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Berlin-Wahl | Klaus Lederer: "Herr Söder sollte sich um seine Probleme kümmern"


Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer
"Einige in unserer Partei verschließen die Augen"

  • Annika Leister
InterviewVon Yannick von Eisenhart Rothe, Annika Leister

Aktualisiert am 08.02.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Klaus LedererVergrößern des Bildes
Berlins Kultursenator Klaus Lederer: Für die Linke tritt er als Kandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters an. (Quelle: Fabian Sommer/dpa/Archivbild/dpa-bilder)

Berlin wählt – schon wieder. Und steht erneut in Verruf. Ein Gespräch mit Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer über Berlin-Bashing, Wohnungsnot und Probleme in der Linkspartei.

Erst Wahldebakel, dann Silvesterkrawalle: Das Image der Berliner Landespolitik hat in den vergangenen Wochen enorm gelitten. Und jetzt wird gewählt: Am 12. Februar sind fast 2,5 Millionen Berlinerinnen und Berliner aufgerufen, erneut ihr Kreuzchen zu setzen.

Derzeit regiert ein Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Linken in der Hauptstadt. Braucht es stattdessen personelle Konsequenzen, ganz neue Ansätze? Ein Gespräch mit Klaus Lederer, der für die Linke zum dritten Mal als Spitzenkandidat antritt.

t-online: Herr Lederer, am 12. Februar muss Berlin neu wählen, weil die vorherige Wahl vergeigt wurde. Schämt man sich gerade, Mitglied des Berliner Senats zu sein?

Klaus Lederer: Das Verfassungsgericht hat dem Senat eine ordentliche Klatsche verpasst. Da ist durchaus Demut angebracht.

Wie groß ist der Schaden für die Demokratie, den diese Wahl angerichtet hat?

Wenn man nach nur einem Jahr eine Wahl wiederholen muss, ist schon zu befürchten, dass dies Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung hat, und dass Menschen Vertrauen in die politischen Institutionen verloren haben. Als Linke werben wir deshalb bei den Berlinerinnen und Berlinern dafür, trotz allen Ärgers noch einmal wählen zu gehen.

Klaus Lederer - Die Linke
Klaus Lederer (Quelle: Fabian Sommer/dpa/dpa-bilder)

Zur Person

Jurist, Musiker, Kiffer: Klaus Lederer, 48 Jahre alt, ist seit 2016 Kultursenator und Bürgermeister von Berlin. Zuvor war er lange Vorsitzender seiner Partei, der Linken. Der Volljurist ist in Frankfurt (Oder) und Ost-Berlin aufgewachsen. Lederer singt – zum Beispiel auf einer CD mit DDR-Punksongs im Stile der 20er-Jahre. Er steht offen dazu, dass er kifft.

Das Wahldesaster ist beispiellos, trotzdem sind kaum personelle Konsequenzen gezogen worden. Nur die Landeswahlleiterin ist zurückgetreten. Herr Geisel, der als Innensenator für die Wahl zuständig war, ist jetzt Bausenator. Sollte nicht auch er gehen?

Personalentscheidungen liegen immer bei den jeweiligen Parteien. Letztlich muss die SPD mit sich selbst ausmachen, warum der damalige Innensenator nicht die volle Verantwortung übernommen hat. Politikerinnen sind schon für weniger zurückgetreten.

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Massive Kritik gab es außerdem wegen der Silvesterkrawalle. Bayerns Ministerpräsident Söder warf Berlin vor, sich zu einer "Chaos-Stadt" zu entwickeln.

CSU-Ministerpräsidenten neigen gern zu Bierzeltkrawalligkeit. Das heimselige "Mia sein mia" auf der einen Seite und "Berlin ist Sodom und Gomorrha" auf der anderen – das ist eine Schleife, die sich regelmäßig wiederholt. Herr Söder sollte sich einfach mal um seine eigenen Probleme kümmern. Da hat er genug zu tun. Man denke nur an die alljährlichen Alkoholexzesse rund um das Oktoberfest oder Angriffe auf Einsatzkräfte in Bayern wie in der Augsburger Maxstraße 2021.

Wie wollen Sie 2023/24 ein Silvester wie in diesem Jahr verhindern?

Straftaten müssen schnell und konsequent geahndet, die Einsatzkräfte unterstützt werden. Das ist Konsens in Berlin. Aber man darf die Debatte nicht rassistisch und ethnisch aufladen und einen großen Teil unserer Bevölkerung unter Generalverdacht stellen. Wir werden deshalb weiter auch über die sozialen Ursachen solcher jugendlichen Gewaltexzesse reden, über fehlende Zukunftsaussichten und empfundene Ohnmacht.

Die sozialen Probleme sind nicht neu. Was wurde in den letzten Jahren versäumt, dass die Lage jetzt so eskaliert ist?

