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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bauschaum in Hunderten Auspuffrohren War ein Serbe in Russland der Drahtzieher?

Vandalismus im Wahlkampf: Nach einer Serie von gezielten Bauschaum-Attacken auf Autos führte die Spur bald nach Russland. Jetzt gibt es ein neues Detail zum möglichen Auftraggeber – die Ermittlungen dauern an.
"Klima-Radikale attackieren Autos mit Bauschaum", titelte die "Bild" am 12. Dezember. Der Auspuff von mehr als 270 Autos in vier Bundesländern war damals mit Bauschaum verklebt worden. An Front- und Heckscheiben hatten die Täter Aufkleber hinterlassen, die mit einem Bild des damaligen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck für die Grünen warben.
Heute wissen die Behörden, dass es den Tätern nicht um Klimaschutz ging. Die "Bild"-Schlagzeile von damals wurde im Netz inzwischen geändert. Die Beschädigungen sollen von Russland ausgegangen sein, um so Stimmung gegen die Grünen zu machen. Der Verdacht wurde im Februar bekannt und vieles deutet tatsächlich darauf hin. Doch sicher belegt ist es bis heute nicht. t-online hat nachgefragt, wie weit die Fahnder in dem Fall sind.
Insgesamt fünf Beschuldigte hatte die Polizei ermitteln können. Auf drei waren die Ermittler durch Zufall gestoßen: Vor den Toren Berlins kontrollierte die Polizei ohne besonderen Anlass am 11. Dezember 2024 nachts einen Opel-Transporter. In dem gemieteten Auto mit Ulmer Kennzeichen fanden sich nur Bauschaum-Dosen und Geräte. Wozu sie den Bauschaum dabei hatten, konnten sie nicht schlüssig erklären, aber die Polizei hatte nichts gegen die Männer in der Hand. Die Beamten ließ den Trupp vermeintlicher Handwerker wieder fahren, nachdem sie die Personalien aufgenommen hatten. Es handelte sich dabei um:
- einen 17-Jährigen aus dem Kreis Günzburg, der einen bosnisch-herzegowinischen Ausweis besitzt,
- einen 20-Jährigen mit serbischer und kroatischer Staatsangehörigkeit aus dem Alb-Donau-Kreis sowie
- einen 18-jährigen Deutschen mit Wurzeln auf dem Balkan.
50 Bilder attackierter Autos aufs Handy geschickt
Die Routinekontrolle und die Daten bekamen eine andere Bedeutung, als sich am Morgen die Anrufe und Anzeigen wütender Autobesitzer häuften. An ihren Autos war der Auspuff mit Bauschaum verstopft worden, zudem waren Grünen-Aufkleber in schlechter Qualität angebracht worden.
Bauschaum im Auspuff ist eine billige Methode, um potenziell großen Schaden anzurichten. Das eigentlich zum Abdichten oder Isolieren gedachte Material härtet schnell aus und kann ein Rohr komplett verstopfen. Wenn die Abgase nicht entweichen können, kann das bei Autos ohne entsprechende Sensoren den Motor zerstören.
Insgesamt 43 Autos waren in Schönefeld im Süden Berlins auf diese Weise sabotiert worden. Heute wissen die Ermittler, dass das Trio in Berlin mit weit mehr beschädigten Autos in Verbindung steht. Außer Bauschaum hatten die Männer noch etwas Verräterisches dabei, wie sich später herausstellte: die Fotos weiterer entsprechend attackierter Autos. Es ist die Verbindung zu gleichen Taten. Die Bauschaum-Bande war in Brandenburg, Berlin, Baden-Württemberg und Bayern am Werk.
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Die Auswertung der Mobiltelefone brachte laut Michael Bischofberger, Oberstaatsanwalt in Ulm, dafür klare Belege: "An den Mobilfunkanschluss eines der drei in Berlin-Brandenburg festgestellten Beschuldigten wurden in der Nacht des 9. Dezember über 50 Tatbeweisbilder geschickt." Die Polizei stieß so auch noch auf zwei weitere Verdächtige:
- einen 29-jährigen Rumänen aus dem Alb-Donau-Kreis, von dessen Anschluss aus die Bilder am 9. Dezember an das Trio in Berlin geschickt wurden.
