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Ex-Soldat prangert dramatische Zustände in Putins Armee an


"Moralische Verkommenheit"
Ex-Soldat prangert dramatische Zustände in Putins Armee an


Aktualisiert am 23.08.2022Lesedauer: 3 Min.
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Pavel Filatiev: Sein Bericht über die Zustände in der russischen Armee haben international Aufsehen erregt.Vergrößern des Bildes
Pavel Filatiev: Sein Bericht über die Zustände in der russischen Armee haben international Aufsehen erregt. (Quelle: Screenshot/Twitter@ChrisO_wiki)

Auf 141 Seiten rechnet Pavel Filatiev mit der russischen Armee ab. Der Bericht des Ex-Soldaten dokumentiert Korruption und Elend.

Das Tagebuch von Pavel Filatiev hat es in sich. Auf 141 Seiten beschreibt der russische Ex-Soldat nicht nur das grausame Debakel des Ukraine-Feldzugs, sondern auch grassierende Korruption und Missstände in der russischen Armee schon vor der Invasion. Filatievs Schilderungen seiner Militärzeit ergeben das Bild einer Institution, die sich schon lange im Niedergang befindet.

"Seit 20 Jahren bestimmen Korruption und Bestechlichkeit darüber, wer im Militär aufsteigt", schreibt Filatiev. "Die fähigsten und brauchbarsten Männer haben die Truppe schon verlassen, weil sie erkannt haben, dass sie das System nicht bekämpfen können." Die Armeeführung interessiere sich "einen Scheißdreck" für die einfachen Soldaten: "Sie lassen uns auf jede erdenkliche Weise spüren, dass wir keine Menschen sind, sondern Vieh." Karriere machen lasse sich nur durch persönliche Beziehungen und Loyalität zu System: "Wer in der Armee von heute keinen Ärger haben will, muss tun, was ihm gesagt wird, selbst wenn dir kompletter Blödsinn befohlen wird."

"Der Glanz ist ab, nur der Name ist geblieben"

Filatiev kehrte nach eigenen Angaben 2021 zurück zur Armee, nach einer ersten Dienstzeit in den Jahren 2007 bis 2012. Filatiev schreibt, er fühle sich dem 56. Luftlanderegiment seit mehr als 30 Jahren verbunden, da schon sein Vater in dieser Einheit gedient habe. In den neun Jahren seiner Abwesenheit habe sich die Armee allerdings "grundlegend und qualitativ" verändert, so Filatiev : "Auch davor war nicht alles perfekt, aber meines Erachtens wurde der Dienst damals noch sehr viel ernster genommen."

So schreibt Filatiev, dass er wegen seines Vaters praktisch seine gesamte Kindheit bis zum 15. Lebensjahr in der Einheit verbracht habe. "Jetzt, 17 Jahre später, haben die Luftstreitkräfte nichts mehr mit denen von damals gemein. Die Menschen haben sich verändert, der Glanz ist ab, nur der Name ist geblieben."

Besonders eindrücklich ist Filatievs Schilderung von den Gegensätzen zwischen Vertragssoldaten und einfachen Wehrpflichtigen. "Ein 21-Jähriger, der von der Militärakademie als Leutnant zur Armee kommt, muss erstmal durch 100 Höllenkreise aus Bürokratie, Chaos und Demütigung, um eine Kompanie zu führen", so Filatiev. "Das Ganze dann nochmal, um ein Bataillon zu führen und so weiter. Darum steigen die meisten Offiziere irgendwann aus."

Wer es einmal nach oben geschafft habe, riskiere seine hart erkämpfte Stellung nicht durch Kritik am System. "Unter diesen Bedingungen lässt sich keine starke, eingeschweißte Truppe aufbauen", schreibt Filatiev. Darum würden fähige Leute auch lieber zur Söldner-Gruppe Wagner gehen.

"Unter Schoigu wurde die Korruption deutlich schlimmer"

Der Militärhistoriker Chris Owen hat Filatievs Bericht genau studiert und führt die von ihm beschriebenen Missstände auf verschleppte Reformen zurück. Zwischen 2007 und 2012 habe der damalige Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow weitreichende Reformen angestrengt, vor allem die Umstellung von einer Wehrpflichtigenarmee auf eine Armee von Vertragssoldaten.

2012 entließ der russische Präsident Wladimir Putin den Verteidigungsminister. Auf ihn folgte der noch immer amtierende Sergei Schoigu. "Unter Schoigu wurde die Korruption in der Armee deutlich schlimmer", schrieb Owen auf Twitter.

Pavel Filatiev beschreibt die Folgen der vermurksten Reformen so: "Das System aus Militärschulen und Offiziersleiter ist hinfällig geworden. Die Offiziere lernen immer noch, eine Armee von Wehrpflichtigen zu kommandieren und nicht von Berufssoldaten, die häufig viel älter sind als sie selbst." Er attestiert der Armee "furchtbare Korruption, Chaos sowie moralische Verkommenheit und technologische Rückständigkeit".

Persönliche Berichte wie der von Pavel Filatiev sind im Detail kaum zu überprüfen. Der "Guardian" traf sich allerdings mehrfach mit Filatiev in London, hat seine Angaben überprüft und schätzt diese als glaubhaft ein. t-online hatte zuvor bereits über Filatievs Erfahrungen im Kriegseinsatz in der Ukraine berichtet. Er soll sich inzwischen in den USA aufhalten.

Verwendete Quellen
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