Junge Menschen wachsen unaufhörlich nach und allen müssen immer wieder Teilhabe und gleiche Chancen ermöglicht werden. Da, wo Menschen auf Abstand gehalten werden, ihnen Rechte vorenthalten und sie in Alimentierung gezwungen werden, geht meistens etwas schief. Das ist leider eine Konstante der deutschen Integrationspolitik seit den 60er- und 70er-Jahren. Die Einsicht, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und sich diese Gesellschaft in Vielfalt entwickeln muss, ist leider noch immer nicht überall verbreitet.

Die Linke regiert schon lange in Berlin. Hat Ihre Partei bei der Lösung dieser Probleme versagt?

In Berlin sind wichtige Impulse für eine bessere Migration und Partizipation immer mit der Linken in der Regierung passiert. Aber bei dem, was sich zu Silvester abgespielt hat, geht es um sehr viele Dinge. Zukunftsperspektiven, Bildung, die Entwicklung von Stadtquartieren bis hin zur Frage, wie leicht man heutzutage an Schreckschusspistolen kommt. Das Einzige, was dabei ganz sicher keine Rolle spielt, sind die Vornamen dieser Jungen.

Die CDU hat die Herkunft der Täter stark in den Fokus gesetzt, auch SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte bei jedem Auftritt zu den Silvesterkrawallen den Migrationshintergrund vieler Tatverdächtiger.

In der Union setzt man seit dem Abschied von Angela Merkel zunehmend auf die rassistische Karte, und auch in der SPD beugt man sich immer wieder dem Druck von rechts. Das ärgert mich enorm. 38 Prozent aller Berliner haben schlicht und einfach einen Migrationshintergrund. Dass ein großer Teil der 44 zum Teil minderjährigen Tatverdächtigen ebenfalls einen hat, ist da keine Besonderheit, sondern eine Aussage ohne Wert.

Der Migrationshintergrund spielt aus Ihrer Perspektive also gar keine Rolle?

Die Straftaten werden geahndet, dafür haben wir den Rechtsstaat. Und wir gehen der Frage nach, warum sich diese jungen Männer so krass verhalten haben. Ein Migrationshintergrund macht da keinen Unterschied.

Sie sprechen sich deutlich für ein Böllerverkaufsverbot aus, die Mehrheit der Bundesländer aber lehnt das ab.

Diesen Teil der Debatte jetzt so schnell zu beenden, finde ich falsch. Das Hantieren mit Sprengstoffen gehört doch nicht zwangsweise zu Silvester. Wir sollten dieses Ritual weiter infrage stellen. Und das nicht nur wegen der jüngsten Gewaltexzesse, sondern auch mit Blick auf die Umwelt, auf die Gesundheit von Tier und Mensch und auf die Lage in den Notaufnahmen. Feiern kann man auch anders.

Jenseits des Böllerverbots: Was muss jetzt dringend geschehen?

Wir erleben nicht nur zu Silvester, dass Respekt und Wertschätzung von Rettungskräften abgenommen haben. Da lässt sich in der Sozial- und Jugendarbeit ansetzen. Es geht darum zu erfahren, wie wichtig es ist, solidarisch miteinander umzugehen und dass es das Leben und die Gesundheit der Nachbarn, der Freunde, der eigenen Verwandten schützen kann, wenn man Rettungskräften hilft, wenn es brennt oder ein Unfall passiert ist. Es ist kein Jux, Rettungskräfte anzugreifen.

Ein großes soziales Problem in Berlin ist der mangelnde Wohnraum. Sie versprechen mit einem neuen Programm 75.000 neue Sozialwohnungen in zehn Jahren. Wie genau soll das klappen?

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Für private Investoren lohnt sich die Schaffung preiswerten Wohnraums offenkundig nicht mehr. Infolge gestiegener Kosten für Bauvorhaben sind ihre Renditeerwartungen gesunken und sie streichen gerade reihenweise Projekte. Neubau-Kaltmieten von 20 Euro den Quadratmeter kann sich auch kaum eine Berliner Familie leisten. Wir wollen deshalb bezahlbaren Wohnraum mit Kaltmieten von 6,50 bis 7,50 Euro verstärkt von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften schaffen lassen. Mit einer Milliarde Euro pro Jahr, die wir zur Verfügung stellen, könnten jährlich 7.500 Wohnungen entstehen.

Auf Bundesebene hat die Ampel große Versprechen für den Wohnungsbau gemacht. 400.000 Wohnungen pro Jahr wollte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) schaffen. Ist das Ihrer Erfahrung als Landespolitiker nach überhaupt zu schaffen?

