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Erftstadt-Blessem nach der Flutkatastrophe: "Die Rückkehr ist belastend"


Alltag nach dem Hochwasser
Rückkehr nach Erftstadt – nur mit Beruhigungsmitteln

dpa, Von Sebastian Klemm

23.07.2021Lesedauer: 4 Min.
Eine Frau wirft Unrat aus dem Haus: Im Katastrophengebiet dürfen einige Anwohner dauerhaft in ihre Häuser zurück.Vergrößern des BildesEine Frau wirft Unrat aus dem Haus: Im Katastrophengebiet dürfen einige Anwohner dauerhaft in ihre Häuser zurück. (Quelle: Marius Becker/dpa)
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Nach der Flutkatastrophe in Erftstadt kehren die ersten Bewohner dauerhaft zurück. Sie haben ihr Zuhause seit der Flucht nicht mehr gesehen

Scharen von Helfern am Straßenrand säumen die Einfahrt nach Erftstadt. Je weiter man sich dem Stadtteil Blessem nähert – in Richtung der Abbruchkante, wo es den Erdrutsch gab – umso sichtbarer wird die Flutkatastrophe. Über den Menschen schwebt ein Helikopter, es riecht nach Benzin, die Straße wird immer enger, an den Rändern steht Unrat. Der Bereich um die Abbruchkante ist abgesperrt und bleibt es aus Sicherheitsgründen vorerst auch. Kein Weiterkommen.

Erftstadt-Blessem war einer der Orte in Nordrhein-Westfalen, die besonders hart von der Unwetterkatastrophe getroffen wurden. Der Ort wurde teils abgeriegelt, zahlreiche Anwohner durften nicht mehr in ihre Häuser zurück – sofern diese überhaupt noch standen. Die Fluten haben vieles mitgerissen, das Hab und Gut der Blessemer einfach weggespült oder nachhaltig zerstört.

Als nun am Donnerstag einige Bewohner wieder zurückkehren durften, um zumindest mit dem Aufräumen zu beginnen, ging für sie der Schrecken weiter – auch wenn das Hochwasser längst gewichen ist.

Von außen sieht der Klinkerbau von Blessemerin Elke beinahe unversehrt aus, wie viele andere Häuser in dem Ort auch. Zerstörte und eingestürzte Gebäude hat die Polizei mit Sichtschutz abgesperrt, dort kommt niemand hin. Vor Elkes Haus türmt sich am Straßenrand allerlei Sperrmüll und Unrat, die erahnen lassen, welches Unglück sich hier vor ein paar Tagen ereignete.

Elke hat die vergangenen Tage bei guten Freunden verbracht, wie sie t-online erzählt. Seit dem Tag der Flutkatastrophe findet sie kaum noch Ruhe. "Vom ersten Tag an habe ich Herzrasen. Also ich muss Beruhigungsmittel nehmen", erzählt. sie. "Das ist eine Katastrophe."

Nun ist sie wieder zurück. "Ab mittags wurden Helfer in den Ort reingelassen und seitdem packen alle an", sagt sie. Die Teamkammeraden aus der Fußballmannschaft ihres Sohnes fassen auch mit an: "Die jungen Leute sind auch hier, da ist wirklich enorm."

Neben all den Ängsten schöpfe sie gerade vor allem Mut aus der Solidarität der Menschen. "Diese schnelle Hilfsbereitschaft, seitdem wir jetzt hier angefangen haben zu arbeiten, ist unglaublich."

Viele Menschen haben nichts, zu dem sie nach der Flut zurückkehren können

Mehrere gute Freunde haben ihr komplettes Haus verloren, sagt Elke. Die ganze Situation sei für sie selbst sehr belastend. "Meine Nerven liegen blank." Dabei beschäftigt sie vor allem das, was sie erleben musste: "Wir sind ja geflohen von hier. Wir sind in letzter Sekunde in unsere Autos gekommen haben den Ort verlassen."

Laut Elke wurden die Bürger in Blessem und anderen betroffenen Regionen nicht gewarnt. "Natürlich wurde man vorher über starke Regenfälle gewarnt. Die Erft hatte schon mehrmals Hochwasser hier, aber noch nie in diesem Ausmaß. Gewarnt wurden wir nicht mehr, weil wir auch keinen Strom und kein Internet hatten."

Ihr Mann sei ins Auto gestiegen und habe dort sein Handyakku geladen. Er konnte jedoch keine Nachrichten lesen. Und das Radio hätte nur Musik gespielt. "Wir hätten uns gewünscht, dass ein Auto mit Megafon gewarnt hätte: 'Blessemer Bürger, verlasst so schnell wie möglich eure Häuser'", sagt Elke.

