t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

Christian Lindner: Ist der FDP-Politiker wirklich Freund der Bundeswehr?


Tagesanbruch
Ein ungeheurer Verdacht

  • Daniel Mützel
MeinungVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 26.07.2024Lesedauer: 8 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Lindner mit der tragbaren Fliegerfaust 2 Stinger: Instagram-König statt Bundeswehranwalt?Vergrößern des Bildes
Lindner mit der tragbaren Fliegerfaust 2 Stinger: Instagram-König statt Bundeswehranwalt? (Quelle: Christian Lindner/Instagram)

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

eines muss man Christian Lindner lassen: in puncto Selbstvermarktung ist der Finanzminister der heimliche Kanzler dieser Koalition.

Jüngstes Beispiel: Lindners Besuch bei der Flugabwehrraketengruppe 61 in Todendorf vor zwei Wochen. Auf Instagram präsentierte sich der FDP-Chef hinterher mit Flecktarn, Feldmütze und Fliegerfaust. Mimik und Gestik verschmelzen zu einer katalogreifen Gesamtkomposition: entschlossener Blick, perfekt gestutzter Bart, ein kräftiger Unterarm hilft beim Zielen. Mehr geht PR-technisch nicht.

Auch wenn das Netz erwartbarerweise schäumte ("Kriegspropaganda!", "Selbstdarstellung!"), war es für Lindner ein gelungener Termin. Denn die Kritik an Lindners wohl kalkulierter Inszenierung übersieht die eigentliche Botschaft der Fotoserie: Der FDP-Chef ist ein Mann der Truppe. Er kennt ihre Sorgen, geht auf Tuchfühlung mit den Soldaten, hat keine Berührungsängste beim Bedienen einer Waffe.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Gestatten: Christian Lindner, Minister, Major der Reserve, Anwalt der Bundeswehrinteressen.

Allein: Ist er das wirklich?

Zweifel an diesem öffentlichen Image sind durchaus angebracht. Zuletzt schien es sogar so, als gebe es einen doppelten Lindner: Der eine Lindner zeigt sich gerne in Uniform, schmückt den Lebenslauf mit seinem Reservedienstgrad, predigt seit Monaten über "harte Sicherheit", für die Deutschland mehr Geld ausgeben müsse.

Der andere Christian Lindner ist nicht nur von Beruf Finanzminister, sondern auch aus vollem Herzen: Die Bundeswehr scheint ihm zwar wichtig, aber wiederum nicht so wichtig, dass er andere politische Überzeugungen dafür hintanstellt. Etwa einen Haushalt zu entwerfen, der die Schuldenbremse einhält. Wenn dann die Bundeswehr eben doch nicht das bekommt, was sie braucht, ist das offenbar verkraftbar.

Ein ungeheurer Verdacht drängt sich auf: Ist dem früheren Kriegsdienstverweigerer und heutigen Reserveoffizier die Bundeswehr am Ende doch nicht so wichtig, wie er gerne tut?

Kurze Rückblende. Es war der 28. Februar 2022, vier Tage nachdem Putin die Invasion der Ukraine befohlen und die europäische Friedensordnung in Schutt und Asche gelegt hatte. Lindner, damals der Einzige im Kabinett mit etwas Bundeswehrerfahrung, gab den Deutschen an diesem Tag ein Versprechen. "Unser Ziel, auch mein Ziel, ist, dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsfähigsten, schlagkräftigsten Armeen in Europa bekommen. Eine der am besten ausgerüsteten Armeen in Europa, weil das der Bedeutung Deutschlands, unserer Verantwortung in Europa entspricht", so Lindner damals.

Das waren große Worte, die Tatendrang und Überzeugung versprühten. Sie sollten zudem eine zutiefst verunsicherte Republik beruhigen. Wer würde sich schon mit einer der schlagkräftigsten Armeen in Europa anlegen?

Heute, über zwei Jahre später, hat Lindner seinen inneren Soldaten offenbar stillgelegt. Von seinen vollmundigen Versprechen ist bei Lichte betrachtet nicht viel übrig geblieben. Vor allem in der entscheidenden Frage der Finanzierung muss sich die Truppe eingestehen: Ein Verbündeter der Bundeswehr ist Lindner womöglich nicht. Der Finanzminister, der sich gerne als Freund der Truppe inszeniert, kneift, wenn es darauf ankommt.

Beim zentralen politischen K(r)ampf der letzten Monate, den Haushaltsverhandlungen 2025, zeigte sich deutlich, wie Lindners Reden und Handeln auseinanderfällt. Der Haushaltsentwurf der Ampel sieht im nächsten Jahr 1,25 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr vor (insgesamt rund 53 Milliarden). Zwar argumentiert Lindner, dass der Wehretat im Vergleich zu den anderen Einzelplänen der Ministerien immerhin aufgestockt werde. Der zuständige Minister Boris Pistorius (SPD) hatte jedoch 6,7 Milliarden Euro gefordert, unter anderem weil die steigenden Betriebs- und Personalkosten den Großteil des Etats verschlängen. Für die Ausstattung der Truppe bliebe immer weniger übrig, so Pistorius, es drohe gar ein "Rüstungsstopp".

