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Im Kopf von Russlands Präsident Wladimir Putin: "Ein kranker Mann"


Tagesanbruch
Wie kommen wir aus dieser Zwickmühle heraus?

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 13.07.2023Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin: Was der russische Präsident wohl denkt? (Quelle: Pavel Bednyakov/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wissen Sie, wohin Ihre nächste Reise geht? Vermutlich schon, in vielen Bundesländern haben die Sommerferien bereits begonnen. Vielleicht bleiben Sie auf Balkonien oder reisen klimaschonend nur wenige Kilometer von Ihrem Wohnort entfernt in ein kleines Ferienhäuschen. Vielleicht fliegen Sie wieder auf dieselbe Insel und wohnen im selben Hotel, das Sie schon jahrelang kennen. Oder Sie machen eine Fernreise an einen sehr fernen Ort, der auf der Landkarte unerreichbar wirkt.

Ich habe mich in den vergangenen Monaten auch häufig an einen sehr fernen, unerreichbaren Ort gewünscht. Allerdings meine ich damit kein Reiseziel, sondern: den Kopf von Wladimir Putin.

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Wie es da wohl aussieht? Ist es die Schaltzentrale eines rücksichtslos brutalen, aber politisch trotzdem hochintelligenten Masterminds? Oder ist es doch eher eine recht einfach eingerichtete Stube, deren Hausordnung die krude Weltsicht des russischen Präsidenten offenbart?

Uns treibt es um, was in ihm vorgeht. Wie oft begannen Politiker und Experten in den vergangenen Monaten ihre Ausführungen mit den Worten "Ich kann nicht in Putins Kopf schauen, aber…"

Das ist auf der einen Seite verständlich: Spätestens seit dem 24. Februar 2022 weiß jeder, dass Putins Truppen die Ukraine als freien Staat vernichten wollen. Hat er damit Erfolg, könnte er auch andere Länder bedrohen. Doch unsere politischen Entscheider sollten sich nicht zu sehr von der Frage leiten lassen, was der Kreml-Herrscher denkt.

Und dennoch schien genau das zuletzt der Fall gewesen zu sein. Wer sich die Beschlüsse des Nato-Gipfels in Vilnius anschaut, könnte zu dem Schluss kommen, dass der russische Präsident bei den Verhandlungen auch ohne Einladung mit am Tisch saß – zumindest aus Sicht der Ukraine.

Auch wenn uns viele Politiker in Vilnius einen großen Erfolg verkaufen wollen: Einem baldigen Nato-Beitritt ist das Land keinen entscheidenden Schritt näher gekommen. Ein konkreter Zeitrahmen, eine ausgearbeitete Strategie, wie das Land nach Kriegsende in das Bündnis eintreten kann, ist in der Abschlusserklärung nicht zu erkennen. Stattdessen stellen die Nato-Staaten nebulöse Bedingungen an die Ukraine, die sie bis zu einem Beitritt erfüllen muss.

An dieser Stelle setzen die Beschlüsse Putin nicht unter Druck. "Russland hat dadurch ein Veto und einen Anreiz, den Krieg nicht zu beenden", sagte mir die Sicherheitsexpertin Claudia Major vor Beginn des Gipfels – und wies darauf hin, dass das Bündnis auch schon mal eine andere Lösung fand: Die Nato nahm nämlich 1955 ein geteiltes Land auf. Es war die Bundesrepublik Deutschland. Beide Situationen lassen sich natürlich nicht eins zu eins miteinander vergleichen. Das Beispiel zeigt aber: Die Nato hatte in der Vergangenheit auch schon kreativere Lösungen gefunden.

Möglicherweise wollte das Bündnis mit seiner Entscheidung keine Gegenreaktion aus Russland provozieren. Immerhin sitzen Putin und sein Gefolge weiter auf ihrem Arsenal von Atomwaffen, die sie immer wieder als Drohkulisse nutzen. Vielleicht wurde auch befürchtet, dass ein zu entschiedenes Vorgehen das zuletzt etwas wacklige Regime des russischen Präsidenten ins Wanken bringt. Und wer weiß schon, ob ein Russland ohne Putin in Zukunft nicht noch gefährlicher sein wird.

Es ist ein Dilemma. Wir wollen uns gegen die aggressive Politik aus Moskau wehren, dadurch aber nicht eine noch schlimmere Gegenreaktion verursachen. Doch wie kommen wir aus dieser Zwickmühle heraus?

Was die atomare Bedrohung Russlands angeht, erhielt ich vor einigen Monaten einen simplen wie mir einleuchtenden Rat. Er stammt von dem bekannten Kremlkritiker Leonid Wolkow: "Die Position des Westens muss lauten: Wir tun, was wir tun müssen. Putin ist ein kranker Mann – und es gibt keinen Weg, wie wir ihn beeinflussen können. Er wird den verdammten Knopf irgendwann drücken, oder eben nicht", hatte er mir im vergangenen Herbst gesagt.

Was der Kremlkritiker uns sagen will: Der Blick in Putins Kopf hilft nicht weiter. Nach dem Putschversuch von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist die Situation noch mal komplizierter geworden: Möglicherweise wird es in Zukunft gar nicht mehr Putin sein, der auf den Atomknopf drückt, sondern jemand anderes, der möglicherweise noch viel rücksichtsloser oder brutaler agiert.

Auf einen Zerfall Russlands sollte sich der Westen einstellen, aber deswegen nicht vor Angst erstarren. Die innerrussischen Machtkämpfe wird der Westen kaum beeinflussen können. Der Marsch Prigoschins auf Moskau lieferte einen Vorgeschmack, als sich die westlichen Regierungen für einige Stunden wie ein Zaungast der Weltgeschichte fühlten.

Was Russland tatsächlich als Provokation wahrnimmt und was nicht, liegt ebenso wenig in unserem Einfluss. Die russischen Propagandisten werten jeden unserer Schritte als Affront, wenn sie es denn wollen. Das beste Beispiel ist der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew: Der fantasiert seit Monaten von immer neuen Weltuntergangsszenarien und spuckt nahezu täglich neue Drohkulissen aus. "Der Dritte Weltkrieg rückt näher", antwortete er etwa auf die neuen Beschlüsse der Nato.

Was wir aber sehr wohl beeinflussen können, ist, wie wir uns und die Ukraine vor der russischen Bedrohung besser schützen können. Immerhin, unter diesem Gesichtspunkt war der Nato-Gipfel keine völlige Enttäuschung: Deutschland und andere Staaten haben weitere Waffenlieferungen angekündigt – und die Nato hat erstmals seit dem Kalten Krieg wieder konkrete Verteidigungspläne im Falle eines Angriffs beschlossen. Dass diese Pläne jemals zum Einsatz kommen, will hoffentlich niemand. Aber dass sie in der Schublade liegen, kommt vielleicht auch im Kopf von Wladimir Putin an.


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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Donnerstag. Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie.

Herzliche Grüße

Ihr

David Schafbuch
Redakteur Politik, Wirtschaft & Gesellschaft
Twitter: @Schubfach
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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