Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Eine Rentenfrage bleibt offen

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es sind aufregende Zeiten, in denen wir leben. Aber auch Zeiten, in denen sich viele gerne aufregen. Bei der Diskussion um die Rente ließ sich das in den vergangenen Wochen wieder wunderbar beobachten: Erst schreckte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine ganze Generation mit seiner Idee des Boomer-Soli auf, dann entfachte CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche die Debatte um ein höheres Renteneintrittsalter neu. Jeder der politischen Akteure weiß dabei genau: Ein Vorstoß zur Rente schlägt fast immer Wellen. Eine sichere Bank, um Schlagzeilen zu machen. Nur ist man anschließend in der Regel leider keinen Schritt weiter.
Seit Jahren ist es die immer gleiche Leier: Die einen fordern, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln, das Ende der abschlagsfreien Frührente und ein sinkendes Rentenniveau, um jüngere Generationen nicht über Gebühr zu belasten. Den anderen ist das Rentenniveau jetzt schon zu niedrig, und einen späteren Renteneintritt halten sie für unzumutbar. Zwischendurch versucht dann noch die FDP darauf hinzuweisen, dass sie noch existiert, und wirft mal wieder ihre Aktienrente in den Ring. Große Empörung auf allen Seiten, echte Reformen: Fehlanzeige.
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Vielleicht ist es also an der Zeit, einen Schritt zurück zu machen. Das Wort "Sommerpause" ernst zu nehmen, einmal innezuhalten und sich ganz grundsätzlich zu fragen, was man eigentlich will von der Rente. Was soll das Rentensystem leisten? Wie sieht eine angemessene Altersversorgung aus? Und wie groß ist der Anteil, den gesetzliche, betriebliche und private Vorsorge jeweils beitragen sollen? Aktuell fußt die Altersvorsorge in Deutschland zwar theoretisch auf diesen drei Säulen, praktisch sind viele Bürgerinnen und Bürger aber allein über die gesetzliche Rente "abgesichert". Wenn man das überhaupt noch so nennen kann.
"Wer nicht weiß, wo er hinwill, darf sich nicht wundern, wenn er woanders ankommt", soll der Schriftsteller Mark Twain einst gesagt haben. Im heutigen Projektmanagement würde man noch hinzufügen, das Ziel müsse nicht nur benannt, sondern auch SMART sein: spezifisch (S), messbar (M), erreichbar (achievable, A), relevant (R) und terminiert (T). Es reicht also nicht, wenn CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbaren, "die Alterssicherung für alle Generationen auf verlässliche Füße" zu stellen. Was soll das bedeuten? Dass man sich darauf verlassen kann, dass die Rente fließt, aber nicht in welcher Höhe?
Wer im Koalitionsvertrag weiterliest, stößt zum Glück noch auf einen anderen Satz: "In einer Rentenkommission werden wir eine neue Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Rentensäulen prüfen." Klingt etwas sperrig, hat aber großes reformpolitisches Potenzial. Denn es würde bedeuten, dass sich die Rentenkommission nicht nur mit all den bekannten Vorschlägen zur Finanzierung des Rentensystems beschäftigt, sondern zunächst mal definiert, wie viel Geld es für ein gutes Leben im Alter braucht – und erst im Anschluss überlegt, auf welchem Weg man dieses Ziel am besten erreichen kann.
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Damit wäre auch eine ehrliche Bestandsaufnahme verbunden. Wie steht es um die gesetzliche, betriebliche und private Vorsorge aktuell? Und wie viel trägt jede Säule wirklich zur Versorgung im Alter bei? Wer das Ziel messbar macht, kann zudem objektiv prüfen, ob politische Maßnahmen dazu führen, dass man dem Ziel näher kommt. Zwar weist die Bundesregierung schon heute ein Gesamtversorgungsniveau aus, also die kombinierte Leistung aus gesetzlicher Rente und betrieblicher und privater Zusatzvorsorge. Doch diese Zahl habe "gleich mehrere Probleme", schreiben die Rentenexperten des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts bei der Hans-Böckler-Stiftung, Ingo Schäfer und Florian Blank, in einem Beitrag für die Zeitschrift "Wirtschaftsdienst".
