Hurrikan-Staat Florida könnte unbewohnbar werden
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der eine Hurrikan ist kaum weg, da kommt schon der nächste. Trümmer werden zu Geschossen – und Forscher warnen: In manche Orte sollte besser niemand mehr ziehen.
Die Bilder sind bedrückend. Angehörige der Nationalgarde der Armee Floridas durchkämmen zertrümmerte Straßenzüge, Schutt liegt am Wegesrand aufgetürmt: Matratzen, Möbel, zu Müll gewordener Hausrat. Es ist, was Hurrikan "Helene" übrig gelassen hat.
Mehr als 220 Menschenleben hat der mächtige Wirbelsturm gefordert, als er Ende September in den USA wütete. Er zerstörte Häuser, riss Straßen kaputt, setzte weite Landzüge unter Wasser. Aber die Nationalgardisten sind nicht gekommen, um Wiederaufbauarbeit zu leisten. Sie sind vor Ort, um die Überlebenden ein weiteres Mal zu evakuieren. Denn mit Hurrikan "Milton" walzt bereits der nächste zerstörerische Wirbelsturm heran – und er wird in Florida zum Teil Menschen erneut treffen, die erst vor zwei Wochen leiden mussten.
Die Behörden fürchten: Der zweite Sturmgigant in kurzer Folge wird den noch auf den Straßen liegenden Schrott in tödliche Geschosse verwandeln. Und er könnte die bereits erheblich angeschlagene Infrastruktur komplett verwüsten.
Wie lange kann sich der Staat die Milliarden-Kosten noch leisten?
Neben den persönlichen Tragödien, für die die Hurrikane verantwortlich sind, kosten die Stürme die Steuerzahler auch viel Geld. 2022 zog Hurrikan "Ian" über das Land. Die Folgen waren Schäden von mehr als 110 Milliarden Dollar. Nur ein paar Posten: Die US-Armee baute anschließend mehr als 20.000 provisorische Dächer, 32,6 Millionen Kubikmeter Trümmer mussten weggeräumt werden, mehr als 4.000 staatliche Einsatzkräfte halfen. Außerdem stellten 911.000 Menschen Anträge auf Unterstützung, Hunderte Haushalte waren auch ein halbes Jahr später noch dazu gezwungen, in Hotels zu leben.
"Helene" und "Milton" könnten Schätzungen zufolge Schäden in ähnlicher Größenordnung verursachen. Nur: Wie lange kann sich der Staat solche Kosten noch leisten?
"Das funktioniert irgendwann nicht mehr"
"Nach solchen Naturkatastrophen wird von der Regierung in Washington und dem Staat Florida viel Geld investiert, um unter anderem einen Zusammenbruch der Elementarschadensversicherer und des Immobilienmarktes zu verhindern", erklärt Klimaforscher Andreas Fink vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) t-online. Seine düstere Prognose: "Experten nehmen an, dass das irgendwann nicht mehr funktionieren wird."
Ob der Staat schon nach "Milton" kapituliere, sei ungewiss. Dass ein solches Szenario aber irgendwann eintrete, erachtet Fink als "sehr wahrscheinlich".
Das Meer steigt, die Versicherer gehen
Denn in Florida seien nicht nur weitere intensive Hurrikans in den nächsten Jahrzehnten zu befürchten. Ein weiteres großes Problem ist dem KIT-Klimaforscher zufolge der Anstieg des Meeresspiegels, besonders im Ballungszentrum Miami. Fink: "Der ansteigende Meeresspiegel allein stellt die Region schon vor Herausforderungen – dadurch werden aber ebenfalls Sturmfluten durch Hurrikane noch verstärkt."
Schon jetzt kommt es in Miami regelmäßig zu Überschwemmungen, wenn die normale Flut zum Beispiel durch Neu- und Vollmond höher als sonst ausfällt. Für die Zukunft rechnen Forscher noch mit viel verheerenderen Szenarien. Bis 2060 könnten die Ozeane in einer mittleren Modellrechnung um 60 Zentimeter ansteigen. In einem Szenario mit mehr CO2-Ausstoß würde das Wasser bis ins Jahr 2100 sogar um zwei Meter steigen.
Sein Eigenheim zu versichern, ist in Florida dreimal so teuer wie im Rest der USA. Versicherer gehen pleite oder ziehen sich aus dem Florida-Geschäft zurück. Die Folge: Viele Menschen sind unversichert.
"Nur Serien von schlechten Erfahrungen führen zu Umdenken"
Und nicht einmal, wer noch eine Versicherung hat, ist wirklich geschützt, wie der "Miami Herald" nach "Helene" meldete. Die Schäden durch die vom Hurrikan ausgelöste Sturmflut würden nämlich als Hochwasserschäden eingestuft, die von der Standard-Hurrikanversicherung nicht abgedeckt seien – und das, wie die Zeitung schreibt, "obwohl die Prämien in den letzten Jahren in die Höhe geschossen sind".
In diesem Frühjahr sei die Region dazu von einer extrem warmen und feuchten Hitzewelle getroffen worden, gibt Klimaforscher Fink zu bedenken. Auch dies mache den Menschen zu schaffen. Fazit des Experten für atmosphärische Dynamik: "Die Ballungszentren im Südosten Floridas gehören bezüglich des Klimawandels zu den verwundbarsten der USA und auch weltweit – ich würde mir also gut überlegen, hierhin zu ziehen."
Bisher werde allerdings nicht genug getan, um die Menschen über die Gefahren aufzuklären. Die Diskussion über "klimasichere" Wohnorte gewinne gerade erst etwas an Fahrt. "Wer keine Versicherung für sein Haus an der Küste Floridas mehr bekommt, wird sich jetzt überlegen, dort eins zu erwerben oder zu bauen", glaubt Fink. "Ich denke, dass nur Serien von schlechten Erfahrungen zu einem nachhaltigen Umdenken führen werden."
- Anfrage an Klimaforscher Andreas Fink
- fema.gov: "Hurrikan Ian – Reaktion und Wiederaufbau"
- telepolis: "Florida: Versinkt der Sonnenscheinstaat im Meer?" (Englisch)
- theguardian.com: "Florida rocked by home insurance crisis: ‘I may have to sell up and move’" (Englisch)
- miamiherald.com: "‘An empty feeling.’ At Helene’s Florida landfall, few have insurance to help rebuild" (Englisch)
- nationalgeographic.de: "Klimawandel: Wenn das Wasser steigt"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa