t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



Menü Icon
t-online - Nachrichten für Deutschland
HomeRegionalBerlin

Jüdisches Forum zu 1.-Mai-Demo: "Antisemitismus zu verhindern ist illusorisch"


Linke Demo
Was hinter den brisanten Samidoun-Flaggen steckt

  • Anne-Sophie Schakat
InterviewVon Anne-Sophie Schakat

02.05.2022Lesedauer: 5 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Eine Demo-Teilnehmerin trägt eine Palästina-Flagge um die Schultern und Blick auf der Protestzug der "Revolutionärer 1. Mai Demonstration" in Berlin: Auch hier kam es zu antisemitischen Äußerungen.Vergrößern des Bildes
Eine Demo-Teilnehmerin trägt eine Palästina-Flagge um die Schultern und Blick auf den Protestzug der "Revolutionärer 1. Mai Demonstration" in Berlin: Auch hier kam es zu antisemitischen Äußerungen. (Quelle: Paul Zinken/Dpa - Montage t-online)

Die Polizei Berlin spricht vom "friedlichsten 1. Mai seit Jahrzehnten". Trotzdem kam es auf einer linken Demo zu antisemitischen Äußerungen – schon wieder. Das Jüdische Forum erklärt, was hinter den Parolen steckt.

Traditionell zieht zum Tag der Arbeit die "Revolutionärer 1. Mai Demonstration" durch Berlin. Obwohl es in diesem Jahr zu deutlich weniger Krawallen und Rangeleien mit der Polizei kam als zunächst befürchtet, fielen einzelne Gruppen erneut mit antisemitischen Parolen und Bannern auf.

Erst am Freitag hatte die Polizei eine pro-palästinensische Demo in Berlin verboten – vor allem auch aus Sorge vor antisemitischen Äußerungen. Es war bereits erwartet worden, dass die Gruppierungen die Demonstration am 1. Mai als Ersatzveranstaltung nutzen könnten.

Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V. (JFDA) hat die sogenannte Revolutionärer 1. Mai Demonstration am Sonntag begleitet und antisemitische Vorfälle dokumentiert. Im Interview mit t-online berichtet einer der Beobachter von seinen Eindrücken und erklärt, welche Formen des Antisemitismus es gibt.

t-online: Als Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V. haben Sie die "Revolutionärer 1. Mai Demonstration" in Berlin beobachtet. Wie haben Sie den Protestzug durch Neukölln und Kreuzberg wahrgenommen?

Jüdisches Forum*: Im Vergleich zum letzten Jahr stand das Thema Israel und damit zusammenhängend getätigte antisemitische Äußerungen weniger im Fokus. Dennoch war etwa der Frontblock geprägt von Gruppen wie "Palästina spricht", die in Teilen offen israelfeindlich auftreten. Diese Gruppen hatten also schon eine prominente Rolle auf der Demonstration.

Insgesamt gab es drei Blöcke, die antisemitische Inhalte kommuniziert haben: ganz am Anfang, in der Mitte und zum Schluss des Demozugs. Dass das Thema Israel in diesem Jahr nicht so stark im Fokus stand, kann wohl unter anderem auch am Krieg in der Ukraine gelegen haben.

Dennoch haben Sie einige antisemitische Vorfälle aus den pro-palästinensischen Blöcken dokumentiert. Welche waren das?

Zum einen war das die Beteiligung der Gruppe Samidoun. Sie gilt in Israel als Terrororganisation. Das ist eine Organisation, die der Partei Volksfront zur Befreiung Palästinas nahesteht, die wiederum auch die EU als Terrororganisation einstuft. Die Gruppierung war in der Mitte des Demozugs mit etwa 15 bis 20 Personen und Fahnen vertreten.

Außerdem war mehrfach der Sprechchor "From the river to the sea, Palestine will be free" zu hören, der auch auf explizit israelfeindlichen Demonstrationen immer wieder gerufen wird. Dieser Satz bedeutet nichts anderes, als Israel das Existenzrecht abzusprechen, weil er sich ein Palästina wünscht, das sich über das komplette Land vom Jordan bis zum Meer erstreckt. Auch andere Plakate haben in diese Richtung gezielt.

Auch der Begriff "Intifada" war auf einigen Bannern zu sehen. Was steckt dahinter?

Hier wurde sich positiv auf den bewaffneten Widerstand der Palästinenser, die Intifada, bezogen und diese wiederum als eigener Klassenkampf dargestellt. Das ist natürlich eine sehr fragwürdige und problematische Darstellung. Im Zuge der zwei Intifadas sind zahlreiche Israelis umgekommen.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Eine weitere, immer wiederkehrende Aussage ist die Bezeichnung der israelischen Politik als Apartheid. Durch solche Parolen wird zum einen tatsächliche Apartheid, wie es sie etwa in Südafrika gab, relativiert. Zum anderen wird die israelische Politik so auf eine schlichtweg falsche Art und Weise eingeordnet.

Wer sind diese Gruppen, die sich auf Demonstrationen in Berlin offen antisemitisch äußern?

