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Sophie Scholl: Warum uns die Weiße Rose bis heute keine Ruhe lässt


Zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl
Warum uns die Weiße Rose bis heute keine Ruhe lässt

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 09.05.2021Lesedauer: 4 Min.
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Sophie Scholl: Die Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus wäre am 9. Mai 2021 100 Jahre alt geworden.Vergrößern des Bildes
Sophie Scholl: Die Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus wäre am 9. Mai 2021 100 Jahre alt geworden. (Quelle: dpa (Bildcollage von t-online)/ullstein-bild)

Sophie Scholl war nur 21 Jahre alt, als die Nationalsozialisten sie zum Tode verurteilten. Wer war die Frau, die heute 100 Jahre alt geworden wäre und das Symbol des Widerstands gegen den NS-Terror ist?

Vier Worte telegrafierte Staatsanwalt Albert Emil Rudolf Weyersberg am 22. Februar 1943 nach Berlin: "Heute ohne Zwischenfall verlaufen." "Verlaufen" war eine dreifache Hinrichtung im Gefängnis München-Stadelheim. Christoph Probst, Hans und Sophie Scholl lauten die Namen der Opfer. Verurteilt zum Tode unter dem Fallbeil von Roland Freisler, der als Präsident des Volksgerichtshofs der furchtbarste unter den furchtbaren Juristen des "Dritten Reichs" gewesen ist.

Die beiden Scholls hatten sich zusammen mit ihrem Freund Christoph Probst eines schwerwiegenden "Verbrechens" schuldig gemacht: Während viele "Volksgenossen" den Nationalsozialismus bejubelten, andere mitliefen oder schwiegen, entschlossen sich die Mitglieder ihrer Widerstandsgruppe Weiße Rose zum Handeln. In verschiedenen Flugblättern übten die Scholls mit ihren Mitstreitern immer wieder heftigste Kritik an den Nationalsozialisten und ihrem verbrecherischen Krieg.

"Sehr fanatisch für den Nationalsozialismus"

Sophie Scholl war mit ihren 21 Jahren die jüngste der am 22. Februar 1943 Hingerichteten. Am 9. Mai 2021 wäre sie 100 Jahre alt geworden. Zeit, zurückzublicken, wer diese junge Frau mit der außergewöhnlichen Courage gewesen ist. Die Journalistin und Autorin Maren Gottschalk hat mit "Sophie Scholl. Wie schwer ein Menschenleben wiegt" kürzlich eine neue Biografie der Widerstandskämpferin veröffentlicht. Nah an den Quellen, noch näher an Sophie Scholl, zeichnet Gottschalk ein eindrückliches Bild ihrer Protagonistin.

Geboren am 9. Mai 1921 in Forchtenberg im heutigen Baden-Württemberg erscheint der Lebensweg der Sophie Scholl bei der Lektüre umso bemerkenswerter, als sie dem NS-Regime keineswegs von Anfang an kritisch gegenüber gestanden hatte. "Sophie war damals sehr begeistert, sehr fanatisch für den Nationalsozialismus", zitiert Gottschalk die Zeitzeugin Eva Amann. Diese kannte sie näher, sie war der Jungmädelschaftführerin Scholl einst als Mitglied dieser NS-Jugendorganisation unterstellt gewesen. Zum Unwillen der Eltern Scholl, die den Nationalsozialismus ablehnten. Und die Begeisterung ihrer Kinder dafür.

Deutlich wird der ideologische Graben im Elternhaus der Geschwister Scholl an einem täglichen damaligen Ritual: Hans Scholl, beim Reichsparteitag 1935 als Fähnleinführer der Hitlerjugend in Nürnberg aufmarschiert, hängte jeden Mittag ein Bild Adolf Hitlers wieder auf, das der Vater am Morgen in der Schublade hatte verschwinden lassen. Und auch Sophie stand dem NS-Regime keineswegs distanziert gegenüber, auch wenn ein Tagebucheintrag aus dem Jahr 1937 anderes vermuten ließe: "Von der HJ habe ich mich ohne mein Wollen ganz gelöst."

