Tagesanbruch Jetzt kracht's
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
heute dürfen Sie sich gleich wieder hinlegen. Das heißt, natürlich können Sie sich auch an den Frühstückstisch begeben. Sogar aus dem Fenster dürfen Sie schauen. Das war's dann aber auch, mehr sollte nicht drin sein. Die Fenster lassen Sie unbedingt geschlossen, und die Haustür erst recht. Nach draußen setzen Sie bitte keinen Schritt. Jedenfalls dann, wenn Sie unbeschadet durch diesen Freitag kommen wollen, und das setze ich mal voraus. So vorsichtig sollten Sie sein, wenn Sie irgendwo zwischen Deutschlands Ostgrenze und dem Alpenrand leben, also in einem ziemlich großen Gebiet.
Für mehrere Bundesländer hat der Deutsche Wetterdienst eindringliche "Gefahreninformationen" veröffentlicht: Thüringen, Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Teile Hessens sind betroffen, auch für den Norden gibt es Warnungen. Überall dort kann es ab heute richtig krachen: Donner, Blitze, Hagel, Regenmassen. Wir reden hier nicht von Schauern, wie sie halt im Frühjahr immer wieder runterkommen. Wir reden vom nächsten drohenden Jahrhunderthochwasser. Denn Meteorologen erwarten, "dass die Pegelhöhe von Gewässern und die Abflussmenge des Regenwassers einen Wert erreichen, der über dem statistischen Mittelwert der letzten hundert Jahre liegt".
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Was in der Bürokratiesprache kompliziert klingt, kann im echten Leben einfache Folgen haben: örtliche Katastrophenlagen. Sie wissen ja, dass wir Tagesanbruch-Autoren nicht zum Alarmismus neigen, dass wir uns stets darum bemühen, gelassen zu bleiben und in jeder Dunkelheit auch einen Lichtblick zu erspähen. Heute könnte es beim Blick in den Himmel allerdings vielerorts schwierig werden, überhaupt irgendetwas zu erkennen. Vielleicht haben wir alle miteinander Glück, die Wetterfrösche täuschen sich und es kommt alles nicht so schlimm. Dann dürfen Sie mich gern als doofe Unke beschimpfen.
Rüsten sollte man sich für den Extremfall aber unbedingt. Die Einsatzkräfte tun das jedenfalls. Unser wettergestähltes Panorama-Team unter der Leitung meiner Kollegin Simone Rafael hat gestern mit Technischem Hilfswerk, Feuerwehr und Polizei gesprochen und den Eindruck gewonnen: Die Sicherheitskräfte sind vorbereitet auf das, was da kommt. Einsatzwagen, Pumpen, Sandsäcke stehen bereit.
Die könnte es heute und am Wochenende massenhaft brauchen: Bis zu 150 Liter Regen pro Quadratmeter könnten stellenweise vom Himmel prasseln. Das wäre so, als würde auf die Fläche eines Fußballfeldes der Inhalt von 7.000 Badewannen donnern. Ortsweise könnten es sogar 220 Liter werden. So muss sich Noah gefühlt haben, als er seine Arche zu Wasser ließ, um sich vor der Sintflut zu retten.
Die Wassermassen werden auf einen gesättigten Boden treffen, denn es hat schon in den vergangenen Wochen viel geregnet. Deshalb ist mit Überschwemmungen zu rechnen, Bäche könnten sich blitzartig in reißende Ströme verwandeln. Der Wetterdienst warnt vor "Gefahr für Leib und Leben durch Überflutungen", vor Erdrutschen und Aquaplaning auf den Straßen – und schärft allen Bürgern ein: "Zu Hause bleiben! Versuchen Sie, Verabredungen oder Termine zu verschieben!"
So viel zur heutigen Lage. Nun dürften Sie hellwach sein, und ich belasse es bei den Unkenrufen. Über alles Weitere halten Sie meine Kollegen in unserem Wetter-Newsblog auf dem Laufenden. Ob auch Ihr Wohnort betroffen ist, sehen Sie hier.
Nur einen Gedanken gebe ich Ihnen noch mit auf den Weg in den Tag (selbst wenn der sich heute zwischen Küche, Wohn- und Arbeitszimmer abspielt): Zwar sind einzelne Extremwetterereignisse noch kein direkter Beleg für den Klimawandel. Analysen der vergangenen 70 Jahre zeigen dem Deutschen Wetterdienst zufolge jedoch klipp und klar: Sowohl die Intensität als auch die Häufigkeit von "Starkniederschlags-Tagen" nimmt zu. Die aufgewärmte Atmosphäre saugt mehr Feuchtigkeit auf – die sie dann als Regen wieder abgibt. Je stärker sich der Globus erhitzt, desto häufiger und heftiger werden also die Unwetter. Die Ahrtal-Flut vor drei Jahren verursachte Schäden in Höhe von 40,5 Milliarden Euro, es war das teuerste Extremwetterereignis in der deutschen Geschichte. Oft kann sich selbst unser wohlhabendes Land so etwas nicht mehr leisten. An besserem Unwetter- und vor allem konsequentem Klimaschutz führt deshalb kein Weg vorbei. Und das geht jeden etwas an.
Raus fürs Klima?
