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Zugunglück in Baden-Württemberg: Hänge werden zur tödlichen Gefahr


Tödliches Zugunglück bei Ulm
Was den Boden plötzlich wegrutschen ließ


Aktualisiert am 28.07.2025 - 16:31 UhrLesedauer: 4 Min.
Zugunglück in Baden-Württemberg bei Ulm: Rettungskräfte suchen in dem entgleisten Zug nach Fahrgästen. Ein Erdrutsch hat höchstwahrscheinlich zu dem Unglück geführt.Vergrößern des Bildes
Zugunglück in Baden-Württemberg bei Ulm: Rettungskräfte suchen in dem entgleisten Zug nach Fahrgästen. Ein Erdrutsch hat höchstwahrscheinlich zu dem Unglück geführt. (Quelle: Thomas Warnack/dpa)
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Ein Regionalzug entgleist südwestlich von Ulm, mehrere Menschen sterben. Das Wetter der vergangenen Tage rückt in den Fokus – und ein gefährlicher Prozess unter der Erde.

Ein schweres Zugunglück erschüttert die Region südwestlich von Ulm: Ein Regionalexpress der Deutschen Bahn ist am Sonntagabend mit rund 100 Menschen an Bord entgleist. 41 Menschen wurden verletzt, drei Personen kamen ums Leben.

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Noch ist die genaue Ursache für die Entgleisung unklar. Doch vieles deutet auf ein Naturereignis hin: Ein Erdrutsch könnte den Zug aus der Spur gebracht haben. Das legen erste Erkenntnisse der Ermittler nahe. Die Polizei teilte am Montagmorgen mit: "Mutmaßlich lief durch den Starkregen, der sich im Bereich der Unfallörtlichkeit ereignete, ein Abwasserschacht über. Das Wasser löste einen Erdrutsch im Böschungsbereich zu den Gleisen hin aus, was wiederum wohl die Entgleisung verursachte."

Zum Zeitpunkt des tödlichen Zugunglücks verzeichnete der Deutsche Wetterdienst (DWD) extreme Regenmengen in der Region: Am frühen Sonntagabend seien bis zu 50 Liter pro Quadratmeter innerhalb einer Stunde gefallen.

Die nächstgelegene Niederschlags-Messstation befindet sich in Altheim (Kreis Biberach), rund sechs Kilometer vom Unglücksort entfernt. Dort wurden 22 Liter pro Quadratmeter innerhalb von zwei Stunden gemessen.

Regen nach langer Trockenheit erhöht das Risiko für Erdrutsche

Erdrutsche zählen zu den typischen Naturgefahren in Mittelgebirgs- und Hanglagen. Dabei lösen sich Gesteins- oder Erdmassen an einem Hang und stürzen ins Tal. Das geschieht meist infolge starker Niederschläge. Das Wasser dringt in den Boden ein, löst die Haftreibung zwischen den Schichten auf – und die Schwerkraft erledigt den Rest.

Besonders gefährdet sind Gebiete mit weichem Untergrund oder steilen Hängen. Schneeschmelze, Frost und starke tektonische Bewegungen können Erdrutsche begünstigen.

Auch lange Trockenperioden machen Erdrutsche wahrscheinlicher. Professor Dr. Ralf Merz vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erklärt für t-online den Zusammenhang: "Erdrutsche werden überwiegend durch anhaltende Regenfälle und Starkregen ausgelöst, da der starke Niederschlag nicht mehr im Boden versickern kann, sodass sich die Hänge durchnässen und die Haftreibung zwischen den Bodenschichten stark abnimmt."

Dadurch verliere der Boden seine Stabilität und gerate unter dem Einfluss der Schwerkraft ins Rutschen, insbesondere an Hängen oder Gefällen. "So war sicherlich der Starkregen in den letzten Tagen verantwortlich für den Erdrutsch bei Riedlingen."

Längere Trockenphasen vor Starkregenereignissen könnten das Risiko von Erdrutschen zusätzlich erhöhen, so der Experte. "Ist der Boden zunächst sehr trocken, können sich sogenannte Schwindrisse bilden", erläutert Merz. "Bei einem darauffolgenden Starkregen dringt das Wasser dann besonders schnell und tief in den Boden ein. Dort kann es zu einer schnellen Durchfeuchtung kommen, die den Boden sättigt und die Stabilität der Hänge erheblich verringert, mit der Folge, dass es leichter zu Erdrutschen kommt."

Schwere Erdschichten brechen ab

Wann und wo ein Erdrutsch auftritt, lasse sich nur schwer vorhersagen, da viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen. "Auch die Vegetation ist wichtig: Wurzeln stabilisieren Hänge und fördern die Wasseraufnahme. Fehlen diese, wird das Abrutschen ganzer Hangpartien begünstigt", so der Leiter der UFZ-Abteilung Einzugsgebietshydrologie.

