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Wenn Polizisten töten: "Diesen Moment vergisst Du nie"


Wenn Polizisten töten
"Wenn der Taser fehlschlägt, haben Sie ein Messer im Bauch"

InterviewVon Antje Hildebrandt

Aktualisiert am 27.08.2022Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Um sich selbst oder das Leben anderer zu schützen, müssen Polizisten (hier ein SEK-Kommando, Symbolbild) bei Gefahr schießen. (Quelle: NEWS & ART via www.imago-images.de)

Im August wurden bundesweit drei Menschen von der Polizei erschossen und einer schwer verletzt. Rüstet die Polizei mental auf?

Die Polizei kommt aus der Kritik nicht heraus: Ein 16-jähriger Somalier, der in Dortmund durch fünf Kugeln aus einer Maschinenpistole starb, nachdem er Polizisten mit einem Messer bedroht hatte. Ein 23-Jähriger, dem ein Polizist im Frankfurter Bahnhofsviertel in den Kopf schoss, nachdem er Prostituierte bedroht hatte; ein 48-jähriger Mieter, der bei einer Zwangsräumung in Köln erschossen wurde. Und ein suizidgefährdeter 28-Jähriger, der schwer verletzt wurde, als Polizisten auf ihn schossen, weil er sie mit Messern bedrohte.

Tote durch Polizeigewalt? Bei den Opfern handelte es sich um Menschen, die psychisch krank waren oder am Rande der Gesellschaft standen. Ob der Gebrauch der Schusswaffen angemessen war, ob die Gewalt bei Polizeieinsätzen zunimmt und was es mit Polizisten macht, wenn sie einen Menschen im Einsatz töten, erläutert Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin.

t-online: Herr Jendro, am Dienstag ist ein Mann in Pankow, der Suizid begehen wollte, durch Schüsse aus einer Polizeiwaffe schwer verletzt worden. Es ist schon das fünfte Mal in diesem Monat, dass die Polizei in Deutschland bei einem Einsatz von Schusswaffen Gebrauch machte. Steuern wir langsam auf amerikanische Verhältnisse zu?

Benjamin Jendro: Wir sollten uns grundsätzlich nie mit den USA vergleichen und sollten, so schlimm die Vorfälle auch sind, sachlich bleiben. Jede Tat ruft Nachahmungstäter auf die Platte. Da entstehen dann auch mal Wellen mit mehreren Fällen in kurzer Zeit.

Die Polizei schießt nicht mehr als früher?

Doch, der Gebrauch der Schusswaffe hat bundesweit tatsächlich zugenommen. Nach einer Untersuchung der Deutschen Polizeihochschule waren es 1996 deutschlandweit 2.595 Schussabgaben, 291 auf Menschen. Heute liegen wir bei über 15.000, aber nur bei gut 100 auf Menschen. Die meisten Schüsse richten sich gegen Gegenstände oder Tiere. Da ist auch das Wildschwein, das im Nahbereich einer Kita erschossen wird, weil eine Gefahr für die Kinder besteht.

Wir reden jetzt aber über die Schüsse auf Menschen.

Die sind zum Glück wenige Fälle, auch wenn jeder Schuss einer zu viel ist. Unsere Kollegen geraten oft in Ausnahmesituationen. In Bruchteilen von Sekunden müssen sie eine Entscheidung treffen, die leider auch über Leben und Tod entscheiden kann. Es kommt dabei übrigens auch vor, dass Einsätze bewusst mit der Absicht eskaliert werden, dass die Polizei Menschen erschießt. Aus den USA schwappt das Phänomen Suicide by Cop (dt: Suizid durch Polizist, Anm. d. Red.) rüber.

Vertauschen Sie hier nicht Täter und Opfer?

Die Täter-Opfer-Umkehr passiert doch täglich, wenn wir uns die Berichterstattung angucken. Über den Vorfall in Pankow schrieben die Zeitungen: "Polizist schießt auf Mann." Das klingt so, als würde die Polizei herumlaufen und sich überlegen, wen erschießen wir mal heute? Tatsächlich aber werden sie in Ausnahmesituationen gebracht, in die niemand von uns geraten möchte.

