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Köln/Leverkusen: Nyke Slawik will als erste Transfrau in den Bundestag


Transfrau kandidiert für Bundestag
"Im Wahlprogramm der CDU gibt es keine LGBTQ-Begriffe"


30.06.2021Lesedauer: 4 Min.
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Politikerin Nyke Slawik: Für den Einzug in den Bundestag hat sie gute Chancen.Vergrößern des Bildes
Politikerin Nyke Slawik: Sie hat gute Chancen auf einen Einzug in den Bundestag. (Quelle: Elias Keilhauer)

Nyke Slawik hat gute Chancen, als erste Transfrau für die Grünen in Köln und Leverkusen in den Deutschen Bundestag einzuziehen: "Es ist mir eine Ehre, mich für meine Community einzusetzen."

Es ist gar nicht so einfach, einen Termin mit Nyke Slawik zu bekommen. Tagsüber arbeitet die studierte Geisteswissenschaftlerin bei der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag. In ihrer Freizeit engagiert sie sich seit ihrer Jugend politisch. Jetzt steckt sie jede freie Minute in ihren Wahlkampf um einen Sitz im Bundestag. In ihrem Wahlkreis tritt sie gegen Prominente an: Karl Lauterbach (SPD) und Serap Güler (CDU) kämpfen dort um die meisten Stimmen. Trotzdem rechnet sich Nyke Slawik Chancen aus, ein Direktmandat zu holen. Klappt das nicht, darf sie darauf hoffen, mit Platz 11 der Grünen-Landesliste ins Parlament einzuziehen.

Politik für junge Menschen und die LGBTQ-Community

Sie will dort ihrer Generation, aber auch der LGBTQ-Community eine Stimme geben. "In der aktuellen Grünen-Fraktion im Bundestag ist niemand jünger als 30", erzählt die 27-Jährige. "Die Positionen junger Menschen werden da kaum berücksichtigt." Das habe man während der Corona-Pandemie deutlich gespürt: "Da wurden viele Antworten für ältere Menschen gefunden, aber jüngere spielten nahezu keine Rolle."

Schockierend sei es, dass der Staat viele Milliarden für Hilfsprogramme in die Hand genommen habe, es aber immer noch nicht überall Luftfilter in den Schulen gebe. Und in der Klimapolitik sei es auch wichtig, dass die Jüngeren mehr gehört werden: "Viele amtierende Politikerinnen und Politiker werden die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise gar nicht mehr miterleben", gibt sie zu bedenken. "Deshalb wird wohl auch so wenig konkret entschieden."

Mit 16 ist Nyke Slawik bei der Grünen Jugend eingestiegen. Da hatte sie eine Dokumentation von Al Gore gesehen und sich darüber geärgert, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die Atomkraft weiter unterstützte. "Ich dachte mir: Mein Gott, was tun wir eigentlich unserem Planeten an? Wir brauchen dringend Antworten." Zunächst beteiligte sie sich an Protesten, dann trat sie auch in die Mutterpartei Bündnis 90/Die Grünen ein und machte sich auf den Weg, politische Antworten mitzugestalten.

Köln als zentraler Ort für LGBTQ

Das gilt auch für ihr Lebensthema in eigener Sache. Als Junge aufgewachsen, merkte sie zunehmend, dass sie sich als Frau fühlte. Bei einem Theaterprojekt im Kölner Jugendzentrum Anyway hat sie ihren Weg gefunden. "Köln war und ist für junge Menschen aus der Queer-Community aus der ganzen Region ein wichtiger Anlaufpunkt", erzählt Slawik. "Hier gibt es Freiräume, Gemeinschaft und Halt. Ich wäre heute nicht da, wo ich jetzt bin, wenn es diese Angebote im Anyway nicht gegeben hätte." Der Austausch mit Gleichgesinnten habe ihr "Stärke gegeben, mein Outing in Familie und Schule zu leben".

