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WM-Start in Katar | Miese Stimmung in Frankfurt: "Passt nicht in die Weihnachtszeit"


Nix los in Fußball-Kneipen
"Manche gucken heimlich zu Hause"

Von Sophie Vorgrimler

Aktualisiert am 21.11.2022Lesedauer: 4 Min.
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Sascha, Geschäftsführer des Angelo Irish PubVergrößern des Bildes
"Normalerweise ist bei Eröffnungsspielen volle Brigade", sagt Sascha vom Anglo Irish Pub in Frankfurt. Am Sonntag steht er als Barkeeper allein hinterm Tresen. (Quelle: Sophie Vorgrimler)

Katerstimmung nach dem Feiern kennen viele. In Frankfurt herrschte zum WM-Auftakt eher "Katar"-Stimmung. Eine Reportage zum WM-Start.

Wer schon einmal bei einem großen Fußballspiel in Alt-Sachsenhausen war, der weiß: Normalerweise ist in den engen Gassen die Hölle los. Zum Start der Fußball-Weltmeisterschaft, dem eigentlich weltweit größten Sportevent, steht vor dem Harmonie Pub in der Großen Rittergasse 77 genau ein Mann und guckt zum Bildschirm.

Und das auch nur, weil er zum Rauchen rausgegangen ist.

In der Kneipe sind nur eine Handvoll Gäste. Sie sind unabhängig vom Spiel dort, das zwischen dem südamerikanischen Land Ecuador und dem WM-Gastgeberland Katar in der Stadt al-Chaur ausgetragen wird. Die WM ist umstritten wie keine zuvor.

"Fußball passt nicht in die Weihnachtszeit"

Diskussionen darüber führen auch Tanja Nill und Steffen Erhard, als sie einen Blick durch die großen Fenster der Gaststätte Hooters werfen. Dort wird das Spiel auf mehreren großen Bildschirmen übertragen, zum Gucken ist aber fast niemand gekommen. "Wir sind grundsätzlich an Fußball interessiert, aber was die WM betrifft, sind wir verschiedener Meinung", sagt Tanja Nill. "Er guckt, ich gucke nicht." Die Vergabe der Weltmeisterschaft nach Katar sei eine geldpolitische Entscheidung gewesen, Frauen dürfen nicht in Stadien – das sind die Argumente, warum Nill in den kommenden Wochen nicht einschaltet. "Außerdem passt Fußball nicht in die Weihnachtszeit, da kommen zwei Feste zusammen, die nicht zusammenpassen", sagt sie.

Die Entscheidung, dass die WM im Winter stattfindet, findet er verständlich, sagt Erhard. "Die Spieler vollbringen körperliche Höchstleistungen, die sind in dieser Zeit ausgelaugt. Wenn da noch solche Temperaturen dazukämen, das wäre zu viel." Was die Menschenrechtslage angeht, das gefiele ihm auch nicht, räumt er ein. "Aber dass es auf Großbaustellen auch Tote gibt, das ist auch schon bei anderen Projekten vorgekommen. Der Seehafen in Russland oder der riesige Flughafen in der Türkei zum Beispiel", sagt Erhard. Ihn ärgert die Doppelmoral. "Da war der Aufschrei nicht so groß." Ein Fußballstadion, das danach keine Verwendung mehr hat, sei aber etwas anderes als ein Hafen, findet Tanja Nill.

Einige boykottieren die WM – oder sie gucken heimlich zu Hause

Sie hätte es begrüßt, wenn die deutsche Nationalmannschaft ihre Teilnahme an der WM in Anbetracht der Vorfälle in Katar abgesagt hätte. "Das hätte ich mir eigentlich von vielen Ländern gewünscht", sagt sie. "Im Freundeskreis boykottieren viele diese WM", sagt Erhard. "Oder sie gucken heimlich zu Hause." Ob sie am Ende nicht doch das ein oder andere Spiel mitgucken wird, das könne sie auch nicht versprechen, gibt Nill zu.