Doch Lindner blieb hart und ließ den Verteidigungsminister ins Leere laufen. Nicht zum ersten Mal: Schon beim Haushalt 2024 servierte Linder Pistorius mit einem Bruchteil dessen ab, was dieser für die Modernisierung der Streitkräfte gebraucht hätte.

Damit hat Lindner seine Prioritäten klar benannt: Die Anliegen der Bundeswehr stehen bei ihm offenbar nicht an erster Stelle.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch: Lindner ist nicht der Einzige, der kneift. Auch Kanzler Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) haben den Haushalt mit aufgestellt, der den Streitkräften die nötigen Mittel versagt. Nicht zufällig wird gerade von FDP-Kreisen die Erzählung gestreut, Scholz sei der eigentliche Schuldige, der damit seinem innerparteilichen Konkurrenten Pistorius eins auswischen wollte.

Ob das stimmt, teilweise stimmt oder gar nicht, ist zweitrangig: Am Ende des Tages trägt der Finanzminister die Verantwortung für den Haushalt. Hinter dem Kanzler verstecken kann sich Lindner also nicht. Ebenso wenig taugt das Argument der Liberalen, dass fast das halbe Ampelkabinett mehr Geld gefordert habe, der Finanzminister aber angesichts knapper Kassen nicht alle Wünsche bedienen könne. Das mag zutreffen, ebenso wie die Tatsache, dass die Ampel ein riesiges Haushaltsloch zu stopfen hatte.

Aber die Forderung nach einer angemessenen Ausstattung der Streitkräfte abzutun, als sei sie eben eine unter vielen, wird – so monieren es viele – der aktuellen Lage nicht gerecht. Russland droht an der Ukraine-Front an mehreren Stellen durchzubrechen. Der Kreml zündelt in den Nachbarländern und führt längst einen hybriden Krieg gegen den Westen. Die Bedrohung durch das Putin-Regime, darin sind sich die meisten einig, wird in den nächsten Jahren eher wachsen statt schwinden.

Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis

Dafür sprechen allein schon die gewaltigen Rüstungsanstrengungen, die Russland unternimmt: Trotz Sanktionen konnte der Kreml seine Kriegswirtschaft in beeindruckender Weise hochschrauben: Bis zu 1.500 Panzer fertigen russische Militärfirmen pro Jahr, so eine aktuelle Schätzung von Generalinspekteur Carsten Breuer. Das Kriegsgerät soll dabei längst nicht mehr nur für den Ukraine-Feldzug produziert werden: "Wir beobachten, dass die russische Armee Richtung Westen ausgerichtet wird", so Breuer kürzlich im "Tagesspiegel".

Eine gefährliche Dynamik, die nicht erst seit gestern zu beobachten ist. Grund genug für die politisch Verantwortlichen hierzulande, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: moderne, einsatzbereite Streitkräfte aufzustellen, um die aggressive Clique im Kreml von weiteren Kriegsabenteuern abzuschrecken.

Bis 2029 muss die Bundeswehr in der Lage sein, im Nato-Verbund auf einen möglichen russischen Angriff gegen die Allianz zu reagieren. Doch die Probleme der Truppe bestehen weiter: zu wenig Personal, zu wenig Material, zu wenig Geld. Umso wichtiger wäre es gewesen, wenn die Haushaltseinigung hier ein klares Zeichen gesetzt hätte.

Entsprechend hart kritisiert auch der Bundeswehrverband den Entwurf aus Lindners Haus: Ein Zuwachs von 1,25 Milliarden werde keinesfalls der aktuellen Bedrohungslage gerecht, so Verbandschef André Wüstner Anfang Juli. Die Truppe sei "verwundert, größtenteils schockiert" über den Ampelplan.

Lindners Blockade ist zudem eine riskante Wette auf die Zukunft: Laufen die Nato-Verteidigungspläne auf das Jahr 2029 zu, wenn erstmals mit einem möglichen russischen Angriff gerechnet werden muss, klafft im deutschen Wehretat ausgerechnet im Jahr davor eine riesige Lücke:

In der mittelfristigen Finanzplanung, in der die Bundesregierung grob die Ausgaben der nächsten Jahre veranschlagt, erhöht sich das Verteidigungsbudget auf geradezu magische Weise: Sind bis 2027 pro Jahr rund 50 Milliarden Euro vorgesehen (zusätzlich zu den jährlich 20 Milliarden aus dem Sondervermögen), springt der Betrag im Jahr 2028 plötzlich auf 80 Milliarden.

