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Katastrophe 1912: Stammt diese mysteriöse Flaschenpost von der "Titanic"?


Katastrophe 1912
Haben Spaziergänger eine Botschaft von der "Titanic" gefunden?

Von Angelika Franz

07.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Wrack der "Titanic": Konnte eine Passagierin vor dem Unglück 1912 eine Nachricht absetzen?Vergrößern des Bildes
Wrack der "Titanic": Konnte eine Passagierin vor dem Unglück 1912 eine Nachricht absetzen? (Quelle: Mary Evans AF Archive Walt Disney Pictures)

Vor mehr als 100 Jahren sank die "Titanic", birgt sie bis heute noch ein weiteres Geheimnis? Eine Flaschenpost von der "Titanic" fasziniert Forscher. Aber ist sie echt?

In der dritten Passagierklasse der "Titanic", tief unten im Bauch des riesigen Schiffes, gab es für ein kleines Mädchen nicht viel zu tun. Während für die Unterhaltung der Passagiere der Ersten Klasse mit Spielen, Musik und sogar einem eigenen Turnzimmer ausreichend gesorgt war, bekamen die ärmeren Passagiere lediglich ein hartes Bett in Gemeinschaftsunterkünften ohne Ausblick auf das Meer gestellt.

Also suchte sich die zwölfjährige Mathilde Lefebvre eine Beschäftigung. Es gelang ihr, ein Blatt Papier aufzutreiben. Und eine leere Flasche – möglicherweise sogar eine der unzähligen Weinflaschen, die für die Speisesäale der Ersten Klasse an Bord der Titanic reserviert waren. "Ich werfe diese Flasche ins Meer in der Mitte des Atlantischen Ozeans", notierte sie in ihrer Muttersprache Französisch auf dem Zettel. "Wir sollen in ein paar Tagen in New York ankommen. Wer sie findet, möge bitte die Familie Lefebvre in Liévien benachrichtigen."

Verhängnisvoller Eisberg

Auch ein Datum steht auf dem Brief in der Flasche: 13. April 1912, genau ein Tag, bevor die als unsinkbar geltende "Titanic" kurz vor Mitternacht mit einem Eisberg kollidieren und wenige Stunden später untergehen sollte. Über 1.500 Menschen starben bei dem Schiffsunglück, unter ihnen auch Mathilde Lefebvre. Ihre Flaschenpost aber ging nicht unter.

Im Jahr 2017 fand bei einem Strandspaziergang in der Bay of Fundy nahe dem kanadischen Hopewell Cape im Bundesstaat New Brunswick das Ehepaar Nacera Bellila und El Hadi Cherfouh mit ihren beiden Kindern die Botschaft. Sie übergaben den Fund an die Université du Quebec in Rimouski. Und tatsächlich: "Sie könnte echt sein", kommentiert der Archäologe und Historiker Nicolas Beaudry die Ergebnisse nach mehrjähriger eingehender Untersuchung.

Zunächst nahmen die Forscher das Glas der Flasche näher unter die Lupe. "Die Form, die Werkzeugspuren und die chemische Zusammensetzung des Glases entsprechen den Technologien der Flaschenmanufaktur im frühen 20. Jahrhundert", erklärte Beaudry gegenüber der Presse. Auch der Korken sowie ein weiteres Stück Papier im Flaschenhals konnten die Wissenschaftler mit einer Radiokarbondatierung der entsprechenden Zeit zuordnen.

Die Wahrheit erfordert Zerstörung

Das Blatt Papier selber, auf dem der Brief steht, können sie nicht testen – dafür müssten sie ein Stück davon zerstören. "Wir haben also bei unserer Überprüfung zumindest keinen Scherzbold auf frischer Tat ertappt", wagt Beaudry eine Einschätzung. "Aber das bedeutet noch lange nicht, dass es sich nicht auch um eine Fälschung handeln könnte." Eine leere Seite Papier lässt sich leicht aus einem alten Buch heraustrennen, antike Flaschen bietet jeder Flohmarkt zuhauf.

