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Mutmaßlicher Giftmord an Ehemann in Bielefeld: Darum war Tufan Y. wehrlos


Mutmaßlicher Mord in Bielefeld
Ist das Gift erst mal im Körper, ist das Opfer wehrlos


Aktualisiert am 15.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Weißes Pulver (Symbolbild): Giftmorde bleiben nicht selten unentdeckt.Vergrößern des Bildes
Weißes Pulver (Symbolbild): Giftmorde bleiben nicht selten unentdeckt. (Quelle: picture alliance / JOKER | Petra Steuer)

Tufan Y. stirbt im Frühling 2022 an einem Giftcocktail. Die mutmaßlichen Mörder: seine Ehefrau und ihr damaliger Geliebter. Was macht den Fall so heimtückisch?

Es ist der 30. April 2022, als Tufan Y. glaubt, er trinke ein gewöhnliches Glas Wasser. Stattdessen nimmt er vor dem Schlafen einen Giftcocktail zu sich – und stirbt noch in derselben Nacht. Seine Ehefrau, Selma Y., ruft den Rettungsdienst erst, als es bereits zu spät ist. Die Sanitäter können den 40-Jährigen nicht mehr wiederbeleben.

Nun lautet der Vorwurf: heimtückischer Mord. Mitangeklagt ist Y.s damaliger Geliebter Mohammad A.. Die beiden sollen gemeinsame Sache gemacht haben. Am heutigen Donnerstag startet der Prozess vor dem Landgericht Bielefeld in Ostwestfalen.

Der Fall ist aufsehenerregend: Denn dass der Mann an einem Giftcocktail gestorben ist, wäre beinahe unentdeckt geblieben. Die Obduktion des Toten hatte zunächst keine Hinweise auf eine Straftat ergeben, die Rechtsmediziner in Münster stellten keine eindeutige Todesursache fest. Erst acht Monate nach dem Tod ihres Mannes gestand Y., ihren Partner ermordet zu haben. "Ich habe meinen Mann vergiftet", sagte sie der Polizei laut "Bild"-Informationen einen Tag nach ihrem 50. Geburtstag.

Giftmorde gelten als besonders heimtückisch. Die Opfer haben keine Chance zur Gegenwehr, ist das Gift erst mal in ihrem Körper.

"Giftmorde bleiben vermutlich nicht selten unentdeckt"

Wäre der Mord an Tufan Y. etwa niemals aufgedeckt worden, wenn die dreifache Mutter nicht aus Eigeninitiative ein Geständnis abgelegt hätte? Es wäre keinesfalls das erste Mal. Denn nichts tötet so unauffällig wie Gift. "Die Gerichtsmedizin kann heute Gift zwar besser nachweisen, trotzdem bleiben vermutlich nicht selten Giftmorde unentdeckt", sagte die österreichische Gerichtspsychiaterin Sigrun Roßmanith der "Kleinen Zeitung".

So wäre es auch beinahe bei einem anderen Fall aus Ostwestfalen gewesen, der vor einigen Jahren die Schlagzeilen beherrschte. Es ging um versuchte Morde im Unternehmen Ari: Über Jahre hinweg bestrich Klaus O. die Pausenbrote seiner Kolleginnen und Kollegen unter anderem mit toxischem Bleiacetat, ohne dass es jemand bemerkte. Der Stoff kann zu schweren Organschäden und damit bis zum Tod führen. Eine Person starb an den Folgen, weitere Opfer werden ihr Leben lang darunter leiden.

Erst als einem Angestellten eines Tages eine merkwürdige weiße Substanz auf seinem Brot auffiel, überführte die Firma den Täter mithilfe einer Überwachungskamera. Das komplette Ausmaß der Vergiftungen wird wohl nie gänzlich aufgeklärt werden können. 2019 wurde Klaus O. zu lebenslanger Haft verurteilt. Lesen Sie hier mehr zu dem Fall.

"Es liegen Hinweise zu einer Vergiftung vor"

Eine ähnliche Strafe dürfte nun auch Selma Y. und Mohammad A. drohen – obwohl noch viele Fragen offen sind. Klar ist jedoch inzwischen, dass Tufan Y. keines natürlichen Todes gestorben ist. "Es liegen Hinweise zu einer Vergiftung vor", sagte Staatsanwalt Christopher York dem "Westfalen-Blatt". "Wir haben einen dringenden Tatverdacht." Im Zuge der Ermittlungen der Sonderkommission "Cocktail" wurde eine toxikologische Untersuchung des Leichnams angeordnet – offenbar schon vor Selma Y.s Geständnis. Der Zeitung zufolge sollen deren Ergebnisse die Tatverdächtige schwer belasten.

Laut Anklage starb Tufan Y. durch einen Mix aus dem Drogenersatzstoff Methadon und den krampflösenden Mitteln Pregabalin und Clonazepam. "Die Methadondosis war potenziell toxisch", zitierte laut "Westfalen-Blatt" Staatsanwalt York aus dem vorliegenden Gutachten der Rechtsmedizin. Von Tufan Y. sei nicht bekannt gewesen, dass er jemals auf Methadon angewiesen gewesen sei oder es aus anderen Gründen konsumiert habe.