Was ist der Albtraum für Polizisten?

Wenn Menschen sich oder andere verletzen wollen. Ganz gefährlich wird es, wenn sie es mit Leuten zu tun haben, die psychisch erkrankt und/oder bewaffnet sind, unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehen, weder auf Worte noch andere Maßnahmen mehr reagieren.

Gerade da stellt sich doch aber die Frage: Warum kommt bei solchen Einsätzen kein Psychologe mit?

Das würden wir uns auch wünschen. Klar ist aber, dass wir nicht bei jedem Einsatz überall in der Stadt in wenigen Minuten einen Psychologen vor Ort haben werden.

Anfang August trafen Polizisten in Dortmund auf einen 16-jährigen Somalier, der in psychiatrischer Behandlung war und sie mit einem Messer bedrohte. Er starb durch fünf Schüsse aus einer Maschinenpistole. Seit wann sind Polizisten im Einsatz so schwer bewaffnet?

Das ist eine Reaktion auf die Bedrohung durch Terrorismus. In einem Anschlags- oder Amokfall müssen Sie damit rechnen, dass mit einer Kalaschnikow oder mit anderen Kriegswaffen auf Sie geschossen wird. Mit einer normalen Dienstwaffe wie der SFP 9 kommt man da nicht weit.

Aber in Dortmund wurde diese Waffe gegen einen 16-Jährigen gerichtet.

Ich kenne den Vorfall auch nur aus der Zeitung und möchte das deshalb nicht bewerten. Unsere normalen Funkwagenfahrer tragen eine Dienstpistole und haben die MP5 im Fahrzeug, um im Notfall gegen Terroristen und Amoktäter gewappnet zu sein.

Was sehen denn die Regeln der Polizei vor: Wann ist der Einsatz einer Schusswaffe geboten?

Das ist von Land zu Land unterschiedlich und in den Polizeigesetzen geregelt. Unsere Kollegen dürfen im Rahmen der Notwehr oder einer Nothilfe zur Waffe greifen – also dann, wenn jemand nicht nur den Kollegen gefährdet, sondern auch sich selbst oder einen Dritten.

Schreibt das Gesetz auch vor, auf welche Körperteile sie zielen müssen?

In erster Linie gilt es, die Gefahr abzuwehren. Berlin ist das einzige Bundesland, das noch nicht den finalen Rettungsschuss geregelt hat.

Das müssen Sie jetzt mal erklären.

Stellen Sie sich vor, ein Mann rennt mit einem Sprengstoffgürtel in der U-Bahn herum. In Berlin können sich Beamte nur auf den Paragrafen der Notwehr oder Notrettung berufen, wenn sie auf ihn schießen. Das bedeutet, sie müssten juristisch dafür geradestehen, falls es Schadensersatzansprüche geben sollte. So etwas kommt zwar nur sehr selten vor, aber es ist extrem belastend. In den anderen Bundesländern legitimiert das Gesetz den Gebrauch der Schusswaffe in einer solchen absoluten Ausnahmesituation. Das heißt, die Kollegen können sie im Ernstfall richten.

Lernt man in der Polizeiausbildung, wie man sich in solchen Situationen verhält?

Natürlich gibt es sogenannte Situationstrainings für Bedrohungsszenarien wie Amokläufe, aber das ist immer in der Theorie. Den Ernstfall können Sie aber nicht simulieren.

In Berlin läuft seit 2017 ein Testversuch mit Tasern. Welche Erfahrungen hat die Polizei damit gemacht?

In 45 Fällen hat der Einsatz von Tasern abschreckende Wirkung gehabt, ohne dass die Polizei sie benutzen musste. In drei Fällen konnte man damit einen Suizid verhindern. Fünfmal wurde er ausgelöst.

In welchen Fällen dürfen sie den Taser einsetzen?

Wenn auch die Schusswaffe zum Einsatz kommen könnte. Aber das Ziel sollte eigentlich sein, zu verhindern, dass es zu so einer Situation überhaupt erst kommt, dass jemand schießt. Viele haben Angst vor Stromstößen. Man wird dann für Sekunden bewegungsunfähig.