Was die Ampel im Bund bislang geliefert hat, wird nicht reichen. Sie hat ihr Ziel schon 2022 gerissen und wird es auch 2023 nicht schaffen. Das trifft vor allem große Städte wie Berlin. Wohnungsbauzahlen zu versprechen, die man nicht halten kann, ist das eine. Auf der anderen Seite werden kaum Voraussetzungen dafür geschaffen, dass auch in den Ländern bezahlbarer Wohnraum entstehen und erhalten werden kann. Da nehme ich im Moment nur die Diskussion über Indexmieten wahr, die ich für keine gute Lösung halte.

Berlin diskutiert auch hochumstrittene Ansätze, um Wohnraumprobleme zu entschärfen. Stichwort: Enteignung. 59 Prozent der Berliner haben sich in einem Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnungsgesellschaften ausgesprochen. Wenn Sie Teil der nächsten Regierung sind, werden Vonovia und Co. dann enteignet?

Zumindest kann ich garantieren, dass die Linke sich weiter dafür einsetzt. Erst mal gibt es eine Kommission, die in einem Zwischenbericht unsere Auffassung stützt, dass eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz möglich wäre. Sie soll uns helfen, zu einem rechtssicheren Gesetz zu kommen. Allerdings ist es so, dass zwar 59 Prozent der Berlinerinnen und Berliner dem Volksentscheid zugestimmt haben, es haben aber nicht 59 Prozent Parteien gewählt, die dieses Ziel ohne Wenn und Aber teilen.

Sie sprechen hier auch vom eigenen Koalitionspartner. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat kürzlich gesagt, dass sie Enteignungen nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könne. Sie saßen auf dem gleichen Podium. Was haben Sie sich da gedacht?

Ich war überrascht. Denn die Berliner SPD hat sich auf einem Landesparteitag für ein Enteignungsgesetz ausgesprochen, wenn die dafür geschaffene Kommission grünes Licht gibt. Wenn ich als Spitzenkandidat meiner Partei Beschlüsse meines Landesverbandes nicht mit meinem Gewissen vereinbaren könnte – also, ich würde dann zurücktreten.

Es wurde in dieser Form in Deutschland noch nie enteignet, die Folgen für den Wirtschaftsstandort Berlin wären enorm.

Juristisch ist das Vorhaben tatsächlich enorm komplex. Deswegen ja die eigens eingerichtete Kommission. Es ist aber nicht ratsam, eine politische Frage plötzlich zur Gewissensfrage zu erklären, denn das entpolitisiert den Diskurs. Franziska Giffey hat in dem Zusammenhang außerdem auf willkürliche Enteignungen in der DDR Bezug genommen. Damit vergleicht sie eine Norm, die unsere demokratische Verfassung explizit vorsieht, mit den Willkürakten der SED-Diktatur. Das ist schwer erträglich.

Wenn Sie glauben, dass Frau Giffey zurücktreten sollte, schließen Sie also aus, noch einmal Teil einer von ihr geführten Regierung zu sein?

Welches Personal die SPD in den Senat schickt, muss sie mit sich ausmachen. Ich setze mich dafür ein, dass wir als Linke ein gutes Wahlergebnis bekommen. Wir arbeiten mit Grünen und SPD im Berliner Senat ansonsten bisher gut zusammen. Dass Franziska Giffey sich jetzt so äußert, hat sicher auch mit der bevorstehenden Wahl zu tun.

Die Linke hat bei der Wahl mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen. Die Bundespartei ist in einem denkbar schlechten Zustand, sie zerlegt sich über Sahra Wagenknecht. Wie sehr ärgert Sie das?

Wir in Berlin besinnen uns auf das Gemeinsame und suchen täglich konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Das musste die Bundespartei nie, weil eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene bisher immer abstrakt geblieben ist. Da gibt es einiges, das mich ärgert.

Zum Beispiel?

Besonders mit Blick auf den Ukraine-Krieg betreiben einige in unserer Partei permanent Täter-Opfer-Umkehr. Sie verschließen die Augen vor der Realität. Sie wollen nicht sehen, dass Putin nicht erst seit Februar 2022, sondern seit Jahren eine großrussische Mobilmachung vorgetrieben und bestimmte Lebensweisen als westliche Dekadenz bezeichnet und verfolgt hat. Das muss ein Ende haben.

Wie sollte die Positionierung der Linken stattdessen aussehen?

Eine progressive Linke muss Menschenrechtsverletzungen verurteilen, egal, wo sie geschehen. Sie muss sich klar gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands positionieren. Im Berliner Landesverband haben wir in diesen Fragen zum Glück mit großer Mehrheit eine klare Haltung.

Wenn der Linken im Bund das alles nicht gelingt, wenn sie in der Russlandfrage keine Einigkeit herstellen kann – was dann?

Eine Linke, die in wichtigen gesellschaftlichen Fragen keine gemeinsame Position vertreten kann, macht sich überflüssig.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Klaus Lederer
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