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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Alarm für das Allgäu Der Hochvogel steht vor dem Kollaps

Ein gigantischer Riss zieht sich durch den Hochvogel in den Allgäuer Alpen. Forscher befürchten: Der 2.600-Meter-Gipfel könnte bald ins Tal stürzen.
Der berühmte Hochvogel im Allgäu steht vor dem Kollaps. Forscher warnen, dass sich der 2.592 Meter hohe Berg zunehmend spaltet. Ein Felsspalt von 40 Metern Länge, drei Metern Breite und acht Metern Tiefe zieht sich durch den Gipfel – und er wächst.
Auf Drohnenaufnahmen und Fotos ist deutlich zu sehen: Der Hochvogel, einer der imposantesten Gipfel der Allgäuer Alpen, steht buchstäblich vor seiner eigenen Zerstörung. Der Riss verläuft vom Gipfelkreuz aus Dutzende Meter in die Tiefe. Besonders beunruhigend: In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Spalt um 30 Zentimeter vergrößert.
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Ein gewaltiger Bergsturz scheint unausweichlich. Etwa 260.000 Kubikmeter Fels könnten in naher Zukunft ins österreichische Hornbachtal stürzen – ein Gebiet, das wie das benachbarte Hintersteiner Tal auf deutscher Seite kaum besiedelt ist. Dennoch: Wanderer, Almen und Hütten befinden sich in Reichweite.
"Bei uns ist es ähnlich wie beim Wetter"
Am Gipfel ist seit Jahren ein hochsensibles Messsystem im Einsatz. Professor Michael Krautblatter von der TU München und sein Team haben den Berg im Rahmen des Projekts AlpSenseBench vollständig verkabelt. Sensoren erfassen kleinste Bewegungen im Hundertstelmillimeterbereich.
Die Messdaten ermöglichen kurzfristige Warnungen. "Bei uns ist es ähnlich wie beim Wetter. Wir können zwei bis drei Tage vorher gute Vorhersagen machen. Weil wir sehen, wenn sich die Spaltung am Südgipfel beschleunigt. Was wir nicht sagen können, ist, dass der Abbruch etwa im nächsten Jahr im September passieren würde", erklärte Krautblatter in einem Gespräch mit t-online.
Sechs bis sieben Schübe – und dann?
Sollte es zum Äußersten kommen, könnte sein Team aber warnen: "Wenn wir zwei bis drei Tage, bevor der halbe Gipfel abstürzt, eine Beschleunigung des Vorgangs sehen, von einem Zentimeter pro Tag auf einen Zentimeter pro Stunde, würden wir einen Alarm auslösen." Dieser werde dann direkt an Bergwacht, Alpenverein und die Gemeinden in Tirol und Bayern weitergegeben.
Die Forscher gehen davon aus, dass das Massiv in sechs bis sieben Schüben abbrechen würde. "Wenn diese etwa 260.000 Kubikmeter Fels abstürzen, fallen sie in zwei Wildbäche in einem bereits gesperrten Bereich", führte Krautblatter aus. "In den nachfolgenden Jahren könnten sich dann daraus große Murenabgänge bilden und würden im schlimmsten Fall auf Tiroler Seite das Hinterhornbachtal erreichen, nicht aber den besiedelten Teil."
Der Restgipfel werde danach in mehreren Phasen abbrechen. "In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird der Hochvogel wohl nicht zur Ruhe kommen", lautet sein Fazit.
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"Felsenfest ist wohl ein Begriff aus vergangenen Zeiten"
Den größten Einfluss auf die Instabilität des Hochvogels habe der Klimawandel. Laut Krautblatter "nimmt das Auftauen der Permafrostböden in den Alpen signifikant zu". Felsen, die früher durch Frost zusammengehalten wurden, beginnen sich zu lösen – mit teils dramatischen Folgen.
Der Forscher betont: "Felsenfest ist wohl ein Begriff aus vergangenen Zeiten." Bereits im Jahr 2018 seien "500 Kubikmeter Gestein aus der Südwand des Hochvogels ins Tal" gestürzt.
Zunehmend erschwerend wirken auch die veränderten Wetterbedingungen. "Wenn es zwei, drei Tage stark regnet, dann bewegt sich der Hauptspalt des Hochvogels fünf- bis sechsmal so schnell wie normal", so Krautblatter.
Auch Blitzschläge spielen eine Rolle, wie die Instrumente zeigen. Verglichen mit historischen Daten stellte das Team fest: "Diese zeigen uns auch, verglichen mit anderen Aufzeichnungen, dass sich diese Starkregen in den letzten hundert Jahren verdoppelt haben." Das erhöhe "auch die Gefahr des Hochvogel-Abbruchs".
- Interview mit Michael Krautblatter
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