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Ausgefallene Karnevalssession belastet Kölns Finanzen


"Karneval ist wie ein 13. Monatsgehalt"
Wie die ausgefallene Karnevalssession Kölns Finanzen belastet

Von Michael Hartke

23.02.2022Lesedauer: 7 Min.
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Rote Funken beim Karnevalsgottesdienst im Kölner Dom: Mit "Brauchtumszonen" will die Stadt 2022 einen Schritt in Richtung Karnevals-Normalität machen.Vergrößern des Bildes
Rote Funken beim Karnevalsgottesdienst im Kölner Dom: Mit "Brauchtumszonen" will die Stadt 2022 einen Schritt in Richtung Karnevals-Normalität machen. (Quelle: NurPhoto/imago-images-bilder)

Gut 600 Millionen Euro bringt eine normale Karnevalssession der Kölner Wirtschaft. Die ausgefallene Session 2020/2021 bedeutet deshalb herbe Verluste

Henri Lejeune freut sich, dass er in seiner Veedelskneipe "Alt-Brück" in Köln-Brück endlich wieder die Jecken empfangen kann. Ob sich das aber finanziell für ihn lohnt, steht auf einem anderen Blatt: "Ich mache in diesem Jahr maximal 20 Prozent vom Umsatz einer normalen Session", schätzt er.

Die Ungewissheit sei sehr groß: "Ich kann hier am Sonntag alleine sitzen oder aber mit 30, 40 Mann." Trotzdem will Lejeune ab Weiberfastnacht aufmachen und er hat auch schon alles geschmückt.

Ihm geht es weniger ums Geld als vielmehr darum, zu zeigen, dass der Karneval endlich wieder losgeht: "Für mich ist es eine soziale Pflicht, die Kneipe zu öffnen als einzige verbliebene Veedelskneipe in Brück."

2G-plus-Regel erschwert das Abendgeschäft

In normalen Jahren macht er am Karnevalswochenende 1.500 bis 2.000 Euro Umsatz. Dann hat er aber auch regen Zulauf von spontanen Gästen. Diese werden durch die 2G-plus-Regel in der Brauchtumszone wohl wegbleiben.

Denn wer abends nach 18 Uhr in die Kneipe will, findet in der Nähe kaum noch ein geöffnetes Testzentrum. Zudem sorgt die Regel bei ihm für viel mehr Arbeit.

Jeden Gast müsse er kontrollieren, obwohl er keinerlei Informationen von Stadt und Land hat, wie so eine offizielle Test- und Impfbescheinigung auszusehen hat. Gerade bei Gästen aus dem Ausland sehe er Schwierigkeiten. "Das ist eine Frechheit, dass die Politik nicht darüber nachdenkt, was für ein Aufwand das für uns ist. Haben die sie noch alle?", schimpft Lejeune.

IG-Gastro-Vorsitzende Block: "Für uns geht es ums Lebensgefühl"

Für seine Gäste nimmt er die Strapazen trotzdem auf sich, selbst wenn es am Ende ein Minusgeschäft ist. Seine Existenz hänge aber nicht am Karneval. Bei den Wirten in der Innenstadt sehe das aber wohl anders aus. Da sei der Karneval eine sehr wichtige Einnahmequelle.

Die IG-Gastro-Vorsitzende Maike Block sieht die Einnahmen in dieser Session aber als Nebensache: "Für uns geht es ums Lebensgefühl", sagt sie, weshalb viele Wirte wohl öffnen werden. Ob sie das Risiko in Kauf nehmen, müssten die Wirte aber individuell entscheiden.

Betriebe müssen Kosten und Nutzen stark abwägen

Ohne die vielen Karnevalszüge in den Veedeln und bei halber Auslastung unter Corona-Bedingungen geht den Wirten vieles an Umsatz verloren, weiß Derya Karadag, die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Kölner Rat.

"Gerade die kleinen Betriebe müssen abwägen, ob sich das für sie lohnt. Sie brauchen mehr Personal und müssen sich fragen: Kommen überhaupt genug Gäste?" Im schlimmsten Fall könne durch einen Corona-Fall in der Belegschaft auch noch eine zweiwöchige Zwangspause drohen.

Einnahmeeinbußen schmerzen die Stadt sehr

Für Kölns Wirtschaft ist der Karneval ziemlich wichtig. Daher sei auch in der Politik die Freude groß, dass der Karneval trotz Corona ein bisschen leiser als gewohnt stattfinde, meint Karadag.

Das käme dann auch der Stadtkasse zugute, denn die Stadt Köln verdient fleißig mit am Karneval. Die Einnahmeeinbußen aus dem letzten Jahr schmerzen die Stadt sehr. Auch wenn das Defizit rechnerisch nicht im aktuellen Haushalt auftaucht, sondern erst im nächsten Haushalt verbucht wird.

Erst 2023 wird klar, wie ernst es wirklich ist

Wo die Kölnerinnen und Kölner die Einnahmeausfälle zu spüren bekommen, zeigt sich daher erst im nächsten Jahr. Kämmerin Dörte Diemert fehlen wegen Corona insgesamt 228 Millionen Euro aus dem Jahr 2021.