So basiere sie etwa auf Modellrechnungen, die nur für den sogenannten Standardrentner gelten, also für Menschen, die 45 Jahre lang immer zum Durchschnittsverdienst gearbeitet haben. Das habe mit der Lebenswirklichkeit vieler Rentner jedoch wenig zu tun. Auch würden bei der Berechnung der privaten Vorsorge unrealistische Annahmen getroffen: etwa, dass jeder regelmäßig auf diese Weise spare, obwohl viele in Wahrheit gar nicht vorsorgen können. Damit sei die aktuelle Kenngröße nur ein Rechenergebnis, keine sozialpolitische Zielmarke.
Sicher, die Frage, wie hoch eine faire Rente ist, nachdem man lange im Beruf und für die Familie gearbeitet hat, wird Streit hervorrufen. Genauso die Frage, wie viele Euro davon aus der gesetzlichen Rentenkasse stammen sollten und wie viele zum Beispiel aus einer staatlich geförderten privaten Vorsorge mit Aktien. Doch es wäre sinnvoll, dass sich die Rentenkommission gleich zu Beginn ihrer Arbeit um die Antwort streitet. Dann ließen sich alle geplanten Vorhaben der Bundesregierung daraufhin abklopfen, ob sie dazu beitragen, das Ziel zu erfüllen – oder womöglich nur teure Wahlgeschenke ohne nachhaltigen Nutzen sind.
Auf schwieriger Mission
Außenminister Johann Wadephul ist seit Donnerstag in Israel, um die deutsche Haltung zum Krieg in Nahost deutlich zu machen. Nach dem Treffen mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Staatspräsident Isaac Herzog und Außenminister Gideon Saar forderte er Israel auf, im Gazastreifen auf Vertreibung und Annexion zu verzichten. Die israelische Regierung sei in der Pflicht, "schnell, sicher und ausreichend humanitäre und medizinische Hilfe zuzulassen, damit ein Massensterben im Rahmen einer Hungersnot abgewendet werden kann", so Wadephul weiter. Die humanitäre Katastrophe in Gaza übersteige jede Vorstellung.
Damit teilt Deutschland zwar das Entsetzen über die Lage in Gaza mit europäischen Partnern wie Frankreich und Großbritannien, denkt anders als diese aber weiterhin nicht an eine Anerkennung eines palästinensischen Staates. Die Zweistaatenlösung müsse am Ende eines Verhandlungsprozesses stehen, nicht am Anfang, teilte Wadephul mit. Deutschland wählt damit einen anderen Ansatz im Umgang mit Israel, versucht Netanjahus Regierung weiter als Partner zu beeinflussen.
Rote Linien zog Wadephul aber dennoch. So warnte er Israel gestern vor seinem Abflug vor einer weiteren Verschärfung der Lage: "Auf einseitige Schritte wird auch Deutschland gezwungen sein, zu reagieren." Partnerschaft hin oder her.
Was steht sonst noch an?
Neue US-Zölle: Die von Präsident Donald Trump angeordneten höheren Zölle für Dutzende Handelspartner der USA werden nach Angaben eines hochrangigen Beamten des Weißen Hauses erst am 7. August in Kraft treten. Grund der Verzögerung sei, dass den Grenz- und Zollbehörden Zeit gegeben werden soll, das neue System umzusetzen, erklärte der US-Beamte am Donnerstag (Ortszeit) vor Journalisten. Die Zölle hätten ursprünglich am 1. August in Kraft treten sollen.
Auf die meisten Einfuhren aus der EU wird künftig ein Zoll in Höhe von 15 Prozent erhoben. Bei Aluminium und Stahl bleibt es auch nach dem Deal zwischen Trump und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei 50 Prozent. Erwartet wird, dass die Zölle die Inflation in den USA antreiben und das Wachstum drosseln. Doch auch die EU dürfte Schaden nehmen.
