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Frauenwahlrecht: Freiheit für die (weiße) Frau – Der Suffragetten-Rassismus


100 Jahre Frauenwahlrecht
Freiheit für die weiße Frau: der Rassismus der Suffragetten

Eine Analyse von Helena Serbent

Aktualisiert am 13.11.2018Lesedauer: 6 Min.
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Emmeline Pankhurst: Die Suffragette war auch eine überzeugte Kolonialistin.Vergrößern des Bildes
Emmeline Pankhurst: Die Suffragette war auch eine überzeugte Kolonialistin. (Quelle: imago-images-bilder)

Suffragetten gelten als Heldinnen des Frauenwahlrechts. Doch sie kämpften nur für weiße Frauen: Die Bewegung war rassistisch geprägt.

Das Wahlrecht für Frauen war die zentrale Forderung der Bewegung um die Suffragetten. Doch in ihren Worten offenbarte sich auch ihr Rassismus: mal durch weiße Exklusivität, mal durch offene, rohe Wortwahl gegen schwarze Menschen.

In der Historie waren Frauen immer wieder ein bedeutender Teil von Revolutionen. Doch nach den Umstürzen wurden Frauen meist wieder in ihre alte Rolle zurückgedrängt: Dem Mann Untertan. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist die Französin Olympe de Gouges. Während der Französischen Revolution schrieb sie glühende Schriften für Freiheit und Emanzipation. Berühmt ist vor allem ihre "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" von 1791: "Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich." Nach dem Umsturz wurde sie von ehemaligen Geistesbrüdern hingerichtet.

Wer die Entwicklungen in revolutionären Gruppen beobachtet, sollte meinen, dass Frauen das, was die Männer ihnen in den Revolutionen zuvor angetan hatten, nicht einander antun würden. Diese Annahme ist aber falsch.

England: Schwarze Frauen blieben rechtlose Diener

Die berühmt-berüchtigten Suffragetten, unter anderem angeführt von Emmeline Pankhurst, kämpften von 1903 bis 1928 in England und den USA radikal für das Recht zu wählen. Die Britin Emily Davison ging sogar für ihre Mitstreiterinnen in den Tod. Aus Protest warf sie sich vor das Pferd von König Georg und wurde niedergetrampelt. Doch bei allem revolutionären Eifer, den die Suffragetten versprühten, galt ihr Kampf immer nur dem Wahlrecht der weißen Frau.

Anfang des 20. Jahrhunderts lebten durch die Kolonialisierung und Industrialisierung besonders in den europäischen Großstädten viele schwarze Menschen. Sie waren oft Teil der unteren Arbeiterklasse und von Armut betroffen. Und für die feine Gesellschaft waren sie meist unsichtbar. Die Suffragetten dagegen gehörten zum Großteil der bürgerlichen Mittelschicht an und hatten auch im Adel ihre Geistesschwestern. Ihr Kampf ums Wahlrecht für Frauen spielte sich nur in diesen Klassen ab.

So wird das berühmte Zitat von Emmeline Pankhurst "Lieber Rebellin als Sklavin" ihr mittlerweile als anmaßend angerechnet, weil sie von der wahren Bedeutung von Versklavung keine Ahnung hatte.

Feministische Kämpferinnen, überzeugte Kolonialistinnen

Als 1893 in der Kolonie Neuseeland allen Frauen das Wahlrecht zugesprochen wurde, war der Neid der britischen Frauen entfacht, so der Historiker Jad Adams gegenüber der britischen Zeitung "The Telegraph": "Die britischen Frauen waren wütend, dass die Maori-Frauen wählen durften und sie selbst nicht. Prominente Suffragetten wie Milliecent Garret Fawcett dachten, es sei anmaßend, dass weiße Frauen mit einem gewissen Stand in der Gesellschaft kein Wahlrecht in der Heimat des Empires hatten, die Frauen in den Kolonien aber schon." Das Wahlrecht der Neuseeländerin, darunter insbesondere der Ureinwohnerinnen, war für die Britinnen also kein Etappensieg, sondern eine Beleidigung.

