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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozess in München Sabotage in Deutschland? Er soll der Drahtzieher sein

Brandanschlag auf einen Rüstungsbetrieb, entgleisende Waffentransporte: In einem Prozess in München sind drei Russlanddeutsche angeklagt, in Deutschland Sabotageakte geplant zu haben. Jetzt fiel der Name des Drahtziehers.
"Was Wertvolles", habe er da gefilmt, "vielleicht ja Himars", also das amerikanische Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesystem. Mit solchen Worten schickte Alex D. am 7. März ein Video von Militärlastern auf der Autobahn in Richtung Regensburg an seinen Bekannten Dieter S. Sie kannten sich, sie fuhren oft gemeinsam zur Arbeit. Dieter S. sei "immer so aufgeregt" gewesen, wenn sie an Militärtransporten vorbeifuhren, und habe sofort gefilmt, so Alex D. Weil Dieter S. Bekannte im russischen Geheimdienst- und Militärapparat hatte, denen solche Informationen nutzten? Weil dort ein Mann mit Dieter S. Anschlagspläne schmiedete, die die Versorgung der Ukraine mit Waffen stören sollte?
Dieter S. (40), Alex D. (44) und Alexander J. (38) sitzen zumindest deshalb seit Dienstag in München vor dem Richter, Prozessauftakt des Staatssschutzsenats des Oberlandesgerichts München. Die Ankläger kommen von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe in den Hochsicherheitsgerichtssaal in der JVA Stadelheim. Die Bundesrepublik hängt den Fall deutlich höher, als die Angeklagten das wohl jemals geahnt hatten.
Angeklagte sprechen besser Russisch als Deutsch
Die drei Männer stammen aus Russland und Kasachstan, sie haben jeweils die deutsche und die russische Staatsbürgerschaft und sprechen besser Russisch als Deutsch, obwohl sie den größeren Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht haben. Spione wollen sie nicht gewesen sein, wie Spione wirken sie im Gericht auch nicht. Aber vielleicht ist das ja gerade typisch für eine hybride Kriegsführung: Manche würden sie auch "Wegwerfagenten" nennen.
Der Hauptangeklagte Dieter S. arbeitete zuletzt als Messebauer, hatte Schulden, rauchte nach Ansicht eines Mitangeklagten zu viel Haschisch und könnte auch mit Drogen gehandelt haben. Er sitzt im Saal mit langem Bart und in einem Anstaltspulli mit dem Aufdruck: "Arbeitsbetriebe", über dem ein großes Kreuz an einer Kette baumelt. Wegen der Drogenvorgeschichte verfolgt auch eine psychologische Gutachterin den Prozess gegen Dieter S.
Er sieht anders aus als auf Bildern, die ihn 2014, 2015 und 2016 in Uniform und mit Waffe im Donbass zeigen. Dort, so die Anklage, hat er mit der Pyatnashka-Brigade gekämpft, einer internationalen Miliz der früheren selbst ernannten Volksrepublik Donezk. Die Bundesanwaltschaft bezeichnet diese als eine terroristische Vereinigung. Der mutmaßliche Söldnereinsatz hat ihm einen eigenen Anklagevorwurf eingebracht: die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Mutmaßlicher Anstifter gründete 2014 Brigade
In der Zeit im Donbass liegt offenbar auch der Schlüssel zu dem, was S. ab Oktober 2023 tat und bei dem die beiden anderen Angeklagten ihm wissentlich geholfen haben sollen: Informationen sammeln über Militärstandorte, über Eisenbahnverbindungen, über Rüstungsunternehmen. Den Auftrag und Anweisungen hat S. der Anklage zufolge vom damaligen wie heutigen Kommandeur der Pyatnashka-Brigade erhalten: Akhra Avidzba, der 2014 mit 14 anderen Männern überwiegend aus Abchasien die Brigade gegründet hatte und weitere Ausländer anwerben konnte.
Mehrere Russlanddeutsche haben in der Einheit gekämpft, wie eine t-online-Recherche über Donbass-Kämpfer aus Deutschland zeigt. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Kommandeur Avidzba, "Held der 'Volksrepublik Donetzk'", auch dem russischen Militärgeheimdienst GRU zuzurechnen ist.
Dieser soll die Kommunikation zwischen Dieter S. und Avidzba sichergestellt, Telefonate abgehört haben. Avidzba sagte demnach Dieter S., welche Informationen er benötigte, Dieter S. versuchte zu liefern. Der Anklage zufolge sprachen der Kommandeur und sein mutmaßlicher früherer Soldat auch darüber, dass Dieter S. einen Brandanschlag auf einen Werkzeughersteller in Unterfranken begehen könnte, der ein wichtiger Zulieferer für Hersteller von Geschossen ist.