Zwar gebe es Hilfen vom Bund, die aber zurückgezahlt werden müssten, sagte Diemert bei der Präsentation ihres Haushaltsentwurfs im August. Damals hieß es, ohne den Corona-Effekt sei Kölns Haushalt nahezu ausgeglichen.

Karneval ist wie ein 13. Monatsgehalt für Köln

Wie viel von den Steuerausfällen auf den Karneval entfällt, wird aber nicht einzeln aufgeschlüsselt. Alle Steuereinnahmen fließen in einen großen Topf. Den Löwenanteil am Karneval machten die Einnahmen aus der Gewerbesteuer aus sowie die Kulturförderabgabe, die bei Hotelübernachtungen anfällt, erklärt der FDP-Wirtschaftssprecher im Kölner Rat Volker Görzel.

Die Steuereinnahmen aus dem Karneval könne man mit dem 13. Monatsgehalt eines Arbeitnehmers vergleichen, erklärt Karadag. Sie seien zwar nicht entscheidend für den Haushalt der Stadt, aber darauf verzichten wolle sie trotzdem nicht.

600 Millionen Euro Gewinn pro Session

Der Umsatz in einer normalen Karnevalssession ist schließlich nicht zu verachten: "2019/2020 lag die durch das Karnevalsgeschehen generierte Wertschöpfung bei geschätzt 630 Millionen Euro", rechnet der Geschäftsführer der KölnBusiness Wirtschaftsförderung Manfred Janssen vor.

Ähnliches hat das Festkomitee Kölner Karneval vor einigen Jahren in einer Studie ermittelt. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung der steuerpflichtigen Unternehmen seien das drei Promille, heißt es von Janssen.

274 Millionen Euro der Umsätze seien vor Corona aufs Konto der Gastronomie gegangen, mit Karnevalsbekleidung und Accessoires hätten die Händler 119 Millionen Euro generiert und die Hotellerie habe 68 Millionen Euro in die Stadt gebracht, hat KölnBusiness ermittelt.

Einbußen im neunstelligen Millionenbereich

Entsprechend hoch waren die Einnahmeausfälle in der vergangenen Session. KölnBusiness geht von Einbußen in Höhe von 300 bis 375 Millionen Euro für die Kölner Wirtschaft aus.

Darüber hinaus hängen an einer Session rund 6.500 Arbeitsplätze. 2,1 Millionen Besucher kommen normalerweise zu den Umzügen und etwa 385.000 Übernachtungen werden in einer Session in Köln gebucht, sagt das Festkomitee.

Deutschlandweiter Verlust von 1,62 Milliarden Euro

"Unter normalen Bedingungen hätte die Wirtschaft mit Getränken, Hotelübernachtungen und Kostümen rund 1,79 Milliarden Euro eingenommen", sagt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) Michael Hüther t-online.

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Deutschlandweit belaufen sich die Verluste durch den Karnevalsausfall in diesem Jahr auf insgesamt rund 1,62 Milliarden Euro, wie Zahlen des IW Köln belegen, die t-online exklusiv vorliegen. Das sind rund 100 Millionen Euro mehr als im vergangenen Jahr.

Karnevalsvereine leiden nicht nur finanziell unter Corona

Doch der Ausfall der vergangenen und vieler Veranstaltungen dieser Session sind nicht nur ein wirtschaftliches Problem. Die ehrenamtlichen Vereine leben für den Karneval. Für sie ist die Session denkbar schlecht gelaufen.

Als sie wegen Omikron angehalten waren, ihre Karnevalssitzungen abzusagen, seien ihnen sämtliche Einnahmen aus Kartenverkäufen weggebrochen, die sie zur Finanzierung der Veranstaltungen dringend gebraucht hätten, erklärt Weingroßhändler Klaus Rüsing, der sonst auch 39 Vereine für ihre Sitzungen mit Wein beliefert hätte.

Viele Veranstaltungen durch Tickets nicht finanzierbar

Als Mitglied mehrerer Vereine kennt er sich gut in der Szene aus: "Ein Programm kostet Pi mal Daumen 20.000 Euro. Davon gehen rund 15.000 Euro allein für die Gage der Künstler drauf. Der Rest sind Gema-Gebühren und andere Nebenkosten."

Mit 35 Euro pro Karte komme man bei 500 Gästen auf gerade einmal 17.500 Euro. Allein durch die Tickets sei eine Veranstaltung daher nicht zu finanzieren, trotzdem fehlten die Einnahmen, wenn die Vereine bereits Ausgaben hatten.

Ausfälle ein herber emotionaler Verlust

Die Werbeeinnahmen aus den Programmheften zu den Veranstaltungen fallen ebenfalls weg. Auch wenn gemeinnützige Vereine generell keine Gewinne erzielen dürfen, sei das ein herber Verlust auch auf emotionaler Ebene.

"Bei der KG UHU aus Köln-Dellbrück sind wichtige Ereignisse des Vereinslebens einfach weggefallen", sagt Rüsing. Fünf große Karnevalssitzungen, die sich die Fans immer schon ein Jahr im Voraus im Kalender notieren, mussten abgesagt werden.

