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Nach Mannheim-Attacke: Wie gefährlich sind Islamisten auf TikTok?


Islamistische Propaganda
"Plötzlich bekommen Sie nur noch diese Inhalte angezeigt"


08.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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Pierre Vogel bei einer Demonstration in Duisburg (Archivbild): Auf TikTok werden neue Zielgruppen erreicht.Vergrößern des Bildes
Pierre Vogel bei einer Demonstration in Duisburg (Archivbild): Auf TikTok werden neue Zielgruppen erreicht. (Quelle: Stephan Eickershoff/imago-images-bilder)

Nach Attentaten wie dem Überfall von Mannheim finden sich immer wieder Social-Media-Accounts, die Gewalttaten verherrlichen. Wie verbreitet ist islamistischer Hass auf Social Media?

Viele Medien haben nach dem Messer-Attentat von Mannheim auf einen TikTok-Account geblickt, der sich "Imam Meta" nennt, weil Screenshots des Accounts auf Social Media geteilt worden waren. "Imam Meta" feiert die Messerattacke auf den islamfeindlichen Aktivisten Michael Stürzenberger und auf den Polizisten Rouven Laur, der inzwischen gestorben ist, und ruft zu weiteren Gewalttaten auf. Die Inhalte sind verroht und werden strafrechtlich verfolgt. Aber die Frage ist auch, ob der Account Einfluss auf Jugendliche in Deutschland hat, die sich radikalisieren könnten?

Meryem Tinç beobachtet für die Organisation "Violence Prevention Network" Islamismus auf TikTok und Instagram. "Imam Meta" spielte in ihrer Arbeit bisher keine Rolle: "Er ist ein Außenseiter, hat kaum Reichweite, und die islamistische Online-Community macht sich eher über ihn lustig. Er bezeichnet sich ja auch selbst als Prophet, das wird eher spöttisch belächelt." Gemäß ihrer Beobachtungen bedienen extreme, gewaltverherrlichende Accounts Plattform-Logiken. Der Algorithmus etwa bei TikTok spielt alle polarisierenden Inhalte besonders stark aus, in der Hoffnung, dass Menschen darauf reagieren. Der Plattform ist es egal, ob die Reaktion Zustimmung oder Ablehnung ist - Hauptsache, die Nutzer bleiben auf der Plattform.

Wirklichen Einfluss hätten solche Accounts aber kaum auf ein salafistisches oder islamistischen Milieu auf Social Media, sagt die Islamwissenschaftlerin. Sie sind eher ein Fall für die Strafverfolgung oder Netzwerk-Sperren als für die Präventionsarbeit.

Die demokratiefeindlichen Narrative sind gefährlich

Auch wenn es viele verschiedene islamistische Akteure auf TikTok oder Instagram gibt, eint die reichweitenstarken Accounts, dass sie sich an Plattformspielregeln halten, um ihre Botschaften ungestört unter die Leute bringen zu können. Gewaltaufrufe wären da kontraproduktiv. Bekannte Prediger wie Pierre Vogel, Abdelhamid oder Abul Baraa achten aus Selbstschutz darauf, juristische Grauzonen nicht zu betreten.

Zur Person

Meryem Tinç arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Violence Prevention Network im Kompetenznetzwerk KN:IX (Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus). Sie betreibt Monitoring, forscht nach Narrativen und ordnet sie ein.

Vor allem gehe es Islamisten online um Narrative, erklärt Meryem Tinç: "Dazu gehören Aussagen gegen die westliche Welt, gegen die Demokratie, gegen Wahlen, aber auch Misogynie, teilweise Antisemitismus und Queerfeindlichkeit." Sie beobachtet: "Die großen, reichweitenstarken Prediger und Influencer – ich nenne sie gern Predigencer – wissen meist genau, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit sind. So haben viele dieser Accounts nicht dem Mörder von Mannheim applaudiert, sondern Beileid für den ermordeten Polizisten bekundet. Für Stürzenberger aber eher nicht."