Das variiert immer wieder. Im Laufe der letzten Wochen standen zwei Demonstrationen in Berlin besonders im Fokus. Die Demo am Rathaus Neukölln am 22. April war von fundamental islamischen Kreisen aus Neukölln angemeldet worden. Das ist eine etwas ältere Gruppe, die ich als eher rechte Organisation bezeichnen würde. Dort waren beispielsweise viele Parolen zu hören, die sich auf Arabisch unter anderem positiv auf Hamas-Befehlshaber bezogen haben.

Auf der anderen Seite gibt es die linke Gruppe "Palästina spricht", die am 23. April eine Demonstration in Berlin angemeldet hatte. Bemerkenswert ist, dass sich zwar die Organisationsstrukturen der beiden Gruppen unterscheiden, die Inhalte der Demonstrationen aber kaum.

Auf beiden Veranstaltungen gab es außerdem eine enorme Pressefeindlichkeit. Was uns überrascht hat, war, dass enorm viele Kinder und Jugendliche vor Ort waren. Dort stellen wir also eine frühzeitige Politisierung in diese Richtung fest.

Von wem geht diese Politisierung aus?

Da können auch wir nur mutmaßen. Familiäre Kontexte können da eine Rolle spielen, aber auch die Sozialisation in Schulen oder Jugendhäusern, also überall da, wo auch sonst Politisierung stattfindet. Dem kann beispielsweise durch mehr Sozialarbeit etwa an Schulen entgegengewirkt werden, um solche Tendenzen frühzeitig zu erkennen.

Wir als Jüdisches Forum machen auch selbst politische Bildungsarbeit, gehen an Schulen und sprechen mit den Kindern und Jugendlichen zum Beispiel über Antisemitismus und Verschwörungstheorien. Diese Auseinandersetzung muss aber kontinuierlich stattfinden.

Eine geplante pro-palästinensische Demonstration am Freitag war von der Polizei aus Sorge vor antisemitischen Vorfällen verboten worden. Wie bewerten Sie, dass sich diese Gruppen der Demo zum 1. Mai teilweise anschlossen und das von den anderen Teilnehmenden mindestens toleriert wurde?

Grundsätzlich muss man klar benennen, dass Antisemitismus in allen politischen Spektren zu finden ist. Gerade der "Befreiungskampf der Palästinenser" ist ein Thema, mit dem sich viele Linke identifizieren können. Dann wird Israel als das Grundböse dargestellt, wodurch sich leicht ein Gut-Böse-Muster aufbauen lässt. Israel wird in diesem Zusammenhang häufig dämonisiert.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Dennoch würde ich die "Revolutionäre 1. Mai Demonstration" nicht als insgesamt antisemitisch bezeichnen. Es gab etwa auch Plakate mit der Aufschrift "Gegen jeden Antisemitismus", auch wenn diese deutlich seltener zu sehen waren. Auch wenn es sich um eine linke Demonstration handelte, war die Heterogenität der politischen Einstellungen recht groß.

Wie unterscheiden sich linker und rechter Antisemitismus?

In rechtsextremen Kreisen ist häufig der offene Judenhass sehr präsent, also zum Beispiel das Entmenschlichen von Jüdinnen und Juden, aber auch der positive Bezug auf den Nationalsozialismus oder sogar das Leugnen der Shoah.

Loading...
Loading...
Loading...

In der linken Szene wiederum spielt neben dem israelbezogenen Antisemitismus, auf den ich gerade bereits eingegangen bin, beispielsweise auch regressive Kapitalismuskritik eine Rolle. Bei der gestrigen Demo in Berlin stand aber eher der israelbezogene Antisemitismus im Fokus.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Ab wann ist Israelkritik antisemitisch?

Natürlich kann jedes Land der Welt kritisiert werden, das passiert auch ständig. In linken Kreisen werden aber häufig Scheinargumente gegen Israel vorgeschoben, um antisemitische Äußerungen zu legitimieren.

Um israelbezogenen Antisemitismus zu erkennen, gibt es etwa den Drei-D-Test: Delegitimierung, Dämonisierung und Doppelstandards – also dass etwa Dinge an Israel kritisiert werden, an anderen Ländern aber nicht. Sobald eines dieser D's erfüllt ist, sprechen wir davon, dass etwas antisemitisch ist. Wir als JFDA beziehen uns in diesem Zusammenhang auf die IHRA working definition of antisemitism.

Wie kann solch offener Antisemitismus, wie er zuletzt auf Demonstrationen in Berlin zu sehen war, unterbunden werden?

Zu glauben, dass man antisemitische Äußerungen komplett verhindern kann, ist illusorisch. Bei Demonstrationen könnten aber etwa von der Polizei noch mehr Menschen vor Ort sein, die Arabisch sprechen und im Bedarfsfall eingreifen können.

Um Antisemitismus generell zu bekämpfen, braucht es noch viel mehr Prävention, auch im Jugendalter. Hier sollte die Aufklärung etwa durch Sozialarbeiter weiter verstärkt werden. Das ist aber ein langwieriger Prozess.

Vielen Dank für das Gespräch!

Disclaimer: Der Gesprächspartner möchte anonym bleiben, weil er in der Vergangenheit bereits Opfer von teils körperlichen Angriffen wurde. Er wird daher im Folgenden auf eigenen Wunsch als Jüdisches Forum zitiert. Der vollständige Name ist t-online bekannt.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.
  • Eigene Recherche
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website