Angeblich Plänen für Zugentgleisung zugestimmt
Dieter S. habe zugestimmt und auch eingewilligt, mit sogenannten Hemmschuhen, also Hindernissen auf den Schienen, einen Zug mit Waffentransporten zum Entgleisen zu bringen. Oberstaatsanwalt Hannes Meyer-Wieck: "Gemeinsames Ziel war es, die deutsche Wirtschaft zu stören, sie wollten die Unterstützung der Ukraine unterminieren." Brisant: Kommandeur Avidzba war nicht der Einzige aus der Pyatnashko-Einheit, dem Dieter S. Informationen geliefert haben soll. Der Anklage zufolge gab er Informationen auch an einen Mann mit dem Kampfnamen "Gustavo" weiter.
Der Angeklagte weist das alles über seinen Verteidiger Michael Löwe zurück. In den Donbass sei er in der Zeit der Kriegswirren im Dezember 2014 nur wegen einer Frau gereist, er sei dort einer geregelten Arbeit nachgegangen. Warum ihn ein Video in Uniform im Kreis von Pyatnashka-Angehörigen zeigt, während vorne Avidzba spricht, hat Dieter S. noch nicht erklärt. Ebenso wenig, warum er auf anderen Bildern mit Waffe zu sehen ist.
Dafür bietet er eine Erklärung an, wieso er 2015 in einem Beitrag des ZDF-"Auslandsjournal" vom 4. Februar 2015 als deutscher Kämpfer ein Interview gab. Der ZDF-Beitrag ist ein wichtiges Beweismittel. S. lässt über seinen Anwalt mitteilen, er sei da Schauspieler gewesen, habe für 200 Euro eine Uniform und eine Waffenattrappe getragen. Vorzugeben, ein Kämpfer zu sein, habe ihn aber auch bei Russlanddeutschen aufgewertet.
Ist Dieter S. also lediglich ein Aufschneider und Hochstapler? So will es sein Verteidiger Michael Löwe auch bei den Spionagevorwürfen darstellen. Er sagt, S. habe gemerkt, dass er überwacht werde, das einigen seiner Facebook-Beiträge zum Ukraine-Krieg zugeschrieben und sich deswegen gedacht, er könne sich gegen Geld deutschen Diensten anbieten: als Zuträger, der an sie Belanglosigkeiten weitergibt, dafür Geld erhält und so seine Finanznöte mindern kann. Nie sei er selbst Spion für einen anderen Staat gewesen.
Mitangeklagte wollen nichts geahnt haben
Dazu passt allerdings nicht das aufgeregte Verhalten von Dieter S., sobald er Militärtransporte sichtete, von dem sein Mitangeklagter Alex D. berichtet. D. ist Grafikdesigner, sitzt in hellem Hemd und dunklem Pulli im Gericht und hofft, dass der Prozess gegen ihn vorzeitig beendet wird, weil sich seine Schuld als geringfügig herausstellt. Er hätte nie daran gedacht, dass sein Bekannter Spionage betreiben und deshalb so aufgeregt gewesen sein könnte, sagt er im Prozess.
Alex D. will also nicht wissentlich Informationen an ein fremdes Land weitergegeben haben. Was aber war dann das Video mit dem angeblichen Himars-Transport, das er an Dieter S. geschickt hatte? Das sei einfach Stoff für ein Gespräch und ironisch gemeint gewesen, weil S. ja so versessen auf solche Szenen war, sagt Alex D. Und dass er den Ermittlungen zufolge S. gewarnt hat, bei der Handynutzung vorsichtig zu sein? D. erklärt das damit, dass er bei seinem Bekannten Drogengeschäfte vermutete.
Auch der dritte Angeklagte, Alexander J., will nicht geahnt haben, dass seine Informationen einem fremden Geheimdienst nutzen könnten. Er wird im Prozess noch erklären müssen, warum er S., der sich für das Werk eines Waffenherstellers interessierte, Kontakt zu einem Mitarbeiter herstellte. Alexander J. soll es auch gewesen sein, der den Hauptangeklagten auf den Verladebahnhof Pasberg brachte. Dieter S. fuhr offenbar hin, sah, dass dort auch das amerikanische Militär verlud – und tauschte sich der Anklage zufolge mit Kommandeur Avidzba darüber aus, Tracker oder Minikameras zur Recherche des weiteren Wegs einzusetzen.
Dazu kam es dann nicht mehr: Im April 2024 schlugen die Ermittler zu. Der Prozess ist zunächst bis Dezember angesetzt, mehr als 40 Prozesstage sind geplant.
- Reporter vor Ort
- Eigene Recherchen