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Hochwasser – und Politiker starren mal wieder auf Sandsäcke


Tagesanbruch
Das ist haarsträubend

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 05.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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Hochwasser in Bayern - ReichertshofenVergrößern des Bildes
Politiker, die auf Sandsäcke starren: Es ist Hochwasser. (Quelle: Sven Hoppe/dpa/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

jetzt waten sie wieder durch den Schlamm. Werfen sich Regenjacken über und stecken die Füße in die Gummistiefel, bestaunen Sandsäcke, schütteln Feuerwehrleute-Hände.

Wer so glücklich ist, in diesen Tagen keine Zentner Schlamm aus seinem Keller schippen zu müssen, kann in den Medien die übliche Hochwasserinszenierung der Politik verfolgen. Scholz, Söder, Habeck, Aiwanger – sie alle tun es. Und sicher: Anteilnahme und Fürsorge sind wichtig. Nur sorgen Spitzenpolitiker kurz vor dem Wahltag mit diesen Bildern viel mehr für sich selbst als für die Bürger, deren Gemeinden sie besuchen.

Bei den derzeitigen Bildern aus dem Süden Deutschlands muss ich an das Hochwasser im Juli 2021 in Westdeutschland denken. Teile meiner Familie leben in der Region, bei ihnen brach damals die blanke Panik aus. Der Katastrophenfall wurde ausgerufen, Straßen evakuiert, meine Verwandten mussten ihr Haus in Windeseile verlassen, packten die Kinder, suchten die Katze, schalteten schnell nur noch den Strom ab.

Am Ende zählten sie zu den Glücklichen. Während Orte in der Region versanken, verschonte das Hochwasser große Teile des Orts und auch ihre Straße. Obwohl diese nah am Fluss liegt, gab es keine Toten und vergleichsweise wenig Schaden.

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Warum? Glück gehörte dazu – aber auch ein Hochwasser-Rückhaltebecken in der Mulde eines ehemaligen Tagebaus. In Betrieb bereits seit 2012, errichtet für ein paar Millionen Euro, ausgelegt auf ein Hochwasser, wie es statistisch eigentlich nur alle hundert Jahre zu erwarten ist. Es ist eben nicht so, als ließe sich gar nichts tun.

Natürlich kann die Politik die Wasserfluten nicht verhindern, die vom Himmel kommen. Doch sie kann sich bemühen, sie dorthin zu lenken, wo sie keinen oder kaum Schaden anrichten. Und das wäre eigentlich ihre Pflicht, angesichts der immer häufigeren Extremwetterereignisse sogar mit höchster Dringlichkeit. Lieber aber diskutiert man jetzt mit Verve über Elementarpflichtversicherungen für alle Bürger. Pssst, über Prävention lieber schweigen, wenn es nicht gerade die Medien aus einem herausholen. Das ist haarsträubend, das ist die falsche Priorität.

Doch ist es verständlich, denn die Politiker kennen ja selbst die Bilanz. Bund und Länder nämlich haben bereits 2013 ein großes Programm auf den Weg gebracht, um dem Wasser im Notfall mehr Raum zu geben: das "Nationale Hochwasserschutzprogramm". Bitter aber sind die Zahlen nach mehr als einer Dekade: Von 168 Maßnahmen bundesweit sind nur 15 Prozent im Bau oder abgeschlossen. Der Rest steckt in der Vorplanung, in der Konzeption, in der Genehmigungs- oder Vergabephase.

Und auf Länderebene sieht es oft nicht besser aus. In Bayern wollte die Staatsregierung sieben große Flutpolder bis 2020 fertigstellen – bis heute sind nur zwei davon verwirklicht.

Zugegeben: Die Umsetzung ist nicht einfach. Es braucht Geld, Bauarbeiter, Genehmigungen, große freie Flächen – und nicht zuletzt Bürger, die nicht blockieren, sondern unterstützen. Prioritätensetzung aber könnte einiges beschleunigen. Die Corona-Krise hat eindrücklich gezeigt, was dann alles möglich ist. Auch, die Bürger zum Mitmachen zu bewegen. Hochwasserschutz aber hat oft nur dann Priorität, wenn gerade Hochwasser ist.

Bayerns Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger ist für diese Haltung ein schönes Beispiel. 2018 bezeichnete er Flutpolder noch als überflüssig, "weil so ein Polder ja nur alle hundert Jahre mal geflutet wird". Erstaunlich auch die analytische Schärfe bei Bundeskanzler Olaf Scholz, wenn der in Bayern konstatiert: "Das ist in diesem Jahr das vierte Mal, dass ich in ein konkretes Einsatzgebiet gehe und mir anschaue, was dort ist."

Ja, mei, kann man da nur seufzen. Anschauen, was dort ist – viel mehr wird nicht bleiben, wenn die Politik weiter so agiert.


Was steht an?

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Zum Schluss

Wahre Größe kommt von außen ...

Ich wünsche Ihnen einen schönen Mittwoch. Morgen begleitet Camilla Kohrs Sie in den Tag.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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