Regiert von Verbrechern

Es waren wohl eher Kabbeleien unter Heranwachsenden, die diese Zeilen ausgelöst hatten, wie Gottschalk schreibt. Denn Scholl stieg auf, sollte als Gruppenführerin später noch für mehr als 100 Jungmädel verantwortlich sein. Doch die sensible junge Frau entwickelte andere Interessen: Die Malerei faszinierte die junge Scholl, die Werke der Expressionistin Paula Modersohn-Becker besonders. Kindergärtnerin lautete ihr erster Berufswunsch, doch eigentlich wollte sie studieren: In München, wo Bruder Hans bereits für Medizin immatrikuliert war.

1942 war es so weit: Sophie Scholl schrieb sich für Biologie und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität ein. Das Regime der Nationalsozialisten betrachtete die junge Studentin zu diesem Zeitpunkt bereits mit anderen Augen. Aus verschiedenen Gründen. 1937 etwa hatten Beamte der Geheimen Staatspolizei das Haus der Scholls in Ulm durchsucht, Sophies Geschwister Inge und Werner waren sogar kurzzeitig ins Gefängnis gesperrt worden. Der Verdacht: "Umtriebe für die Bündische Jugend" durch Hans, Jugendbewegungen, die die Nazis eigentlich als vereinnahmt betrachtet hatten.

Und auch der Krieg hatte die junge, intelligente Frau mit der kecken, kurzen Frisur desillusioniert. "Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben" – diese Worte des Philosophen Jacques Maritain hatten sie sehr berührt. Aufgewachsen mit den Werten eines christlichen Humanismus, beeindruckt vom antiken Kirchenlehrer Augustinus, missbilligte sie den Krieg, mit dem Hitler Europa überzog.

So las Sophie Scholl im Juni 1942 mit Begeisterung ein Flugblatt, auf dem die Kritik am NS-Regime derart niedergeschrieben war, wie sie sie selbst empfand. "Die Deutschen werden von einer verbrecherischen Diktatur regiert, gegen die die Menschen sich wehren müssen" – mit diesen Worten fasst Maren Gottschalk jene Ansicht zusammen. Es war ein Flugblatt der Weißen Rose, verfasst von Hans Scholl. Nicht länger zu schweigen hatte sich Hans mit seinen Mitstreitern wie Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf, Professor Kurt Huber und anderen entschlossen.

"Keine furchtlose Heldin"

Auch Sophie Scholl wollte mitmachen, half tatkräftig mit beim Sammeln von Adressen, organisierte Papier und Material. Und nicht zuletzt Geld, etwa bei ihrem Freund Fritz Hartnagel. Um 1.000 Reichsmark ersuchte sie den Wehrmachtsoffizier. Die Gestapo war zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Suche nach den Widerstandskämpfern. Aber nicht die Ermittlungsarbeit, sondern der Zufall lieferte ihr die Geschwister Scholl aus.

Am 18. Februar 1943 ertappte der Hausmeister Jakob Schmid Hans und Sophie Scholl, als sie einen Stapel Flugblätter in den Lichthof der Münchner Universität stießen. Verhaftung, Verhöre, Schauprozess: Es war das Ende von Hans und Sophie Scholl. Aber noch lange nicht das Ende der Erinnerung an die Geschwister Scholl und der Weißen Rose, wenn auch die Nationalsozialisten ihre Mitglieder unbarmherzig verfolgten.

Als "brave, herrliche junge Leute" lobte sie der deutsche Nobelpreisträger Thomas Mann im Exil in der britischen BBC, später regnete ein Meer von Flugblättern der Weißen Rose über Deutschland hernieder. Abgeworfen von Bombern der Royal Air Force, der Inhalt war auf Umwegen zuvor nach Großbritannien gelangt.

Warum aber erinnern sich heute die Menschen vor allem an Hans und insbesondere seine Schwester Sophie Scholl? Warum nicht derart stark an etwa Alexander Schmorell und Christoph Probst? Biografin Maren Gottschalk bietet eine Antwort: "Sophie Scholl war keine furchtlose Heldin." Vielmehr empfand sie Angst und Furcht, aber auch Stärke und Entschlossenheit. Das beeindruckt gerade bei einer jungen Frau. "Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weisse Rose lässt Euch keine Ruhe!", drohten einst die Widerstandskämpfer um Hans und Sophie Scholl. Die Weiße Rose und ihre Ideale als böses Gewissen? Das ist auch heute noch richtig so.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Maren Gottschalk: Sophie Scholl. Wie schwer ein Menschenleben wiegt, München, 2021
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