So funktioniert die Telefon-Offensive gegen Putin
Per Zufallsgenerator sollen Freiwillige Millionen russischer Haushalte anrufen. Der Initiator der Aktion verrΓ€t, was die Flut an Telefonaten bewirken soll.
Ein Anruf kann die Welt nicht verΓ€ndern, mehrere Millionen aber vielleicht schon. Das ist das Motto von Paulius SenΕ«ta. Wenige Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine grΓΌndete er mit einigen Freunden die Plattform "Call Russia", eine Telefon-Intitiative gegen Putins Propaganda-Maschine.
"In den ersten Kriegstagen hat einfach jeder hier in Litauen irgendetwas getan. Unsere Idee war eben, anzurufen", sagte SenΕ«ta im GesprΓ€ch mit der "SΓΌddeutschen Zeitung" (SZ). Innerhalb von nur fΓΌnf Tagen stellte er im MΓ€rz demnach das Projekt gemeinsam mit IT-, Marketing- und PR-Expertinnen und -Experten auf die Beine. Sein Ziel: Mit Informationen aus dem Westen den Einfluss der russischen Staatspropaganda zu beschrΓ€nken.
Die Freiwilligen von "Call Russia" rufen mit Hilfe eines Zufallsgenerators Menschen in Russland an, um aus der westlichen Perspektive zu erzΓ€hlen und Informationen weiterzugeben. Sie hoffen, die BevΓΆlkerung so ΓΌber Falschinformationen des russischen Regimes aufklΓ€ren zu kΓΆnnen und sie davon abzubringen, weiterhin Putin zu unterstΓΌtzen.
"Wir werden stΓ€ndig gefragt, wo jetzt eigentlich die Front ist, welche Verluste es in der russischen Armee gibt, wie es wirklich aussieht in der Ukraine", berichtet SenΕ«ta ΓΌber den Informationsmangel in Teilen der russischen Gesellschaft. Anfangs reagierten die Angerufenen ihmzufolge meist wΓΌtend und viele GesprΓ€che dauerten keine fΓΌnf Minuten. Mittlerweile gebe es GesprΓ€che von teilweise drei Stunden.
"Wir haben mit Psychologen eine GesprΓ€chstechnik ausgearbeitet", erklΓ€rt SenΕ«ta, doch ehrliches Interesse am anderen Ende der Leitung sei dennoch notwendig. Auch sollten die Anrufer zuhΓΆren und kontrΓ€re Ansichten ertragen kΓΆnnen. "NatΓΌrlich Γ€ndere ich nicht das Weltbild eines fremden Menschen innerhalb einer Stunde. Aber die Leute fangen an nachzudenken."
Mehr als 50.000 Litauerinnen und Litauer haben ihr GlΓΌck am HΓΆrer schon versucht und dabei etwa 180.000 Nummern angerufen. GesprΓ€che entstanden dabei in ungefΓ€hr 90.000 FΓ€llen.
40 Millionen russische Telefonnummern
Doch der Berg ist noch hoch: Rund 40 Millionen russische Telefonnummern hat sich die Gruppe nach Angaben der "SZ" aus dem Internet heruntergeladen. Kontaktiert werden sollen alle. Es kΓΆnne jede und jeder anrufen, die und der Russisch spricht. "Das ist doch das Einzige, was uns wirklich helfen kann: von Mensch zu Mensch miteinander reden", so SenΕ«ta.
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Die meisten Freiwilligen kommen aus Litauen und aus anderen baltischen LΓ€ndern, die bis 1990 Teil der Sowjetunion waren. Doch auch Exil-Russinnen und -Russen ΓΌberall auf der Welt beteiligen sich an der Aktion. Γber mehr als 20 Jahre sei das Bild eines feindlich gesinnten Westens in Russland aufgebaut worden β ein Feindbild, das sich nicht ΓΌber Nacht dekonstruieren lasse. Doch SenΕ«ta gibt zu, dass die meisten EuropΓ€er und Amerikaner viel zu wenig oder gar nichts ΓΌber die Russen wΓΌssten. Er hofft daher, dass das Projekt auch in die andere Richtung wirkt und in westlichen LΓ€ndern fΓΌr mehr VerstΓ€ndnis sorgt. Institutionen der EuropΓ€ischen Union sowie Nichtregierungsorganisationen haben bereits Interesse an den Erfahrungen und Erkenntnissen der freiwilligen Anruferinnen und Anrufer bekundet.
- sueddeutsche.de: "Ruf doch mal an"
- callrussia.org: "Call Russia CALL RUSSIA β Forty Million Phone Calls to end the War"