Der Kanzler kommt: Friedrich Merz (CDU) reist am Freitag ins Saarland, wo er von Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) in der Staatskanzlei empfangen wird. Auf dem Programm stehen Besuche des Weltkulturerbes Völklinger Hütte und des Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit in Saarbrücken.
Europäischer Gerichtshof urteilt: Den Weißmacher Titandioxid, der zum Beispiel in Wandfarbe, Sonnencreme und Zahnpasta steckt, hatte die EU als krebserregend eingestuft. Dagegen wehrten sich mehrere Hersteller und Händler aber erfolgreich vor dem Gericht der Europäischen Union. Die entsprechende EU-Verordnung wurde für nichtig erklärt. Der EuGH prüft die Entscheidung nun in zweiter Instanz und verkündet heute sein Urteil. In Lebensmitteln ist Titandioxid zwar seit 2022 verboten, Forscher fanden ihn aber jüngst in Milchprodukten.
Die 2. Fußball-Bundesliga beginnt: Zum Saisonauftakt treten gleich zwei der größten Traditionsklubs gegeneinander an, die das Unterhaus zu bieten hat. Der FC Schalke 04 empfängt den selbst ernannten Aufstiegskandidaten Hertha BSC. Die neue Spielzeit bringt zudem einige Neuerungen mit sich. So werden etwa in allen Stadien Schiedsrichter-Entscheidungen per Stadiondurchsage eingeführt. In der Bundesliga gilt das bereits ab Saisonstart, in der 2. Liga erst ab dem 9. Spieltag.
Sternschnuppen-Strom der Perseiden beginnt: Anfang August ist die beste Zeit, um Sternschnuppen zu beobachten. Bis zu 30 pro Stunde kann man zu Gesicht bekommen – passendes Wetter vorausgesetzt. Die Perseiden scheinen aus dem Sternbild Perseus zu entspringen, doch ihre wahre Ursache ist wenig romantisch: Die Erde kreuzt die Bahn des Kometen 109P/Swift-Tuttle und trifft auf die von ihm verstreuten Teilchen. Diese verglühen dann als leuchtende Sternschnuppen, wenn sie in die Erdatmosphäre eintreten. Eigentlich bestaunt man also nur kosmischen Dreck. Aber schön aussehen kann der ja trotzdem.
Ohrenschmaus
Normalerweise ist es bei Liedern die Melodie, die mich packt. Bei diesem Song war es ausnahmsweise der Text. Bei Zeilen wie dieser aber auch kein Wunder: "Gott hat für das alles nur sieben Tage gebraucht // Und ich finde, genau so sieht's hier auch aus".
Das historische Bild
Am 1. August 1944 verfasste Anne Frank den letzten Eintrag in ihrem Tagebuch. Mehr lesen Sie hier.
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Hat sich die CDU-Bundestagsabgeordnete Caroline Bosbach ihren Karriereweg in den Bundestag erkauft? Meine Kollegen Lars Wienand und Bastian Brauns berichten von neuen Vorwürfen.
Donald Trump stresst die Welt mit seinem Stakkato an Verkündungen. Trotzdem sollte man ihm manchmal noch mehr Aufmerksamkeit schenken, erklärt der frühere Redenschreiber von Barack Obama, Terry Szuplat, meinen Kollegen Bastian Brauns und Marc von Lüpke.
Wer als Journalist in Kriegs- und Krisengebieten reist, kann dafür Vorbereitungskurse besuchen. Mein Kollege David Schafbuch hat es fünf Tage getestet – und weiß jetzt, was es heißt, in permanenter Angst vor einem Angriff zu leben.
Zum Schluss
Wer kann, der kann.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag! Morgen lesen Sie noch einmal von Florian Harms, am Montag schreibt dann mein Kollege Philipp Michaelis für Sie.
Herzliche Grüße
Christine Holthoff
Finanzredakteurin
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.