Seit Corona auf TikTok

Seit Corona-Zeiten haben islamistische Prediger Social Media für sich entdeckt und damit ihre Zielgruppen vergrößert. Sie platzieren ihre islamistischen Narrative in einer popkulturellen Verpackung. "Sie bauen sich Online-Identitäten auf", sagt Meryem Tinç. Manche bevorzugen Kaftan und Turban, andere kleiden sich lässig und cool – so werden verschiedene Zielgruppen erreicht. Wer online erfolgreich ist, kann auch offline mobilisieren – ob zum Besuch von Vorträgen der Prediger in Moscheen oder zu Demonstrationen.

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Um ihr Wirkung zu steigern, lassen sich erfolgreiche Prediger in Livestreams reichweitenstarker Unterhaltungsaccounts einladen, die Jugendliche normalerweise wie TV-Shows konsumieren. So war etwa der salafistische Prediger Pierre Vogel bei Arafat Abou-Chaker zu Gast und erreichte dort ein weit größeres Publikum als auf eigenen Kanälen.

"Pseudojournalismus" als Manipulationsgefahr

Akteure wie "Muslim Interaktiv" waren zuerst auf Social Media groß, bevor sie die "Kalifat"-Demonstrationen in Hamburg organisieren konnten. Auf den Demos werden dann wieder fleißig Videos gedreht, die mehr Reichweite generieren. Solche Accounts, deren Inhalte "pseudojournalistisch" gestaltet sind, betrachtet die Expertin mit Sorge. Sie wirkten wie Nachrichten, seien aber zumindest einseitig und suggestiv geschrieben oder enthielten Falschinformationen mit Manipulationsabsicht. Dies könne andere dazu verleiten, expliziter zu werden. Nicht ohne Grund finden sich auf TikTok und Instagram gewaltverherrlichende Inhalte vor allem in Beiträgen mit Bezug zum Nahost-Krieg. Verbreitet werden sie von Accounts mit Fantasienamen und Pseudonymen. Klarnamen sind in dieser Szene nicht verbreitet, was bisweilen Strafverfolgungsbehörden vor Schwierigkeiten stellt.

Aufrufe zur Gewalt sind auf TikTok und Instagram weniger zu finden. Diese finden sich vor allem auf der weitgehend unregulierten Plattform Telegram. Auf TikTok wird dann dafür geworben, dass es auch eine geschlossene Telegram-Gruppe gibt, in der Menschen sich organisieren könnten – vor dem Blick der Öffentlichkeit geschützt.

"Langsam und hilflos"

Aber wie gefährlich ist es, wenn Jugendliche oder junge Erwachsene solche Inhalte konsumieren? "Wer ein islamistisches Video sieht, wird nicht sofort Islamist", sagt Meryem Tinç, "aber falls Jugendliche einige dieser Videos angucken, kann sich ihr Algorithmus dahin drehen, dass sie plötzlich vor allem oder nur noch Inhalte angezeigt bekommen, die etwa die Demokratie angreifen oder Wahlen ablehnen." Deshalb empfiehlt sie den Nutzern: Solche Accounts am besten gleich blockieren. Von den Netzwerken würde sie sich mehr Engagement wünschen: "Sie wirken langsam und hilflos. Wie schnell sich etwa das Gewaltvideo aus Mannheim verbreitet hat – so schnell konnten es die Netzwerke gar nicht löschen."

Deshalb sieht sie derzeit auch keine Alternative zur politischen Bildungsarbeit, die Jugendliche fit dafür macht, sich nicht demokratiefeindlich mobilisieren zu lassen: "Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung nicht an der falschen Stelle spart. Nur politische Bildung ändert langfristig Perspektiven und braucht dafür selbst stabile Bedingungen. Im Moment haben wir ein Feuerwehrsystem. Wenn es brennt, sollen wir löschen. Aber wenn es glüht, stellen wir alle Maßnahmen ein – bis es wieder brennt."

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Meryem Tinç vom Violence Prevention Network
  • Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus: Arbeitsschwerpunkte
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