Es gab nur eine bekannte nichtweiße Suffragette, die indisch-stämmige Sophia Duleep Singh:

Als Patentochter von Königin Victoria hatte sie einen gewissen Stand in der Gesellschaft und galt als enge Freundin Emmeline Pankhursts. Dennoch war diese, besonders in ihren späten Jahren, eine überzeugte Kolonialistin. Wieder einmal reichte der eigene Drang nach Freiheit nicht aus, um ein Bewusstsein für die Unfreiheit, wie der Menschen in den britischen Kolonien, zu entwickeln.

USA: Wahlrecht lieber für Frauen als für Schwarze

In den USA herrschte zur Zeit der Frauenwahlrechtsbewegung rechtlich propagierter Rassismus. Bis 1865 erlaubten die Südstaaten die Sklaverei, die Rassentrennung in der Gesellschaft wurde erst 1964 offiziell verboten.

Die amerikanischen Suffragetten nahmen sich der Ungleichheit von Mann und Frau an. Aber nur unter Weißen. Laura Clay, geboren 1849, Mitbegründerin und erste Präsidentin der "Kentucky Equal Rights Association" sagte über das Wahlrecht für Schwarze: "Die weißen Männer, die von den gebildeten weißen Frauen bestärkt wurden, könnten das Neger-Wahlrecht in jedem Staat verhindern."

Die 1815 geborene Elizabeth Cady Stanton war zwar eine Gegnerin der Sklaverei, spielte jedoch ebenfalls die Rechte von schwarzen Menschen gegen die der weißen Frauen aus: "Was werden wir und unsere Töchter leiden," sagte sie in einer Rede, "wenn diese niedrigeren schwarzen Männer die Rechte besäßen, welche sie noch schlimmer machen würde als unsere sächsischen Väter?"

Diese rassistischen Zitate sind keine Ausnahmen. Auch Frances Willard und Carrie Chapman Catt ließen sich zu rassistischen Aussagen hinreißen. Die führenden Feministinnen beim Kampf um das Frauenwahlrecht in den USA waren weiß. Sie suchten nicht die Schwesternschaft mit schwarzen Frauen. Sie wollten sich vielmehr genauso von ihnen absetzen, wie ihre Männer sich von ihnen selbst abgesetzt hatten. Aus ihrem Kampf zogen sie keine Lehre, den sie auf andere unterdrückten Gruppen beziehen konnten. Es gab keine Solidarität.

Deutschland: Feminismus exklusiv weiß

Während die Suffragetten in England sogar mit Bombenanschlägen auf sich aufmerksam machten, war der Kampf der Frauen in Deutschland deutlich leiser. Die berühmtesten Kämpferinnen für das Wahlrecht waren Clara Zetkin, Hedwig Dohm und Louise Otto-Peters. Ihnen sind keine offenen Rassismus-Äußerungen vorzuwerfen, wie ihren amerikanischen Mitstreiterinnen. Aber auch so engagierten sie sich nicht für die Einbindung farbiger Frauen. Diese Ausschließung war vielleicht nicht bewusst, aber sie zeigt, dass es offenbar kein Interesse an ihren Lebensumständen und einem Einbezug in die Bewegung gab. Wie in Großbritannien mag dies daran liegen, dass schwarze Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland zwar existierten, von der Gesellschaft aber nur wenig wahrgenommen wurden.

Der Rassismus war auch vor Hitler salonfähig. Im Kaiserreich waren Völkerschauen in Berlin und Hamburg beliebte Veranstaltungen. Der berühmteste Schausteller war Carl Hagenbeck. Die Darstellung nicht weißer Menschen in Zoos unterstützte das Denken der deutschen Gesellschaft darin, Personen nicht weißer Hautfarbe mehr als Tiere als Menschen wahrzunehmen.