Daran hängt wiederum auch das Stammlokal der KG UHU, das Werk2. In normalen Sessionen sei die Kneipe jeden Montag immer brechend voll gewesen, weiß Rüsing.

Veranstaltungsbranche hat mit Verlusten zu kämpfen

Ein nicht unerheblicher Teil des Geldes geht bei Veranstaltungen auch für die Miete der Veranstaltungssäle drauf. Deshalb leidet auch die Koelncongress unter den Absagen.

Der Betreiber von Veranstaltungsstätten wie Gürzenich oder Tanzbrunnen hat mit Einnahmeausfällen zu kämpfen, weiß Koelncongress-Aufsichtsrat und FDP-Wirtschaftssprecher Volker Görzel: "Die ganzen Premium-Veranstaltungssäle haben massive Verluste durch Corona und durch den Ausfall des Karnevals."

Schlimmer sei aber die Situation privater Veranstaltungssäle wie die der Wolkenburg. Der Geschäftsführer der Wolkenburg klagt Görzel gegenüber sehr über die ausgefallenen Veranstaltungen.

"Viele sehen ein Licht am Ende des Tunnels"

Trotzdem sind wohl viele Betriebe mit einem blauen Auge davongekommen: "Von Pleiten habe ich noch nichts gehört, aber ich kenne die Klagelieder der Herrschaften", sagt Görzel. "Ich glaube, es wird auch keiner mehr insolvent gehen, denn viele sehen jetzt das Licht am Ende des Tunnels."

Das könnte zum einen an den Überbrückungshilfen und dem Kurzarbeitergeld liegen, zum anderen an Unterstützungsmaßnahmen der Stadt Köln. Gastronomen dürfen ihre Außenflächen wegen Corona auf Parkplätze vor ihrer Tür ausweiten – jetzt auch im Winter, und zwar dauerhaft.

Noch bis einschließlich 2021 mussten Wirte dafür auch keine Sondernutzungsgebühr zahlen. Mehrere Förderprogramme habe auch die KölnBusiness Wirtschaftsförderung aufgelegt, um Betrieben zu helfen.

Staatliche Hilfen können Einnahmeverluste nicht kompensieren

Ausgleichen können die Hilfen die Verluste jedoch nicht. Henri Lejeune konnte dadurch die Fixkosten decken und die Pleite im Lockdown verhindern. Auch der große Kostümhändler Deiters konnte seine Filialen durch die Staatshilfen halten.

Seit Beginn der Pandemie verzeichnet Deiters einen Umsatzausfall von 95 Prozent. "Der Onlinehandel", sagt Geschäftsführer Herbert Geiss, "konnte dies nicht kompensieren. Ohne Karnevalsveranstaltungen kauft man sich kein Kostüm."

11.11. half teilweise über Verluste hinweg

Zwar habe man vor Halloween im Oktober das erste Mal wieder geöffnet, viel gebracht habe das aber nicht. Gewinnbringender sei der 11.11. gewesen. Hier konnte Deiters wieder etwas Boden gut machen.

Viel mehr als der Umsatzverlust schmerzt Geiss aber die Situation seiner Mitarbeiter, die mit 700 Euro Kurzarbeitergeld über die Runden kommen müssten. Einige Mitarbeiter habe man auch verloren, weil sie sich etwas anderes gesucht hätten.

"Auf die Ungeimpften kann man keine Rücksicht mehr nehmen"

Trotz aller finanzieller Probleme konnte Deiters dieses Jahr sogar seine Karnevalsveranstaltungen im Lindner-Hotel und der Halle Tor 2 im kleinen Rahmen durchführen.

"Wir gehen da nicht mit einer schwarzen Null raus, aber die Veranstaltungen sollen ein Symbol für den Weg zurück ins normale Leben sein", meint Geiss. Für die Zukunft wünscht er sich, dass wir bald an einen Punkt kommen, an dem wir unser normales Leben zurückbekommen.

"Die Leute, die alles dafür tun, dass die Pandemie endet, sollten nicht mehr zurückstecken. Auf die drei Millionen Ungeimpften unter den Älteren kann man keine Rücksicht mehr nehmen", findet Herbert Geiss. Er hofft, so wie viele andere, die vom und für den Karneval leben, dass wir Karneval 2022/2023 wieder so feiern können, wie wir ihn kennen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Maike Block, Vorsitzende der IG Gastro
  • Gespräch mit Herbert Geiss, Geschäftsführer Deiters
  • Gespräch mit Volker Görzel, FDP
  • Gespräch mit Derya Karadag, Grüne
  • Gespräch mit Henri Lejeune, Gastwirt
  • Beobachtung der Ratssitzung vom 18.08.2021
  • Schriftliche Antworten von Dr. Manfred Janssen, Geschäftsführer KölnBusiness Wirtschaftsförderung
  • Studie "Kölner Karneval: Wirtschaftskraft, Image, Zukunft" (25.02.2019)
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