Debatte um Zeitalter der Menschen Forscher zeigen, wie stark der Mensch die Erde verändert
Menschen haben das Angesicht der Erde grundlegend verändert. Hat sogar eine neue geologische Epoche begonnen - das Anthropozän? Wissenschaftler wollen es jetzt beweisen: Sie präsentieren sechs gravierende Umweltveränderungen.
"Wir sehen die Parallelwelt unter unseren Füßen nicht, doch sie wird für immer bleiben", sagt der Geofoscher Mark Williams von der University of Leicester. Tunnel und Löcher hätten die Erde so gravierend verändert, dass eine neue geologische Epoche angebrochen sei. Das "Zeitalter des Menschen" habe begonnen - auf Griechisch: "Anthropozän".
Die Behauptung provoziert viele Geologen; unter ihnen gibt es entschlossene Gegner des Vorschlags. Das Problem: Geologische Epochengrenzen markieren einschneidende Zäsuren der Erdgeschichte. Und eindeutige Beweise für den Übergang in ein neues Zeitalter fehlten bislang.
Jede Epoche muss anhand einer einheitlichen Schicht im Boden weltweit nachweisbar sein. Bevor das Anthropozän offiziell ausgerufen werden könnte, müsste die Internationale Kommission für Stratigrafie (ICS) zustimmen, das Hauptgremium für Schichtenkunde.
Williams und zwei Kollegen wollen nun nachweisen, dass Löcher, die der Mensch in den Untergrund bohrt, der Beweis für das Menschenzeitalter seien. Anthroturbation nennen sie das Wühlen im Boden, in Anlehnung an den Begriff Bioturbation, der das Graben anderer Organismen beschreibt. Die Anthroturbation habe die Erde grundlegend und auf Dauer verändert - der Beweis für das neue Zeitalter, die Menschheitsepoche, sei also erbracht.
Die Forscher nennen sechs drastische Eingriffe des Menschen:
1. Oberfläche:
"Die Menschheit hat mehr als die Hälfte des Bodens an Land verändert", schreiben Williams und seine Kollegen im Fachblatt "The Anthropocene". Straßen, Steinbrüche und landwirtschaftliche Flächen hätten den natürlichen Bewuchs verdrängt. Bereits mehr als drei Viertel der Landoberfläche der Erde seien künstlich umgestaltet, meint gar der Geograf Erle Ellis von der University of Maryland. Nur noch 23 Prozent seien Wildnis.
In Deutschland sind gut sechs Prozent des Bodens versiegelt, knapp 14 Prozent sind besiedelt oder werden als Verkehrswege genutzt. Naturschutzgebiete sind oft Landschaften, die bereits vor Jahrhunderten von Menschen verändert wurden, ursprüngliche Wildnis gibt es hierzulande praktisch nicht mehr. Künstliche Landschaften zerschneiden häufig Lebensräume von Tieren, mahnen Biologen. Regenwasser kann nicht mehr versickern, Asphaltböden erwärmen die Luft.
2. Rohre:
Im Untergrund hat sich ein dichtes Netz von U-Bahn-Schächten, Wasserrohren, Strom- und Telefonleitungen, Tunneln und Geheimgängen ausgebreitet. In Tokio etwa unterqueren mehrstöckige Straßentunnel die Wolkenkratzer in 40 Metern Tiefe, riesige unterirdische Kathedralen sammeln Regenfluten.
Die U-Bahn in Moskau verkehrt 50 Meter unter der Erde. Auch Parkplätze, Bahnhöfe, Lagerräume, Kinos, Theater und Einkaufszentren füllen den Untergrund. Die Innenstadt von Montreal liegt sogar großteils unter der Erde.
Allein unter Deutschland liegen 1,4 Milliarden Kilometer Abwasserleitungen - genug, um die Erde 35.000-mal zu umrunden. Rohrleitungen weltweit transportieren Öl und Gas über Tausende Kilometer; manche Pipelines verlaufen am Meeresgrund, sie verbinden Kontinente. Lecks in den Leitungen haben oft erhebliche Verschmutzungen zur Folge.
Tunnel und Leitungen würden vermutlich länger bestehen als oberirdische Bauten, meinen Williams und seine Kollegen. Sie seien Werke der Menschheit, die Jahrmillionen überdauern, mithin quasi ewig währten.
3. Bergbau:
Jahrhundertelang haben Kumpel Kohle aus dem Boden geschachtet. Sie hinterließen allein in Deutschland Tausende Kilometer Stollen, viele Stollen sind auf keiner Karte vermerkt. Als Folge der Aushöhlung haben sich manche Gebiete hierzulande um bis zu 30 Meter abgesenkt; anderswo noch weitaus tiefer.
Zehn Minen weltweit reichen tiefer als zehn Kilometer ins Erdreich. In der Mponeng-Mine in Südafrika schürfen Bagger sogar in knapp vier Kilometer Tiefe nach Gold. Die Löcher destabilisieren den Boden, vielerorts stürzt er ein. Dann bebt die Erde - und der Untergrund hat sich unwiderruflich verändert.