Besonders risikobehaftete Gebiete in Deutschland seien steile, unbewaldete Hänge in den Alpen und den Mittelgebirgen, die Steilküsten sowie Regionen mit besonderen geologischen Verhältnissen oder mit menschlichen Eingriffen, etwa durch Bergbau. "Eine genaue Vorhersage, wo der nächste Erdrutsch auftritt, ist jedoch kaum möglich", betont Merz.

Viele Risikogebiete in Baden-Württemberg

Gerade in Baden-Württemberg gibt es zahlreiche geologisch vorbelastete Regionen, in denen Erdrutsche wiederholt auftreten. Dazu zählen etwa die tief eingeschnittenen Täler des Südschwarzwalds – wie das Wehratal oder das Schlüchttal – sowie der Albtrauf mit seinen steilen Hängen. Besonders gefährdet sind außerdem Gesteinsformationen wie der Opalinuston am Fuße der Schwäbischen Alb oder tertiäre Sedimente im Bereich des Oberrheingrabens. Bei starken Regenfällen steigt in diesen Gebieten das Risiko von Erdrutschen deutlich an.

Erdrutsche und andere gravitative Massenbewegungen gelten als sogenannte Geogefahren mit potenziell verheerenden Folgen. Sie bedrohen nicht nur Straßen und Bahntrassen, sondern auch Wohngebiete, Strom- und Wasserleitungen.

Trügerische Ruhe

Erdrutsche können dabei verschiedene Formen annehmen. Sogenannte Rutschungen betreffen oft große Flächen, sie laufen jedoch wesentlich langsamer ab als abrupte Sturzprozesse. Die Rutschmasse bleibt dabei in Kontakt mit ihrem Untergrund.

Alte Rutschungen wirken zwar häufig stabilisiert oder nahezu bewegungslos, bergen aber dennoch Gefahren. Insbesondere nach lang andauernden Starkniederschlägen oder während der Schneeschmelze kann es zur Reaktivierung oder beschleunigten Bewegung kommen. Eine solche Rutschung könnte auch zu dem Zugunglück im Südosten Baden-Württembergs geführt haben.

Video | Das Zugunglück nahe Ulm:
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Quelle: dpa

Regen fiel auf ausgetrockneten Boden

Denn die Region war in den vergangenen Monaten von einer langen Dürreperiode betroffen. Das Frühjahr 2025 war nicht nur deutlich zu warm, es zählt auch zu den trockensten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Regen der vergangenen Wochen konnte den Wassermangel im Gesamtboden nicht überall ausgleichen, wie sich dem UFZ-Dürremonitor des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung entnehmen lässt.

So herrschte am 26. Juli in vielen Regionen Baden-Württembergs immer noch eine "außergewöhnliche" (Dunkelrot), "extreme" (Rot) oder "schwere" (Orange) Dürre des Gesamtbodens.

Auf der Karte sind nur wenige weiße Flecken zu sehen, die Normalbereiche markieren.

Vegetation von Dürre in Mitleidenschaft gezogen

Auf diesen ausgetrockneten Boden fiel also der extreme Niederschlag im Unglücksgebiet, was die Rutschung beschleunigt haben könnte.

Auch der Zustand der Vegetation spielt eine Rolle. "Eine intakte Vegetation hilft, Wasser in der Landschaft zu halten. Ist die Vegetation jedoch geschädigt, steigt die Gefahr von Überschwemmungen weiter an", erklärte Experte Merz vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Erdrutsche können die Folge sein.

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Lange Dürreperioden schädigen die Vegetation. Wälder verlieren durch den Klimawandel zunehmend ihre stabilisierende Funktion. Nicole Wellbrock vom Thünen-Institut warnte bereits im Juni: "Die Bäume sind von den Dürren vorgeschädigt." Sie erklärt: "Wenn ein Sturm kommt, ist der Halt und die Festigkeit durch Stamm- und Wurzelschäden schlechter."

Vor allem feinere Wurzeln seien in den trockenen Jahren abgestorben – mit weitreichenden Folgen: weniger Blattmasse, eingeschränkter Wassertransport, höhere Anfälligkeit für Schädlinge und Pilze. Erholungsphasen blieben durch die anhaltenden Trockenperioden schlicht aus.

Fachleute warnen schon lange vor den Folgen des Klimawandels: Zunehmende Wetterextreme, geschädigte Vegetation und instabile Böden machen Regionen wie Baden-Württemberg besonders anfällig für Naturgefahren wie Erdrutsche. Das Unglück verdeutlicht die Notwendigkeit, Infrastruktur und Frühwarnsysteme besser an veränderte klimatische Bedingungen anzupassen.

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