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Nach dem Ersten Weltkrieg und zur Zeit der Weimarer Republik lebten schätzungsweise zwischen tausend und dreitausend Schwarze in Deutschland. Rassistische Diskriminierung in der Weimarer Zeit, die Propagierung von Rassentheorien und teils wissenschaftlicher Konsens über die Überlegenheit der Weißen beherrschten die allgemeine Wahrnehmung. Darunter litten vor allem die Kinder afro-französischer Soldaten, die während der alliierten Rheinlandbesetzung mit deutschen Mütter gezeugt worden waren. Diese Kinder von schwarzen Vätern wurden als Schimpfwort "Rheinlandbastarde" beschimpft. Eine Menschenrechtsbewegung für ihre Würde und Anerkennung gab es nicht, auch nicht auf der Seite der sonst progressiven Feministinnen.

Das Versäumnis der Feministinnen und ihre Auswirkungen auf heute

Heute gibt es im englischsprachigen Raum den Begriff des "White Feminism", der beschreibt, dass weiße Frauen zwar Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau erkämpfen wollen. Sie sehen aber nicht, dass bei nicht weißen Frauen die Marginalisierung zweifach besteht: durch Geschlecht und durch Hautfarbe. Die weibliche Solidarität gilt vormerklich den weißen, nicht den schwarzen Frauen. Es erscheint wie Überbleibsel der amerikanischen Suffragetten-Bewegung.

In Deutschland entwickelt sich, 100 Jahre nach dem Kampf um das Frauenwahlrecht in der politischen Rechten eine neue Agenda: Und zwar das Recht von Frauen, vor sexuellen Übergriffen geschützt zu werden. Diese populistische Bewegung geht davon aus, dass die Täter überwiegend nicht weiß-deutsch sind. Unter dem Hashtag #120db verbreitet die rechte Identitäre Bewegung im Rahmen der MeToo-Bewegung eine Kampagne, die sexuellen Missbrauch als Symptom von Migration einstuft. Ein Slogan lautet dabei: "Den Opfern importierter Gewalt einer Stimme geben" :

Kritiker konfrontieren auch die Zeitschrift Emma, die von der Feministin Alice Schwarzer gegründet wurde, mit Rassismus-Vorwürfen. Das Magazin für Medienkritik Übermedien schrieb dazu: "Emma bedient auch ein rechtes Publikum.“ Dies macht Übermedien zum einen an der politischen Verteilung der Leser fest, zum anderen an besonders islamkritischen Texten. Immer wieder publiziere Emma Artikel, die besonders arabisch-stämmige Männer als Gefahr inszenierten: "Im April 2018 erscheint unter dem Titel 'Die Rückkehr der öffentlichen Gewalt' ein 'Emma'-Artikel, der die Amokfahrt von Münster in unmittelbare Nähe zu Islamismus und Einwanderung rückt. Gewalt in Form der öffentlichen Hinrichtung sei importiert, ist darin zu lesen."

Außerdem nahm die Emma Donald Trumps Wahlspruch "Make America great again" auf, der als Markenzeichen seiner rechts-populistischen Kampagne steht:

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Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 weist auf, dass ein Drittel der Deutschen Vorurteile gegen Ausländer hat. Da sich die Staatsangehörigkeit nicht am Äußeren ablesen lässt, liegt eine Schlussfolgerung nahe: Deutschsein wird als Synonym für weiß-sein gewertet. Im Umkehrschluss bedeutet das dann auch, dass Deutsche Vorbehalte gegen nicht weiße Menschen haben.

Während das Vorrecht der Männer zu wählen vor 100 Jahren in Deutschland abgeschafft wurde, bleibt Rassismus immer noch ein Teil ein Problem in unserer Gesellschaft. Der Suffragetten-Rassismus von damals ist nicht die Ursache für die Probleme von heute. Aber Parallelen sind zu erkennen.

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