"Die Rückkehr nach Erftstadt-Blessem war nicht einfach"

Nicht nur die Flucht belastet sie, auch die Rückkehr sei nicht einfach gewesen, sagt Elke. Es sei eine belastende Situation gewesen, das erste Mal wieder das Haus zu betreten. "Noch dazu haben wir festgestellt, dass hinten versucht wurde, einzubrechen."

Die Blessemer, die nun zurückkehren, scheinen zusammenzuhalten. Die Helfer grillen mit den Nachbarn auf der Straße – während nebenan noch Schlamm die Straßen bedeckt und kaputte Habseligkeiten der Bewohner in Haufen liegen. Elke ist den Menschen dankbar, die sich einsetzen: "Ich bedanke mich bei unseren Freunden, bei dem Fußballverein, die hier so tatkräftig mit aufräumen. Ich bedanke mich beim Roten Kreuz, bei den Johannitern, bei der Bundespolizei und bei der Feuerwehr. Bei allen!", sagt sie. Und fügt hinzu: "Ich möchte ja jetzt auch keinen vergessen. Also das ist alles der Wahnsinn."

Eine der Helferinnen, die in Erftstadt anpackt, ist Diana. Sie sei aus Oberfranken angereist, erzählt sie, als sie von der Katastrophe erfahren hat. "In dem Moment, da dachte ich: Da müssen wir hin. Wir müssen helfen."

In Neustadt bei Coburg, wo sie herkommt, hätte sie viele Spenden gesammelt: Von Geschäften vor Ort, Privatpersonen, auch von einem der Fahrer, der sie nach Blessem gebracht hat. Seine Schwester käme aus Erftstadt, sie sei damals vor der Flut zu ihnen geflohen. Wie auch Elke bestätigt, werden Helfer im besonders betroffenen Teil von Erftstadt gerne gesehen – und auch nicht weggeschickt.

Schlamm in den Häusern, Sperrmüll vor der Tür und zwischendrin Tränen

Diana hat einen ganzen Stromwagen mitgebracht, mit Starkstromanschlüssen und Stromgeneratoren. Und das ist längst nicht alles. "Wir haben einen Pavillon dabei, einen Kühlschrank zum Getränke kühlen, einen Würstchenkocher, Herdplatten... alles." Dazu hat sie auch Baumaterialien, Hygieneartikel und Babynahrung für die Betroffenen mitgebracht. Der Landrat selbst habe sich dafür eingesetzt, dass die Helfer hierherdürfen, um ihr Mitgebrachtes aufzubauen und zu verteilen, erzählt Diana. "Und jetzt sind wir hier."

In den Häusern der Erftstädter ist Schlamm – und oft kaum mehr. Die Überreste ihrer Möbel und persönlichen Gegenstände liegen in Haufen draußen oder sind weggespült worden. So steht auch Susanne in einem leeren, mit Matsch bedeckten Esszimmer. Nur ein großer brauner Eichenschrank ist noch da, aufgequollen vom Wasser.

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Der obere Teil des massiven Eichenschranks ist unversehrt geblieben. Hinter den Glastüren stecken Kinderfotos. "Gott sei Dank, wenigstens die Bilder von meinen Enkelchen sind noch da", sagt die Seniorin. "Ich wohne seit 46 Jahren hier und jetzt sowas. Was soll denn nun werden?", fragt sie – und kann Tränen nicht unterdrücken. Sie könnte in ihr Schlafzimmer im Obergeschoss, um zu übernachten – doch das will Susanne nicht. Es gäbe ja keinen Strom und kein Wasser im Haus.

Nächstes Unwetter könnte folgen

Bis das wieder läuft, werde es noch Tage oder auch Wochen dauern, sagt der Landrat des Rhein-Erft-Kreises, Frank Rock. So schnell wie möglich sollten große Transformatoren aufgestellt werden, um die Bewohner mit Strom zu versorgen. Polizei und Feuerwehr hielten rund um die Uhr die Stellung, versichert Rock.

Es gebe mobile Sirenen, um die Bevölkerung im Falle einer Erdbewegung oder sonstiger Gefahr zu warnen. Für die kommenden Tage sind erneute Regenfälle vorhergesagt – laut Wetterexperten sind auch Unwetter möglich. Die Bewohner sind in Erftstadt zurück, doch bis der Alltag einkehrt, könnte es noch dauern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Gespräche vor Ort
  • Mit Material der dpa
  • Eigene Recherche
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