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Autor Paul Ninus Naujoks: "Mir wird abgesprochen, dass ich ein Mann bin"


Zu feindlichen Übergriffen
"Trans Personen wird unterstellt, ihr Geschlecht sei eine Irritation"

  • Gregory Dauber
InterviewVon Gregory Dauber

Aktualisiert am 24.09.2022Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Paul Ninus Naujoks ist Autor und Künstler: Er will ein Bewusstsein für Lebensrealitäten von trans Personen schaffen.Vergrößern des Bildes
Paul Ninus Naujoks ist Autor und Künstler: Er will ein Bewusstsein für Lebensrealitäten von trans Personen schaffen. (Quelle: Privat)

Gewalttätige Übergriffe auf Transgender dominierten zuletzt häufig die Schlagzeilen. Wir sprachen mit einem Mann, der aufklären und sensibilisieren will.

Münster, Augsburg, Bremen, Berlin und zuletzt Frankfurt: In mehreren deutschen Städten kam es zuletzt zu gewalttätigen Übergriffen auf trans Personen, ein Mensch starb sogar infolge eines Angriffs. Nehmen diese Attacken zu? Oder bleiben sie nur seltener im Verborgenen? Diese Frage ist kaum zu beantworten, da politisch motivierte Straftaten wegen sexueller Identität erst seit Kurzem polizeilich gesondert erfasst werden.

t-online hat mit dem Autor und Künstler Paul Ninus Naujoks, der über die Lebenswelten von Transgender aufklären will, gesprochen. In seinem Buch "Männer und Zerbrechlichkeiten" berichtet der trans Mann aus Hamburg von seinen Diskriminierungserfahrungen – in Kneipen, persönlichen Gesprächen, aber auch bei Behörden. "Die breite Masse muss eine grobe Ahnung haben, was eigentlich abgeht", sagt der 27-Jährige im Interview. Er könne verstehen, warum manche von der Debatte um sexuelle Identität überfordert sind – im Gendern erkennt er allerdings nichts Belehrendes.

t-online: Sie haben ein Buch geschrieben über Ihr Leben als trans Mann. Die Zielgruppe ist aber nicht die queere Gemeinschaft, sondern die breite Masse, die sich mit dem Thema noch nicht auskennt. Warum?

Paul Ninus Naujoks: Ich will den Leuten die Möglichkeit geben, niedrigschwellig Einblicke in trans Identitäten zu bekommen. Mit Kurzgeschichten aus meinem Leben sollen die Lesenden besser verstehen können. Ich glaube, das ist super wichtig, dass ein Bewusstsein für die Lebensrealitäten von trans Personen geschaffen wird. Nur so kann Diskriminierung abgebaut und Verständnis aufgebaut werden.

Worum geht es in den Kurzgeschichten?

Ich bediene mich an Alltagsanekdoten, lasse aber auch gesellschaftliche und gesetzliche Gegebenheiten einfließen. Damit das Ganze greifbar bleibt, bleibe ich sehr bei mir und meinen Erlebnissen und berichte von eigenen Diskriminierungserfahrungen.

Was sind das für Erfahrungen?

Eine dreht sich zum Beispiel darum, wie ich aufgrund behördlicher Überforderung mit meinen Vornamen zwangsexmatrikuliert wurde. Ich war an der Uni mit meinem juristischen Namen eingeschrieben, den ich bei der Geburt bekommen habe, aber nicht nutze oder öffentlich mache. Bei einem Arbeitsverhältnis, das parallel lief, stand ich aber als Paul drin.

Das Ganze ist erstmal nicht aufgeflogen, bis ich 25 war und aus der Familienversicherung herausgekommen bin. Da wollte die Krankenkasse dann Geld von mir, obwohl ich durch das Arbeitsverhältnis schon Geld eingezahlt hatte. Die Verwaltung der Uni kam damit nicht zurecht, dass ich bei der Krankenkasse als Paul lief und so kam es zur Zwangsexmatrikulation.

