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Erdbeben in Syrien: Deutsche Helferin – "Hier ist jede Hoffnung gestorben"


Nach dem Erdbeben in Syrien
Deutsche Helferin in Aleppo: "Hier ist jede Hoffnung gestorben"

Von Stefan Simon

Aktualisiert am 03.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Ein kleines Kind sitzt weinend auf dem Boden im Barkhadan Camp: Im Erdbebengebiet bei Aleppo kommt kaum Hilfe an.Vergrößern des Bildes
Ein kleines Kind sitzt weinend auf dem Boden im Barkhadan Camp: Im Erdbebengebiet bei Aleppo kommt kaum Hilfe an. (Quelle: KRC/Kurdish Red Crescent)

Die Menschen in Aleppo leiden besonders stark unter den Erdbeben. Dazu kommen die Folgen des brutalen Bürgerkriegs in Syrien. Was bleibt den Menschen in der Stadt?

Als Fee Baumann durch die verwüsteten Straßen Aleppos läuft, zeichnet sie ein dramatisches Bild der Lage: Menschen, die auf der Straße sitzen und weinen, Menschen, die sie um Hilfe anflehen. Menschen, die alles verloren haben. "Diese Leute sind völlig verzweifelt. Sie wissen nicht wohin. Man sieht ihnen an, wie sehr sie leiden", erzählt Baumann im Telefongespräch mit t-online.

Baumann arbeitet für den Kurdischen Roten Halbmond, einer Schwesterorganisation von Medico International mit Sitz in Frankfurt. Sie koordiniert Hilfstransporte an Bedürftige. Sie lebt seit über fünf Jahren in Nordostsyrien und befindet sich derzeit als Helferin in Aleppo. Die Menschen dort gehörten jahrelang zu den Hauptleidtragenden des Bürgerkriegs. Von den beschädigten und zerstörten Häusern wurden nur wenige wieder aufgebaut. Die Bevölkerung leidet unter dem wirtschaftlichen Niedergang des Landes. Die Region wird in Teilen von verschiedenen Rebellengruppen und in Teilen vom syrischen Regime kontrolliert. Und nun traf sie auch noch das verheerende Erdbeben.

Baumann befindet sich derzeit in den kurdisch geprägten Stadtteilen Sheikh Madsood und Ashrafie. Fotos, die sie t-online zugeschickt hat, zeigen völlig zerstörte Häuser. Manche seien stark einsturzgefährdet. Normalerweise müssten diese abgerissen werden, doch dafür fehlt schweres Gerät.

In den beiden Vierteln würden etwa 300.000 Menschen leben, sagt Baumann. Rund 20.000 leben in Notunterkünften. In ihre Häuser könnten sie nicht mehr zurückkehren. Hilfe komme hier so gut wie gar nicht an. "Wir benötigen Zelte, Decken, Matratzen, Heizmöglichkeiten, Essen, Trinkwasser und Medizin. Es fehlt hier quasi an allem", berichtet Baumann. Sie kritisiert, dass sowohl von türkischer als auch syrischer Seite die Transporte blockiert würden. Zudem lassen laut Baumann schiitische Milizen rund um Sheik Madsood und Ashrafie keine Transporte durch. Generell kommt kaum Hilfe für Kurden an. Stattdessen fliegen die Türkei und das Assad-Regime weiter Luftangriffe auf kurdische Gebiete in Nordsyrien. Das berichtet auch der "Stern". "Die Lage ist schlimm", sagt Baumann.

Bevor Baumann mit dem Hilfskonvoi Aleppo erreichte, steckte sie zehn Tage am letzten Checkpoint des vom Assad-Regime kontrollierten Gebietes fest (t-online berichtete). Die syrische Armee habe von ihnen verlangt, die Hälfte der Hilfsgüter für die Betroffenen des Erdbebens an sie zu übergeben. Das hätten sie abgelehnt, so Baumann.

Es folgten tagelange Gespräche zwischen der UN, dem syrischen Außenministerium, Italien und syrischen Offiziellen. Erst nach zehn Tagen rückte das Assad-Regime von seinen Forderungen ab. In der Zeit berichtete Baumann in einem Video, das t-online vorliegt, dass die Nächte so kalt gewesen seien, dass ihre Wassertanks eingefroren seien. "Die Menschen draußen übernachteten quasi mit nichts. Wir hatten Angst, dass Menschen erfrieren können. Das ist am Ende zum Glück nicht passiert."

Generell sei der Gesundheitszustand in Aleppo nicht gut, mental wie körperlich. Die Menschen in Aleppo bräuchten zusätzlich dringend psychologische Hilfe, so Baumann weiter. Aleppo ist seit Jahren schwer gezeichnet durch den Bürgerkrieg. Immer wieder gebe es vereinzelt Nachbeben, wodurch die Häuser noch instabiler würden, erzählt Baumann. "Diese Beben hinterlassen Traumata. Selbst ich habe es gemerkt. Sobald ich ein Haus betrete, wird mir schlecht. Es fühlt sich an, als würde ich seekrank werden. Die Leute hängen sich Dinge an die Wände, um zu sehen, ob sie selbst wackeln oder die Erde."

Hinzukommt, dass Aleppo und die Region abgeschirmt seien. Alles, was man hier zum Leben bräuchte, würde Monate dauern, bis mal etwas ankomme. "Ich bin froh, dass wir Hilfe anbieten können. In den Vierteln ist ein hervorragendes medizinisches Team. Sie arbeiten toll zusammen, allerdings mangelt es hier auch an allem. Sie haben zwei Krankenwagen, die beide kaputt sind", sagt Baumann.

Das Team um Baumann ist auch dazu bereit, mit dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond (SARC) zu kooperieren. Allerdings scheiterten die Versuche der Kooperation wohl an politischen Differenzen. Denn die SARC ist regimetreu und lehnt kurdische Organisationen prinzipiell ab. Dringend benötigte Hilfsgüter kommen in Aleppo nur bei jenen an, die in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten leben, berichtet die "Tagesschau".

Die Lage vor Ort sei seit dem Erdbeben "dramatischer"

Wie soll es nun angesichts der fehlenden Hilfsgüter weitergehen? Eine Lösung hat auch Baumann nicht. "Die Lage war vorher schon schlimm. Doch seit dem Erdbeben ist die Situation noch dramatischer. Irgendwann können die Leute nicht mehr. Es ist beeindruckend, wie lange sie das überhaupt schon aushalten. Hier ist jede Hoffnung und jede Perspektive gestorben."

Tausende Menschen stehen somit vor dem Nichts. Ob und wie sich die Region von den Beben erholen wird – das bleibt fraglich. "Das wird noch einige Jahre dauern. Allein der Wiederaufbau der Häuser, die man noch retten könnte, würde Jahre dauern. Die einzige Perspektive der Menschen sind die Camps. Am besten wäre es aber, wenn sie das Land verlassen. Doch dafür haben die allermeisten kein Geld."

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