Neun Tage vor der Europawahl will Fridays for Future heute eigentlich großflächig für Klimaschutz und Demokratie demonstrieren. In mehr als 90 deutschen Städten und in zwölf EU-Staaten sollen Proteste stattfinden. Größere Kundgebungen sind unter anderem in Berlin vor dem Brandenburger Tor sowie in Hamburg und München geplant. Angesichts der Wetterlage dürfte es allerdings sicherer sein, im Wohnzimmer zu demonstrieren.
Trump ist schuldig
Fünf Wochen lang saßen die zwölf Geschworenen im New Yorker Gerichtssaal, lauschten den Argumenten von Anklägern und Verteidigern: Nun hat die Jury im historischen Schweigegeldprozess gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ihr Urteil gefällt: Er ist schuldig! Und zwar in allen Punkten. Juristisch mag die Entscheidung angesichts der erdrückenden Vorwürfe nicht ungewöhnlich sein – politisch ist sie eine Sensation. Mitten im Wahlrennen um das mächtigste Amt der Welt bekommt einer der beiden Kandidaten einen tonnenschweren Rucksack aufgebürdet: Trump ist vorbestraft. Amerikanische Politik-Auguren prophezeiten für diesen Fall schon vor Wochen, dass ihm viele Anhänger den Rücken kehren würden. Trumps treueste Fans hingegen könnte das Urteil womöglich sogar enger zusammenschweißen, sie wittern ja eh eine angebliche Verschwörung gegen ihren blonden Messias.
Wie geht es nun weiter? Im nächsten Schritt wird der Richter das Strafmaß verkünden, das soll am 11. Juli passieren. Trumps Anwalt will dann rechtlich gegen das Urteil vorgehen. Die Strafe könnte eine Geldstrafe werden. Oder eine Haftstrafe zur Bewährung. Oder – ja, selbst das ist möglich – sofortiger Knast: Dann muss Trump ins Gefängnis. Für die Welt, darauf lege ich mich jetzt einfach mal fest, wäre das eine gute Nachricht. Dieser Mafioso sollte nicht frei herumlaufen, und erst recht nicht sollte er wieder über Krieg und Frieden, Klima- und Außenpolitik entscheiden dürfen. Aber ich bin vielleicht nicht der kompetenteste Kommentator in dieser Angelegenheit. Unser USA-Korrespondent Bastian Brauns, der Trump seit Monaten aus der Nähe beobachtet und wochenlang mit im Gerichtssaal saß, kann das besser beurteilen. Deshalb sollten Sie seinen Kommentar unbedingt lesen.
Schießfreudige Kicker
Die Vorfreude aufs Champions-League-Finale steigt, in dem sich am Samstagabend in London Borussia Dortmund und Real Madrid gegenüberstehen. Nicht nur der Umstand, dass die beiden Mannschaften zum ersten Mal in einem europäischen Endspiel aufeinandertreffen, sorgt für Spannung. Aus deutscher Sicht wird die Partie auch durch die Frage aufgeladen, welcher scheidende Ausnahmekicker sich im legendären Wembley-Stadion sein Karriereende vergolden kann: der Dortmunder Marco Reus, der seinen Herzensclub danach verlässt, oder Real-Regisseur Toni Kroos, der mit der Nationalelf noch die Heim-EM bestreitet und danach abtritt?
Trotz dieser prickelnden Ausgangslage haben es die Dortmunder allerdings geschafft, dass vor ihrem wichtigsten Spiel seit zehn Jahren über ganz andere Dinge diskutiert wird: Seit Vereinsboss Hans-Joachim Watzke am Mittwoch mit salbungsvollen Worten einen Sponsoring-Deal mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall vorgestellt hat, bricht sich in der Fanszene Empörung Bahn. Auch der Sportbeauftragte der Evangelischen Kirche kritisierte die Werbepartnerschaft als "Grenzüberschreitung" und "hochproblematisch". Positive Reaktionen gab es dagegen von überraschender Seite: Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck meldete sich mit der Einschätzung zu Wort, der Deal spiegele "sicherlich auch ein Stück weit die Realität der Zeitenwende wider".
Ohrenschmaus
Heute ist der Tag des Nachbarn. Ich habe diesbezüglich großes Glück gehabt. Und empfehle daher guten Gewissens diesen erfrischenden Song.
Lesetipps
Politiker der Grünen werden beschimpft, bedroht und angegriffen. Im Osten ist das besonders schlimm – auch weil es hier so wenige gibt. Unser Reporter Johannes Bebermeier war mit einer Grünen-Politikerin in Sachsen unterwegs.
Kaum ist das Rentenpaket durchs Bundeskabinett, mahnt die FDP weitere Reformen an: Was taugen Vorschläge wie das Aus für die Rente mit 63 oder die Einbeziehung von Beamten? Meine Kollegin Christine Holthoff erklärt es Ihnen.
Steffen Henssler hat sich mit Restaurants und Koch-Shows einen Namen gemacht. Nun erschüttern unappetitliche Vorgänge sein Gastro-Reich, berichtet meine Kollegin Melanie Habeck.
Immer mehr Menschen sind einsam. Meine Kollegin Laura Helbig hat die Ergebnisse des "Einsamkeitsbarometers" von Familienministerien Lisa Paus zusammengefasst.
Zum Schluss
Der Kanzler meint bekanntlich, jedes Problem lösen zu können.
Ich wünsche Ihnen einen geselligen Tag und trockene Füße.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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