Das Buchcover von Paul Ninus Naujoks: Darin berichtet er in Kurzgeschichten von seinen Alltagserfahrungen.
Das Buchcover von Paul Ninus Naujoks: Darin berichtet er in Kurzgeschichten von seinen Alltagserfahrungen. (Quelle: Paul Ninus Naujok)

Das Buch

Naujocks Buch "Männer & Zerbrechlichkeiten" erscheint im Story.one publishing Verlag. 76 Seiten, ISBN 978-3-7108-1778-6, 16 Euro. In kurzen Geschichten berichtet er von Diskrimierungen durch andere Menschen, aber auch durch Verwaltungen. Mit dem Buch möchte er transsexuelle Lebenswelten sichtbar machen und nimmt damit am "Young Storyteller Award" teil.

Heißt das, Sie dürfen Ihren selbstgewählten Namen Paul nicht in den Pass eintragen lassen?

Momentan wird trans Personen die Möglichkeit gegeben, ihr Geschlecht über das sogenannte Transsexuellengesetz unter Beweis zu stellen und so den Namen und den Geschlechtseintrag im Pass korrigieren zu lassen. Das habe ich aber nicht durchlaufen.

Haben Sie das noch vor?

Ich setze darauf, dass das Gesetz bald abgeschafft wird. Dann bediene ich mich am Selbstbestimmungsgesetz. In meinem Fall ist die Bürokratie mittlerweile die schwerwiegendste Form an Diskriminierung, die ich im Alltag erlebe. Auf der Straße werde ich mittlerweile einfach als Mann wahrgenommen. Die Zeit der physischen und psychischen Gewalt ist für mich zum Glück vorbei.

Woran liegt das?

Zum Einen, weil sich mein Erscheinungsbild geändert hat. Früher war ich für andere vielleicht nicht so einfach den binären Geschlechtern, also männlich oder weiblich, zuzuordnen. Zum Anderen hat sich in den letzten zehn Jahren gesamtgesellschaftlich auch vieles getan.

Stoßen Sie als trans Mann noch auf viele Vorurteile?

Ja, mir wird abgesprochen, dass ich ein Mann bin. Es wird trans Personen beispielsweise immer noch unterstellt, dass ihr Geschlecht nur eine Irritation wäre. Auf der anderen Seite wird mir von einigen vorgeworfen, ich wäre frauenfeindlich, weil ich sage, dass ich keine Frau bin. Nur weil ich einer Gruppe nicht zugehörig bin, heißt es ja nicht, dass ich feindlich gegen die Gruppe eingestellt bin. Ich habe Erfahrungen gemacht, wie es sein kann, erst als Mädchen und dann als junge Frau in dieser Gesellschaft heranzuwachsen und zu performen. Ich weiß, wie sich Sexismus anfühlen kann und es ist mir wichtig, für eine Gleichberechtigung und Chancengleichheit einzustehen.

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Wie weit verbreitet ist noch der Irrglaube, trans Männer und Transvestiten sind das Gleiche?

Das gibt es definitiv noch. Ich habe mal eine Straßenumfrage gemacht, bei der ich ein Schild dabei hatte, auf dem Stand: Ich bin trans, was willst du wissen? Es hat nicht lange gedauert, dass ich als Transvestit betitelt wurde. Ich habe dann versucht, aufzuklären, was der Unterschied ist. Travestie ist eine Kunstform, Transgeschlechtlichkeit hingegen eine Lebensrealität.

Wie haben Sie die transfeindlichen Übergriffe der vergangenen Monate wahrgenommen? Nehmen diese zu oder ist das nur ein Eindruck, weil mehr darüber berichtet wird?

Transfeindliche Motive werden polizeilich ja noch gar nicht so lange als solche erfasst. Insofern ist eine Aussage darüber schwierig. Es ist auf jeden Fall gut, dass diese Vorfälle öffentlich gemacht werden und nicht alles Dunkelziffern bleiben. Dass es Transfeindlichkeit gibt, ist kein neues Problem. Ich kenne das aus meinem Alltag, aus meinem Leben. Trotzdem macht diese Gewalt wütend, traurig und macht Angst.

Wie die zunehmende Berichterstattung in der queeren Gemeinschaft aufgenommen?