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Wäre bei dem Vorfall in Pankow ein Taser die bessere Waffe gewesen?

Das möchte ich aus der Entfernung nicht bewerten und klar ist, die Kollegen hatten die Option nicht. Der Taser wird nur in Berlin-Mitte und in Friedrichshain-Kreuzberg erprobt. Er taugt auch nicht, wenn Sie eine dynamische Situation haben und ein mit Messer bewaffneter Täter auf Sie zurennt.

Warum nicht?

Er braucht derzeit eine Entfernung von fünf bis sieben Metern, damit die Elektroden auch effektiv treffen. Da können Sie bereits ein Messer im Bauch haben, wenn der Versuch fehlschlägt. Für Polizisten, die Schusswaffen tragen, ist in einer solchen Situation jede Entfernung unter zehn Metern gefährlich und ab sieben Metern kritisch und theoretisch tödlich.

Aber die Kausalität ist nicht geklärt. Nach unseren Kenntnissen sind viele danach gestorben, zum Beispiel, weil sie danach gestürzt und auf den Kopf gefallen sind. So was kann passieren. Die Risiken der Geräte wurden noch nicht restlos erforscht. Was machen sie mit Föten bei Schwangeren? Wie wirken sie auf Menschen mit Herzschrittmachern?

Warum? Für mich ist der Taser im Vergleich zur Schusswaffe das mildere Mittel, also eher eine Abrüstung. Die Alternative wäre, dass die Kollegen zur Schusswaffe greifen. Ich weiß nicht, ob das Herrn Behr und anderen Kritikern lieber ist.

Beim Blick auf die erschossenen Opfer fällt auf, dass es in der Regel Menschen sind, die psychisch krank sind und am Rande der Gesellschaft stehen. Gibt Ihnen das nicht zu denken, dass die Waffe ausgerechnet bei solchen Menschen die Ultima Ratio ist?

Klar ist, dass kein Kollege gern schießt und wir uns bei der Vielzahl an Menschen mit psychischen Erkrankungen die Frage stellen müssen, warum wir ihnen als Gesellschaft nicht anders helfen können, damit sie nicht in so eine Lage geraten. Insofern ist der schießende Polizist nur das letzte Glied in der Kette.

In Pankow wurden die Polizisten nach dem Schusswechsel seelsorgerisch betreut. Was macht es mit Kollegen, wenn sie Menschen im Dienst schwer verletzt oder getötet haben?

Natürlich hinterlässt das psychische Narben. Die Berliner Polizei hat jetzt eine Einsatz-Nachsorge und Seelsorge, die Erstbetreuung ist ganz gut. Aber langfristig muss mehr für die Kollegen getan werden. Ich kenne einige richtig harte Hunde, die haben schon einiges erlebt. Vom schweren Unfall bis zur Amok-Lage. Aber dass sie auf einen Menschen geschossen haben, darüber kommen sie nicht hinweg. Diesen Moment vergisst Du nie.

In Pankow ermittelt jetzt die Mordkommission. Können Polizisten per se mit mildernden Umständen rechnen?

Nein, jeder Schusswaffengebrauch wird gründlich untersucht. Ob es zur Anklage kommt, entscheidet die Justiz. Ich habe volles Vertrauen in die Gewaltenteilung.

Aber ermittelt wird auch von anderen Polizisten. Wie neutral können Kollegen sein?

Sie spielen auf den Korpsgeist an und ich kann das ein Stück weit verstehen, weil immer ein komischer Eindruck entsteht, wenn man gegen sich selbst ermittelt. Aber es gibt heutzutage zahlreiche Kontrollmechanismen. Ich kann Ihnen versichern: Den sagenumwobenen Korpsgeist habe ich bei der Berliner Polizei bisher nicht kennengelernt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Benjamin Jendro
  • Deutsche Polizeihochschule: "Statistiken zum polizeilichen Schusswaffengebrauch in Deutschland, Stand: 11. Dezember 2020".
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