4. Bohrungen:
Bohrer graben sowohl zehn Zentimeter dünne Löcher für Telefonleitungen als auch 15 Meter dicke Schneisen für Autotrassen. Mittels Schallwellen kundschaften die Geräte das vor ihnen liegende Erdreich aus. Das tiefste Bohrloch der Welt sticht gut zwölf Kilometer in die Erde der nordrussischen Insel Kola - gemessen am Durchmesser der Erde von 12.742 Kilometern freilich nur ein Mückenstich für den Planeten.
Auch die zweittiefste Bohrung, in Windischeschenbach in der Oberpfalz, hätte kaum gepiekst. Die ergründete Distanz von neun Kilometern entspricht etwa der S-Bahn-Strecke vom Hauptbahnhof in Frankfurt am Main zum Flughafen. Bis zum Mittelpunkt der Erde ist es rund 6360 Kilometer weiter - ein Flug bis New York.
Doch die Zahl der Stiche sei bedenklich, meinen Williams und seine Kollegen: Alleine in Großbritannien durchlöcherten rund eine Million Bohrungen den Untergrund. Sie trieben Substanzen wie Öl und Gas aus dem Boden, sie veränderten das natürliche Erdreich gleichsam von Grund auf.
Der Austausch mit dem Untergrund schreitet immer weiter voran: Um Wärmeenergie nutzbar zu machen, treiben Ingenieure Bohrgestänge in den Boden und pumpen Wasser in die Tiefe. Es wird von der Erdwärme erhitzt, steigt wieder auf, treibt Dampfturbinen an.
Kein anderes Lebewesen würde solch tiefe Bohrungen verrichten, schreiben Williams und seine Kollegen. Die tiefsten natürlichen Röhren von Kleintieren reichten gerademal zweieinhalb Meter tief. Füchse und Wölfe wühlten mitunter vier Meter tief und Krokodile bis zu zwölf Meter.
5. Deponien:
Riesige Lager für radioaktiven Abfall, für chemischen Müll, Erdgas oder für Trinkwasser gibt es in vielen Ländern. Jetzt planen Wissenschaftler auch noch, das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) im Erdboden zu versenken, um die Klimaerwärmung zu stoppen.
Im Boden der Nordsee vor der norwegischen Küste liegt bereits einer der größten künstlichen CO2-Speicher. Dort pumpt die Ölfirma Statoil CO2, das bei der Erdgasförderung anfällt, 1000 Meter tief in eine poröse Sandsteinschicht, die von einer Schieferplatte nach oben hin abgedeckt wird. Viele Millionen Tonnen CO2 wurden in der 200 Meter dicken Gesteinslage bereits entsorgt. Es soll erst der Anfang sein.
6. Atomtests:
Mehr als 1500-mal explodierten bereits Atombomben im Boden. Unterirdische Tests gelten als sicherer, weil viel Radioaktivität teils im Boden bleibt. Gleichwohl gelangen meist große Mengen strahlender Partikel in die Luft. Wie die Tests den Untergrund verändert haben, ist weitgehend unerforscht.
Fazit der Forscher
Das Fazit der Forscher angesichts der sechs Arten von Eingriffen des Menschen ist deutlich: "Die ausufernde Störung des Untergrundes in Tiefen von mehr als fünf Kilometern durch eine biologische Spezies (den Menschen) bedeutet eine erhebliche geologische Intervention", schreiben sie. Dafür gebe es keinen Vergleich in der Erdgeschichte.
Geologe Jan Zalasiewicz von der University of Leicester, Mitautor der Studie, prüft im Auftrag der ICS, ob die vom Menschen verursachten Veränderungen den Kriterien für eine geologische Epoche genügen.
"Wir müssen überzeugend darlegen können, dass die globalen Umweltveränderungen tiefgreifend genug sind, um eindeutig unterscheidbare Signale in den Bodenschichten zu hinterlassen, die sich heute und in Zukunft bilden", sagt Zalasiewicz.
Ob die neue Studie seine Kritiker überzeugen wird, scheint indes zweifelhaft. Sie machen vor allem zwei Kritikpunkte geltend:
- Menschliche Aktivitäten hätten sich nicht gleichzeitig im Boden niedergeschlagen. Manche Gegenden wie Amerika seien später kultiviert worden als andere, wie etwa China oder der Nahe Osten. Und in weiten Teilen der Welt hat der Mensch den Untergrund noch nicht verändert. Zu welcher Zeit also sollte die geologische Grenze gezogen werden?
- Von dem plötzlichen Beginn einer neuen Epoche könne keine Rede sein, denn seit der Steinzeit lasse sich der Einfluss des Menschen im Boden nachweisen. Doch diese Zeit werde längst als eigenes geologisches Zeitalter abgegrenzt: Die letzten 12.000 Jahre markierten das Zeitalter des Holozän - es kennzeichne bereits den Einfluss des Menschen. Warum bedürfe es einer weiteren Bezeichnung?
Die Debatte um das Menschenzeitalter dürfte also weitergehen.