An ihre Schulzeit erinnert sich die Grünen-Politikerin mit gemischten Gefühlen. "Damals gab es im Unterricht nur Aufklärung über Heterosexualität. Es wurde gar nicht darüber gesprochen, dass queere Menschen überhaupt existieren." An vielen Schulen habe sich das bis heute nicht geändert, mit schlimmen Folgen: "Wir wissen aus Studien, dass gerade unter LGBTQ-Jugendlichen psychische Erkrankungen viel weiter verbreitet sind und dass die Suizidrate bei ihnen höher ist."

Schulen müssten der Raum sein, so Slawik, in dem über solche Themen vorurteilsfrei gesprochen werde und Ängste genommen würden: "Man muss diesen jungen Menschen in ihrer Selbstfindungsphase als Jugendliche sagen: Ihr seid in Ordnung, wie ihr seid, ihr seid Teil einer vielfältigen und demokratischen Gesellschaft."

Noch immer Verbesserungen nötig

Bei der Fußball-Europameisterschaft habe sie sich gefreut, dass sich viele in sozialen Netzwerken mit Regenbogenfarben solidarisch mit der LGBTQ-Community gezeigt hätten. Nach wie vor werde man als Transmensch in Deutschland aber angefeindet. "Es gibt Häme, die Menschen machen Witze darüber, es gibt Beleidigungen und gewalttätige Übergriffe." Die konkrete Politik sei noch nicht fortschrittlich genug.

Nyke Slawik erklärt das auch am Beispiel des Bundestagswahlkampfes: "Im aktuellen Wahlprogramm der CDU findet man keinen einzigen Begriff aus dem queeren LGBTQ-Spektrum." Dass sich das Parlament mehrheitlich gegen die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Änderung des Transsexuellengesetzes gestellt habe, macht die 27-Jährige wütend: "Gesetzlich und politisch sind wir noch nicht so weit, wie wir sein sollten." Nach Einschätzung von Fachleuten sei im europäischen Vergleich erst gut die Hälfte notwendiger Rechte umgesetzt worden, die queeren Menschen echte Gleichberechtigung ermöglichen.

"Unzumutbare Hürden"

Die "Ehe für alle" sei 2017 ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, es müssten aber weitere folgen. So sei es ein Skandal, dass noch immer zwei voneinander unabhängige psychologische Gutachten vorgelegt werden müssten, um Transidentität festzustellen und einen Wechsel des Geschlechts im Personalausweis eintragen zu lassen. "Dem liegt noch die Ansicht zugrunde, Transsexualität sei eine Krankheit", erläutert Slawik. "Dabei hat die Weltgesundheitsorganisation das 2018 von der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen. Was uns hier in Deutschland nach wie vor an unzumutbaren Hürden aufgebaut wird, erleben viele Personen als Belastung."

In anderen Ländern wie Griechenland, Frankreich, Belgien oder Dänemark sei die unwürdige psychologische Untersuchung längst weggefallen. In Argentinien gebe es sogar eine Quote für Transmenschen für den öffentlichen Dienst. Die sei in Deutschland womöglich nicht der richtige Weg, meint Nyke Slawik: "Aber wir müssen die Aufmerksamkeit für das Thema schärfen und die Leute ermutigen, sich einzumischen und für ihre Communitys einzustehen."

Nyke Slawik will Vorbild sein

Deshalb hat sich die Grünen-Politikerin bewusst dafür entschieden, Gesicht zu zeigen: "Ich kann mich gut daran erinnern, als Kind oder Jugendliche keine Vorbilder kennengelernt zu haben. Auch bei den Grünen nicht. Ich will Präsenz zeigen und Türöffnerin für diese Themen sein, aber als Politikerin auch nicht allein darauf reduziert werden."

Für die nächsten Wochen hat sich Nyke Slawik vorgenommen, mit möglichst vielen Menschen in Köln-Mülheim und Leverkusen persönlich ins Gespräch zu kommen. "Es ist gut, dass die Corona-Inzidenzen so weit gesunken sind, dass das überhaupt möglich ist." Mit dem Fahrrad wolle sie durch den Wahlkreis fahren, immer wieder absteigen und ihre politischen Ziele erklären. "Ich freue mich auf einen Super-Wahlkampf-Sommer."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Nyke Slawik
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