Methadon, Pregabalin und Clonazepam

Medikamente mit Methadon sind verschreibungspflichtig und unterliegen in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz. Sie sind deshalb nur direkt in der Arztpraxis oder mit einem speziellen Rezept vom Arzt in der Apotheke erhältlich. Methadon gehört zu den wichtigsten Ersatzmedikamenten beim Heroin-Entzug. Pregabalin ist zugelassen zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, als Zusatztherapie bei partiellen epileptischen Anfällen sowie bei generalisierter Angststörung. Das Medikament ist ebenfalls verschreibungspflichtig. Clonazepam ist ein krampflösendes und beruhigendes Mittel. Der Wirkstoff wird in erster Linie gegen Krampfanfälle bei Epileptikern eingesetzt, wirkt jedoch auch angstlösend und schlaffördernd. Präparate mit Clonazepam unterliegen in Deutschland ebenso der Rezeptpflicht.

Liebhaber soll Gift besorgt haben

Selma Y. sagte bei ihrem Geständnis im Januar 2023, ihr damaliger Liebhaber habe den Giftmix besorgt. Sie habe das weiße Pulver dann in das Getränk gemischt. Zum Zeitpunkt dieser Aussage waren sie und Mohammad A. bereits getrennt. Wenige Tage später kam die Witwe in Untersuchungshaft. Ihren Ex-Geliebten nahm die Polizei zwei Wochen später in Hamburg fest.

Inzwischen hat Y. ihr Geständnis allerdings widerrufen. Sie habe nichts mit dem Tod ihres Mannes zu tun. Stattdessen beschuldigt sie Mohammad A., die Tat alleine geplant und ausgeführt zu haben. Der 45-Jährige ist Berichten zufolge wegen knapp zwei Dutzend Drogendelikten vorbestraft. Er hat sich demnach noch nicht zu den Mordvorwürfen geäußert.

Die Ankläger sind sich allerdings sicher: Selma Y. war die treibende Kraft hinter dem gewaltsamen Tod ihres Mannes. Zeugen hätten ausgesagt, die Frau habe gegenüber verschiedenen Personen geäußert, ihren Mann zu hassen und ihn loswerden zu wollen. Das Motiv für den mutmaßlichen Mord ist jedoch bis heute unklar. Das Paar war erst zehn Wochen verheiratet, als dem 40-Jährigen der Giftcocktail zum Verhängnis wurde.

"Lupenreiner Giftmord"

Der Bielefelder Rechtsanwalt Peter Rostek vertritt die Angehörigen des Opfers als Nebenkläger: "Der Anklage zufolge handelt es sich um einen lupenreinen Giftmord", sagte er dem "Westfalen-Blatt". Der auf polizeiliche Ermittlungen gestützte Vorwurf der Heimtücke lasse keine Zweifel an der Deutlichkeit der Anklage aufkommen.

Dass Tötung durch Gift "Frauensache" ist, weil das Geschlecht dem Mann körperlich oftmals unterlegen ist, ist übrigens ein Trugschluss: "Aus heutiger Sicht stimmt es zwar, dass Mörderinnen ihre körperliche Schwäche gegenüber Männern durch Hilfsmittel aufwiegen, jedoch ist der Giftmord keine klassisch weibliche Domäne", sagte Gerichtspsychiaterin Roßmanith der "Kleinen Zeitung". Die Statistik zeige, dass weibliche und männliche Täter sich das Gleichgewicht hielten.

Warum ging Selma Y. zur Polizei?

Aber warum ging Selma Y. überhaupt zur Polizei, obwohl die Tat womöglich nie aufgedeckt worden wäre? Darüber lässt sich nur mutmaßen. Die Staatsanwaltschaft will dazu wohl aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angaben machen. Kriminalpsychologin Bianca Baker-Eck erklärte der "Bild am Sonntag": "Manche Menschen können zwar Abstand gewinnen, aber eine Verdrängung der Tat im klassischen Sinne ist immer noch sehr umstritten."

Sie fühlten sich unter Druck, und irgendwann gebe es äußere Umstände, die alles wieder hochkommen ließen. Vielleicht habe Selma Y. sich schuldig gefühlt, vielleicht habe sie ihren Ehemann vermisst, so Baker-Eck. "Oder sie hat sich von ihrem Liebhaber zu dieser Tat mitreißen lassen und es wurde ihr bewusst." Vielleicht habe sich der Liebhaber auch wieder von ihr getrennt.

Doch das sind alles reine Spekulationen, die wohl nur die Angeklagte selbst aufklären kann – womöglich während des Prozesses, dessen Verhandlungstermine bis September angesetzt sind.

Verwendete Quellen
  • westfalen-blatt.de: "Bielefelderin gesteht Giftmord an ihrem Mann" (kostenpflichtig)
  • westfalen-blatt.de: "Bielefeld: Ehemann mit Methadon getötet"
  • westfalen-blatt.de: "Giftcocktail tötet Bielefelder" (kostenpflichtig)
  • kleinezeitung.at: "Gerichtspsychiaterin: 'Giftmorde bleiben nicht selten unentdeckt'" (kostenpflichtig)
  • bild.de: "'Ich habe meinen Mann vergiftet!'" (kostenpflichtig)
  • bild.de: "Giftmord! Frau und ihr Liebhaber angeklagt"
  • t-online.de: "Mutmaßlicher Giftmischer war 'auffällig unauffällig'"
  • sueddeutsche.de: "Giftiger als Kampfstoffe im Ersten Weltkrieg"
  • netdoktor.de
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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