Die Forscher sind so vorsichtig mit ihrer Einschätzung, weil es noch zwei Ungereimtheiten gibt. Das eine ist die Handschrift, in der die Botschaft verfasst wurde. Mathilde hatte daheim die Schule besucht. Doch die Handschrift entspricht nicht der Standardschrift, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts an französischen Schulen gelehrt wurde. Hatte Mathilde auf der "Titanic" einen Freund oder eine Freundin gefunden, der oder die den Brief für sie schrieb?

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Das zweite Rätsel ist noch schwieriger zu lösen. Denn ein Gegenstand, der im April 1912 in den Nordatlantik geworfen wurde, wäre unweigerlich dem Golfstrom gefolgt, der sich von der Küste Floridas gen Nordosten Richtung Europa wälzt. Dort wäre er in Großbritannien oder Irland an den Strand gespült worden – so wie die Flaschenpost des 19-jährigen Jeremiah Burke aus Glanmire im irischen Cork. Als die "Titanic" bereits Schlagseite hatte, stopfte er einen Zettel mit der Botschaft "Von der Titanic, auf Wiedersehen alle, Burke aus Glanmire, Cork" in eine Weihwasserflasche, die ein Geschenk seiner Mutter gewesen war.

Ein Jahr lang brauchte die Botschaft, bis sie in Dunkettle, nur wenige Meilen von seinem Heimatort entfernt, an den Strand gespült wurde. Sie gilt als die einzige bisher zweifelsfrei echte Flaschenpost von der "Titanic". Ganz ausgeschlossen werden kann der Weg von Mathildes Brief nach Kanada allerdings auch nicht, denn ein kleiner Teil des Golfstroms zweigt kurz vor Island nach Westen ab und fließt an Grönland vorbei zurück zur nordamerikanischen Küste.

Aus den USA verbannt

Mathilde befand sich nicht allein auf der "Titanic". Mit ihr setzten ihre Mutter Marie, ihre elfjährige Schwester Jeanne, ihr sechsjähriger Bruder Henri sowie ihre dreijährige Schwester Ida über den Atlantik. Ihr Vater, der Bergarbeiter Franck Lefebvre, lebte bereits seit zwei Jahren in der Ortschaft Mystic im Bundesstaat Iowa. Ihre älteren Geschwister Marie, Franck Jr., Celina und Anselme waren schon bei ihm. Der 14. April 1912, der Tag, an dem die "Titanic" sank und seine Frau sowie seine vier jüngsten Kinder starben, war Franck Lefebvres 41. Geburtstag.

Als er von dem Untergang des Schiffes hörte, wandte er sich direkt an die Station des Roten Kreuzes, wo die Informationen zu den Überlebenden gesammelt wurden. Doch als man dort seine Familienakte öffnete, kam zutage, dass er bei der Einwanderung auf Ellis Island "falsche und irreführende Angaben" gemacht hatte. Franck und seine vier älteren Kinder mussten ihre Sachen packen, im August 1912 wurden sie nach Frankreich deportiert. Er starb am 20. Juni 1948 im Alter von 77 Jahren in Haillicourt. Seine älteste Tochter Marie aber kehrte später in die USA zurück.

Das Team um Nicolas Beaudry von der Université du Quebec in Rimouski ist mit den Untersuchungen noch nicht am Ende. Mithilfe norwegischer Kollegen wollen sie die Strömungsdaten des Golfstroms noch einmal genauer analysieren und prüfen, ob der Reiseweg der Flasche nicht doch realistisch sein könnte. Außerdem planen sie chemische Untersuchungen am Strand der Bay of Fundy, an dem die Flasche gefunden wurde.

Denn es gibt noch eine weitere Möglichkeit: Bei der Flaschenpost könnte es sich auch um eine Fälschung aus dem frühen 20. Jahrhundert handeln. Es wäre nicht die erste: Zwei Fälle von zeitgenössischen Fälschungen konnten bereits entlarvt werden. "Zur damaligen Zeit war es durchaus üblich, eine Flaschenpost zu fälschen", führt Historiker Beaudry aus. "Die Zeitungen drucken derartige Funde ab, die Briefe bekamen also sehr viel Aufmerksamkeit." Erst recht, wenn es sich um die letzte Botschaft eines kleinen Mädchens von der berühmtesten Schiffskatastrophe der Moderne handelte.

Verwendete Quellen
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