Dass die WM erstmals bei niedrigen Temperaturen stattfindet, ist sicherlich nicht der einzige Grund, warum in Sachsenhausen nicht so recht WM-Feeling aufkommen mag. Manche typische Sport-Gaststätten haben nicht mal geöffnet.

Es geht in diesem Jahr eben nicht nur darum, welche Mannschaft wie abschneidet – die Spiele sind alle auch überschattet von der Frage: Wie viele Menschen mussten für den Bau dieses Stadions ihr Leben lassen? Es geht um die Lebens- und Arbeitsverhältnisse von ausländischen Arbeitern, die in den vergangenen Jahren für die 64 Spiele sieben neue spektakuläre Fußballstadien erbaut haben.

Es geht um die Bestechlichkeit der Fifa, die zur Vergabe der WM 2022 nach Katar geführt hat. Es geht aber auch um die Menschenrechtsbestimmungen im Land, die für Frauen nicht einfach und für Homosexuelle gefährlich sind. Es geht darum, dass es keine Frauenfußballliga im Land gibt und die ziemlich unsichtbare weibliche Nationalmannschaft scheinbar lediglich gegründet wurde, um "Förderung von Frauenfußball" für die Vergabe vorweisen zu können. Aus diesen Gründen haben verschiedene Initiativen unter dem Hashtag #boykottkatar zu Gegenveranstaltungen aufgerufen.

"Normalerweise ist bei Eröffnungsspielen volle Brigade"

Im Sachsenhausener Anglo Irish Pub ist es so gemütlich, dass man das Wetter draußen einfach ausblenden kann. Dennoch sind die anwesenden Gäste nicht zum Fußballschauen gekommen. Sascha, der dort seit 2006 Geschäftsführer ist, hat schon so einige WMs und EMs mitbekommen. "Normalerweise ist bei Eröffnungsspielen volle Brigade. Da haben wir auch vier Fernseher draußen", sagt er. Heute steht er als Barkeeper alleine hinter dem Tresen. Dass Sachsenhausen fast leergefegt ist, schreibt er verschiedenen Umständen zu. "Ecuador und Katar als Mannschaften sind natürlich auch nicht so interessant. Und weil Winter ist, kommt sicher auch nicht die gleiche Stimmung auf wie im Sommer", sagt der Gastronom und Fußballfan.

Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Boykottaufrufe trügen wohl auch ihren Teil dazu bei. "Es ist natürlich krass, was da abgeht. Dass Arbeiter nicht bezahlt wurden und es bezahlte Fans gibt." Der Nutzen des Boykotts erschließt sich ihm trotzdem nicht. "Damit boykottiert man auch die Gastronomie und wir können da auch nichts dafür", sagt er. Eigentlich seien die Meisterschaften für die Gastronomen immer ein gutes Extrageschäft, sagt er. "Da ist normalerweise auch Sonntag bis Donnerstag gut was los." Er hofft auf mehr Fußball-Publikum in den kommenden Wochen, wenn die ersten Gruppenspiele gelaufen sind.

Kurz nach Anpfiff huschen zwei Gäste in ein weiteres, eher leeres Lokal in Alt-Sachsenhausen. "Ist hier noch ein Platz frei zum Fußballgucken?", fragen sie die Bedienung mit ironischem Ton. So wenig Gäste bei einem WM-Auftakt-Spiel hat wohl keiner erwartet. Das 0:2 bei seinem ersten Spiel im Turnier war für Katar vielleicht nicht die einzige Niederlage.

Am Montag um 14 Uhr spielt England gegen den Iran, um 17 Uhr Senegal gegen die Niederlande und um 20 Uhr die USA gegen Wales. Die deutsche Mannschaft steht am Mittwoch, den 23.11. um 14 Uhr das erste Mal gegen Japan auf dem Platz. Die Wirte in Alt-Sachsenhausen sind schon jetzt gespannt, ob dann mehr Gäste kommen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtung in Alt-Sachsenhausen
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