Wie die wundersame Vermehrung über 30 Milliarden Euro vonstattengehen soll, kann auch der Finanzminister nicht erklären. Anstatt den Etat 2025 und in den Folgejahren schrittweise zu erhöhen – so wie es Pistorius vorgesehen hatte –, schiebt Lindner das Problem einfach der nächsten Regierung zu. Es ist die Nach-Mir-Die-Sintflut-Version einer Haushaltsplanung.

Dabei ist das Problem gar nicht per se, dass die FDP auf die Einhaltung der Schuldenbremse pocht oder Steuererhöhungen ausschließt. Das Problem ist, dass sie kein alternatives Konzept vorschlägt, wie man den Bedarf der Bundeswehr verlässlich und langfristig finanzieren kann. Mit schärferen Bürgergeldsanktionen oder gestrichenen Entwicklungsprojekten lassen sich kaum die Summen mobilisieren, die es braucht, um moderne Streitkräfte aufzustellen.

Das gilt auch für das Hoffen auf die "Wirtschaftswende", die in der Vorstellung der FDP irgendwann frisches Geld in die Staatskasse spülen soll: Was, wenn sie nicht eintritt oder nicht in der gewünschten Schlagkraft? Hat die Bundeswehr dann wieder das Nachsehen? Im Zweifel lässt sich Putin durch schuldenfinanzierte Streitkräfte eher abschrecken als durch Deutsche, die auf den Konjunkturboom warten.

Dass der Schuldenbremse-Ultra Lindner auch anders kann, zeigt sich an anderer Stelle: Lindners Haus hatte zuletzt mehrere milliardenschwere Rüstungsprojekte genehmigt, die haushalterisch nicht hinterlegt sind. Darunter wichtige Großprojekte wie Fregatten, Leopard-Panzer und Flugabwehrsysteme. Finanziert werden sollen sie mit sogenannten Verpflichtungsermächtigungen, also künftigen Schulden. Eine gängige Praxis, die nun aber neue Dimensionen erreicht.

Wie das zu einer soliden Haushaltspolitik im Sinne der Schuldenbremse passt, bleibt das Geheimnis des Finanzministers. Aber, das muss man Lindner zugestehen: Immerhin zeigt er guten Willen. Warum nicht mehr davon, Herr Finanzminister?


Was steht an?

Trump trifft Netanjahu: Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump empfängt am Freitag Israels Premier Benjamin Netanjahu in Trumps Anwesen in Florida. Tags zuvor sprach Netanjahu im US-Kongress und traf sich mit Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris. Pikant: Harris hatte Netanjahus Rede im Kongress geschwänzt, was dieser als indirekte Kritik an seiner Kriegsführung in Gaza verstanden haben dürfte. Bei seinem Auftritt im Kongress verzichtete Israels Premier zudem auf eine Brücke zu den US-Demokraten – und wird vermutlich auf einen Wahlsieg Trumps im November hoffen.


Friedenssignale aus China? Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba setzt am Freitag seine China-Reise fort, um eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg auszuloten. Rückendeckung erhält Kuleba dabei von seinem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der sagte: "Es gibt ein klares Signal, dass China die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine unterstützt." China ist der wichtigste Verbündete Russlands.


Nicht im Stadion, sondern auf dem Wasser: In Paris werden die Olympischen Spiele offiziell eröffnet. Rund 90 Boote werden am Abend über die Seine gleiten – vorbei an Sehenswürdigkeiten wie der Kathedrale Notre-Dame und dem Louvre bis hin zum Trocadéro direkt am Eiffelturm. Das deutsche Team wird auf Boot sieben unterwegs sein. Unsere beiden Reporter Melanie Muschong und Alexander Kohne sind bereits vor Ort und werden Ihnen jeden Morgen eine "Postkarte aus Paris" senden. Die erste Ausgabe können Sie hier lesen.


Lesetipps

Die Ära des Friedens ist vorbei, in Europa herrscht wieder Krieg. Ist Deutschland für die neue Bedrohung gerüstet? Eher nicht, sagt der Militärexperte Mike Martin im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke – und erklärt, was nun dringend getan werden muss.

Elf Minuten lang erklärte US-Präsident Joe Biden dem amerikanischen Volk, warum er seine Präsidentschaftskandidatur zurückzieht. Wie ist die Rede zu bewerten und was sie für den US-Wahlkampf bedeutet? Darüber hat mein Kollege Mauritius Kloft mit der US-Expertin Laura von Daniels gesprochen.

Das Krawallportal "Nius" um den Ex-Chef der "Bild", Julian Reichelt, erhält häufiger Post vom Gericht. Dieses Mal wollte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Formulierungen in einem "Nius"-Text untersagen lassen. Was genau dahintersteckt, hat mein Kollege Lars Wienand recherchiert.


Zum Schluss

Baldrian war gestern. Heute hilft Ihnen "Sleepy Joe" beim Einschlafen.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag!

Herzliche Grüße

Daniel Mützel
Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
X: @DanielMuetzel

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

Den täglichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren.

Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten lesen Sie hier.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website