Wie gesagt, es ist gut, dass darüber gesprochen und geschrieben wird. Die Community rückt mehr zusammen. Dabei stellt sich aber auch die Frage, wie darüber geschrieben wird. In der Berichterstattung über Übergriffe kommt es teils zu weiteren diskriminierenden Formulierungen gegenüber trans Personen, aber auch anderen Gruppen.


Quotation Mark

Queerfeindlichkeit hat nichts mit Sprache, Herkunft oder Hautfarbe zu tun. Diese Gewalt geht durch die gesamte Gesellschaft.


Paul Ninus Naujoks


Welche andere Gruppen meinen Sie?

Im Fall von Malte C. aus Münster, der kürzlich verstorben ist, wurde im Nachhinein oft über einen möglichen Migrationshintergrund des Täters gesprochen. Das ist rassistisch. Queerfeindlichkeit hat nichts mit Sprache, ethnischer Herkunft oder Hautfarbe zu tun. Diese Gewalt geht durch die gesamte Gesellschaft.

Was wünschen Sie sich von Personen, die Queerfeindlichkeit mitbekommen und nicht zur Community gehören?

Wenn Sie es erkennen, ist das schon mal ein großer Schritt. Das ist ja in den meisten Fällen gar nicht der Fall. Deswegen braucht es Information und Bildung, um Integration zu ermöglichen. Wenn es erkannt wird, muss gehandelt werden. Entweder, indem man selbst aktiv und laut wird oder indem die Polizei dazugeholt wird, um nicht selbst in Gefahr zu geraten.

Können Sie sich auf den Gedanken einlassen, dass heteronormative Teile der Gesellschaft damit überfordert sind, dass derzeit mehr über geschlechtliche Identität gesprochen wird?

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Das verstehe ich total, weil es für viele Menschen etwas "Neues" ist. Dabei ist ja gar nicht neu, es wurde nur sehr lange nicht sichtbar gemacht. Veränderung kann immer auch zu Ängsten und Unsicherheiten führen. Je nachdem, wie man an etwas herangeführt wird oder welchen Input man da bekommt, kann man natürlich auch zurückschrecken.

Wie wichtig ist Ihnen gendersensible Sprache, das viel zitierte und oft als Reizwort wahrgenommene Gendern?

Ich persönlich benutze es immer. Ich kenne Kreise, die sogar so weit gehen und sagen: Ich unterhalte mich nur mit Leuten, die gendern. Das halte ich für Quatsch. Einfach, weil auch nicht alle die Zugänge oder das Verständnis dazu haben. Gleichzeitig halte ich inklusive Sprache für richtig, weil Sprache sich immer weiterentwickelt. Wir haben jetzt eine andere Sprache als vor 100 Jahren und in 100 Jahren wird die Sprache wieder anders sein als jetzt. Gendern ist wichtig, weil es alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten einbezieht. Es stimmt aber, dass es noch nicht für alle barrierefrei ist.

Friedrich Merz hat kürzlich in der Talkshow von Markus Lanz gesagt, dass er das Gendern in Teilen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks als belehrend empfinden. Was würden Sie Herrn Merz entgegnen, wenn Sie könnten und wollten?

Menschen, die gendern, sprechen damit alle Geschlechter unserer Gesellschaft an. Das ist ja auch der Auftrag von ARD und ZDF. Es geht also um Sichtbarkeit, die über die von Männer hinaus geht und nicht um Belehrung.

Was glauben Sie, warum Friedrich Merz das anders empfindet?

Ich glaube, dass Friedrich Merz das Gendern einfach nicht greifen kann und sich der Sachen bedient, die er mal irgendwann gelernt hat und als allgegenwärtig und nicht veränderbar ansieht. Gesellschaft ist aber schon immer etwas, was sich verändert. Zudem ist er ein Mann. Wenn alle Geschlechter in Sprache sichtbar gemacht werden, bedeutet das auch ein Machtverlust für Männer, weil sie nicht mehr die Einzigen sind. Das kann einem Mann natürlich auch Angst machen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Paul Ninus Naujoks
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