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Chaos am Hamburger Flughafen: Experte kritisiert Luftfahrtbranche


Luftfahrtexperte über Airport-Chaos
"Das Fliegen ist zum modernen Busfahren geworden"


11.07.2023Lesedauer: 3 Min.
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Warteschlange im Hamburger Flughafen (Archivbild): In der Luftfahrt ruckelt es gewaltig.Vergrößern des Bildes
Warteschlange am Hamburger Flughafen (Archivbild): In der Luftfahrt ruckelt es gewaltig. (Quelle: Ralf Homburg/imago-images-bilder)

Kofferchaos, lange Schlangen, Frust: So erleben viele Reisende den Hamburger Flughafen. Ein Experte sagt: Schuld ist das System, in dem nur Kosten zählen.

Der Luftfahrtexperte und Pilot Lars Frontini kritisiert die Zustände in der Luftfahrtbranche scharf. "Die Kosten sind wichtiger als guter Service und ein stabiles System", sagt das Vorstandsmitglied der Pilotenvereinigung Cockpit zu t-online. Die Hamburger Probleme an der Sicherheitskontrolle und dem Gepäckhandling seien keine Besonderheiten, sondern mittlerweile eher die Regel.

Früher hätten Airlines viele Services in und an den Flughäfen aus einer Hand angeboten. Doch weil das aufwendig und kostenintensiv gewesen sei, "haben viele Unternehmen sich auf ihr Kerngeschäft zurückgezogen". Die Folgen: ein Zerfleddern der Verantwortlichkeiten und anfällige Prozessketten unter Hochspannung. "Manche Manager erkennen das und wollen das Rad zurückdrehen, aber der Aufbau von Strukturen ist immer schwieriger als der Abbau", erklärt Frontini. Hamburg sei zwar kein Hub einer Airline, jedoch etwa für Eurowings, Lufthansa und Condor wichtig genug, um dort eigene Strukturen aufzubauen. "Ich würde das empfehlen."

In Hamburg müssen Passagiere "mitarbeiten"

Nach viel Kritik von Reisenden, Politikern und Medien stellten der Hamburg Airport und die Bundespolizei zuletzt ihren Plan für die bevorstehende Ferienzeit vor. Die Quintessenz war nicht zu übersehen: Die Passagiere selbst müssen einiges leisten, damit alles läuft. Wie die Verantwortlichen sich das vorstellen, können Sie hier nachlesen. "Das Fliegen ist mittlerweile zum modernen Busfahren geworden", sagt Frontini mit Blick auf den mangelhaften oder nicht vorhandenen Service.

Mit Blick auf den Hamburger Flughafen hält er es für kontraproduktiv, "Passagiere zu belehren, was sie alles tun müssen, um eine Minute schneller durch die Sicherheitskontrolle zu kommen". Der Grund für die Probleme sei nicht falsch gepacktes Handgepäck, sondern ein Systemfehler. Immer billiger bedeute immer weniger Service. "Diesen Schuh müssen sich teilweise auch diejenigen Passagiere anziehen, die nur Schnäppchen erwarten."

Dienstleister tragen Kostendruck – und die Verantwortung

Mit der Beauftragung von Dienstleistern oder der Gründung von Subunternehmen gäben Flughäfen, Airlines und auch die Bundespolizei nicht nur den Kostendruck ab, sondern auch die Verantwortung. Man sei selbst nur die Fachaufsicht, die Verantwortung für ausreichend Personal liege "vertraglich geregelt" beim Unternehmen FraSec, teilt die Bundespolizei auf Anfrage von t-online mit. Der Dienstleister FraSec, eine Tochter des Frankfurter Flughafens, führt die Sicherheitskontrollen in Hamburg und an anderen Standorten durch.

Beim Thema Gepäckhandling verweist der Hamburg Airport ebenfalls auf einen Dienstleister, die AHS Aviation Handling Services GmbH. Zu liegen gebliebenen oder verloren gegangenen Koffern könne man als "Plattformanbieter" selbst nichts sagen. Was der Flughafen unterschlägt: Ihm gehören 27,25 Prozent der AHS.

Es gibt keine Personalreserven mehr

Die Dienstleister haben laut Frontini keineswegs einen einfachen Auftrag: "Die haben Kostendruck im Wettbewerb und finden kaum neues Personal, das seit Corona woanders arbeitet." Zudem seien sie allgemein das letzte Zahnrad in einer langen Kette. "Wenn eine Airline Slots verschiebt oder die Flugkapazitäten ändert, können die auch nicht mehr reagieren, weil die Dienstpläne seit Wochen feststehen", erklärt der Pilotenvertreter.

Erschwerend kommt hinzu, dass es keine Reserven gibt: weder beim Personal noch bei Geräten auf dem Rollfeld. "Verspätet sich ein Abflug oder eine Ankunft eines Fluges aufgrund von Wetter, einer Luftraumbeschränkung oder anderen Unwägbarkeiten, fehlt das benötigte Personal schnell bei einem anderen Flugzeug." Das Personal, das da ist, werde nur noch sehr kleinteilig geschult, für jeden Arbeitsschritt gebe es andere Dienstleister. "Kurzfristiges Aushelfen oder Einspringen ist nicht möglich, das System bricht dann sofort zusammen", so Frontini.

Fehlende Puffer führen zu Kettenreaktionen

Die Piloten in der Luft können dann zwar schneller fliegen oder nach direkteren Flugrouten fragen, das bringe jedoch allenfalls Minuten ein. "Die Herausforderung für die Kolleginnen und Kollegen ist, dass wir uns vom Zeitdruck nicht verleiten lassen dürfen. Die Sicherheit geht immer vor." Am Boden können die Cockpit-Crews wenig tun: "Die Verantwortlichkeiten werden immer diffuser, was dazu führt, dass selbst der Pilot oder die Airline keinen Verantwortlichen ans Telefon bekommt. Erst recht keinen, der Abhilfe schaffen könnte."

Aufgrund mangelnder Reserven summieren sich die Verspätungen über den Tag schnell. Das kritisiert auch die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA). Im Extremfall führen Flugdienstzeitbeschränkungen und Nachtflugverbote zu Komplettausfällen oder Verschiebungen, die bis in den nächsten Tag hinein wirken.

Frontini fordert ein radikales Umsteuern. "Die Faszination Flugreisen geht angesichts dieser Entwicklungen immer weiter flöten", lautet sein hartes Urteil. Für Hamburg gibt es zumindest eine positive Aussicht: Neuartige CT-Scanner sollen noch in diesem Jahr an den Sicherheitskontrollen installiert werden. Flüssigkeiten und Laptops können dann im Handgepäck bleiben. "Das brauchen wir überall", sagt Frontini. Die größten Hürden, mal wieder: "Zuständigkeitsgerangel und Kosten."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Lars Frontini
  • Eigene Recherche
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