht im Moment die größte Gefahrenquelle?

Der Katastrophentourismus behindert jeden Einsatz: Viele Leute kommen einfach vorbei, um zu schauen, was gerade passiert und bringen sich dadurch in Gefahr. Das ist leider bei jeder Lage zu beobachten. Aber es gibt auch mit Anwohnern häufig Probleme. Viele wollen ihre Häuser vorschnell wieder betreten, obwohl noch Einsturzgefahr herrscht.

Aktuell wird auch darüber berichtet, dass in der Stadt Stolberg bei Aachen die Trinkwasserversorgung kritisch ist. Wie gefährlich ist das für die Bevölkerung?

Es kann zu Erkrankungen durch verseuchtes Wasser kommen, deshalb muss auch hier schnell reagiert werden. Betroffene sollten das Wasser abkochen.

Wie lange werden die Rettungskräfte noch mit diesem Einsatz beschäftigt sein?

Allein die groben Aufräumarbeiten werden Wochen dauern. Wenn das ganze Wasser dann abgepumpt ist, kommen weitere Probleme dazu. Denn der Schlamm darunter muss danach schnell weg. Ansonsten härtet er aus wie Beton.

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Für die Einsatzkräfte bedeuten solche Katastrophen Schwerstarbeit. Hat Deutschland für solche Krisen überhaupt genug Personal?

Man hat nie genug Leute, das gilt für alle Dienste gleichermaßen. Bei solch großen Lagen sind allerdings nicht nur die örtlichen Kräfte gefordert. Häufig gibt es Ablösungen aus anderen Regionen. Gerade eine solche Krise führt aber häufig dazu, dass sich wieder mehr Menschen engagieren wollen.

Dennoch wird befürchtet, dass solche Katstrophen in Zukunft häufiger eintreten könnten. Braucht es eine neue Strategie?

Wir müssen uns viel stärker um die Prävention kümmern. Es darf nicht immer nur um Schadensbegrenzung gehen. Man muss sich ein genaueres Bild über potenzielle Überflutungsgebiete machen. Auch müssen längerfristige Einsätze geplant werden. Man darf nicht sofort alle Kräfte gleichzeitig losschicken, sodass keine Ablösungen mehr möglich sind.

Gehört nicht auch ein besseres Frühwarnsystem dazu? Viele Wetterdienste hatten vor starken Regenfällen gewarnt, dennoch scheinen die Informationen nicht bei jedem angekommen zu sein.

Es gibt immer noch Lücken. Nicht jeder hat zum Beispiel eine Frühwarn-App auf seinem Handy installiert. Ich bedauere es auch, dass man die Warnsirenen in Deutschland abgebaut hat. Damit konnte man am einfachsten die Menschen wachrütteln.

Falls ich mich rechtzeitig informiert habe: Kann ich mich überhaupt auf eine solche Katastrophe vorbereiten?

Jeder sollte prüfen, wie das Haus versichert ist. Mit einer Elementarversicherung werden alle Schäden am Haus beglichen. Bei leichten Überflutungen sollte man sich bereits im Vorfeld um Sandsäcke kümmern, damit etwa der Keller nicht vollläuft. Allerdings haben wir gerade Bilder gesehen von Häusern, die bis zu sechs Meter tief im Wasser standen. Da helfen auch die besten Vorkehrungen nicht mehr. Man muss sich fragen: Wie lassen sich etwa Flächen entsiegeln? Wo lässt sich das Hochwasser auffangen? Dadurch könnte man verhindern, dass das Wasser unkontrolliert durch die Ortschaften rauscht.

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Haben die Kommunen also ihre Bevölkerung nicht ausreichend geschützt?

Dafür sind noch Untersuchungen notwendig. Es gibt sicherlich mehrere Ursachen, warum der Regen so große Schäden angerichtet hat. Aber wenn das Wasser nicht ablaufen kann, ist der Schaden größer. Stattdessen können Regionen Überflutungsgebiete festlegen, wo Wassermassen gezielt aufgefangen werden. Trotzdem wird es solche Bilder wie in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen immer wieder geben.

Wir müssen uns also an solche Katastrophen gewöhnen?

Man kann sich nicht an Katastrophen gewöhnen. Aber man sollte sich bewusstwerden, was in einer solchen Extremsituation zu tun ist. Jeder sollte wissen, wo die wichtigsten Dokumente sind, falls sein Haus evakuiert wird. Aber meine Erfahrung ist: Nach zwei Jahren ist jede Katastrophe vergessen, außer in dem betroffenen Dorf.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Albrecht Broemme am 16.7.2021
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