- eine 19-jährige Rumänin aus dem Alb-Donau-Kreis, Verwandte des 29-Jährigen, und offenbar am 9. Dezember die Nutzerin des Handys, das der 29-Jährige ihr häufiger überlässt. Er ist inzwischen nicht mehr verdächtig.
Auf einem Handy wurden insgesamt 74 solcher Fotos sichergestellt. Wessen Handy das war, sagt die Ulmer Staatsanwaltschaft nicht. Sie führt die Ermittlungen. In ihrem Zuständigkeitsbereich waren allein 113 Anzeigen wegen beschädigter Autos eingegangen – und die Verdächtigen kommen alle von dort.
Aussage von 18-Jährigem steht im Zentrum
Direkt in einem Vorort von Ulm wohnt Benjamin O. Der 18-Jährige spielt für die Ermittler bislang eine zentrale Rolle: Während seine mutmaßlichen Komplizen schweigen oder die Vorwürfe zurückweisen, hat er bei den Ermittlern Angaben gemacht: Es habe einen Auftraggeber gegeben, einen Mann in Russland, der wohl Serbe sei.
100 Euro habe der Mann pro beschädigtes Auto zahlen wollen. Das sei die Erklärung, wieso Beweisfotos der beschädigten Fahrzeuge gemacht wurden. Und auch die Begründung für die Taten lieferte er: Mit der Aktion sollten Wähler zur Bundestagswahl vom 23. Februar 2025 beeinflusst werden. Die Grünen waren tatsächlich ein vorrangiges Ziel russischer Stimmungsmache. Zur Diffamierung von Robert Habeck und Annalena Baerbock wurden aufwendige Fakes inszeniert. Die Angaben sind also plausibel.
Aber sie sind weiterhin nicht bewiesen.
Oberstaatsanwalt Bischofberger: "Die Angaben konnten bislang nicht durch weitere Beweismittel bestätigt werden." Auch die Identität des mutmaßlichen Serben in Russland sei noch unbekannt. Ob für beschädigte Autos Geld an die Täter floss, könne die Staatsanwaltschaft derzeit nicht sagen: "Die Finanzermittlungen dauern noch an", so Bischofberger.
Die Staatsanwaltschaft sagt auch nichts dazu, ob der 18-Jährige selbst mit dem Auftraggeber in Verbindung stand oder nur wiedergibt, was ein anderer aus der Gruppe als Kontaktmann erzählt haben könnte. Die Antwort würde Rückschlüsse zulassen, wie die Gruppe organisiert war. Doch das könnte die Ermittlungen gefährden, so die Befürchtung. "Angaben, wer welchen Beitrag geleistet hat, können derzeit nicht gemacht werden."
Alle Verdächtigen sind auf freiem Fuß. In einem anderen Fall russischer Einmischung in Deutschland sitzt der Hauptverdächtige seit anderthalb Jahren in Untersuchungshaft. Der Prozess hat im Hochsicherheitsgerichtssaal in der JVA Stadelheim begonnen und die Ankläger kommen von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Dort geht es um Spionage und um Pläne für Anschläge auf Militärtransporte und Rüstungsunternehmen, bei dem Ulmer Fall "nur" um gemeinschaftliche Sachbeschädigung, Stand derzeit also kein Fall für die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Oberstaatsanwalt Bischofberger in Ulm sagt dazu: "Wir stehen in engem Kontakt zu anderen Behörden, die ihre Zuständigkeit eigenverantwortlich prüfen."
Involviert sind nach Informationen von t-online auch die Nachrichtendienste. Von der Ulmer Staatsanwaltschaft heißt es dazu nur, man sei in einem "fortwährenden Informationsaustausch mit anderen Sicherheitsbehörden". Bis zu einem Prozess wird es noch dauern – ein Abschluss des Verfahrens sei nicht absehbar.
- Eigene Recherchen