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München: Studenten auf Campingplatz statt im Wohnheim – wegen Wohnungsnot


Fast 1.500 leer stehende Wohnheimplätze
Stadt bietet Campen statt Wohnung an – Aktion wird zum Flop

  • Sven Sartison
Von Sven Sartison

14.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Die Zufahrt zum Campingplatz Thalkirchen: Studenten sucht man vor Ort vergebens.Vergrößern des Bildes
Die Zufahrt zum Campingplatz Thalkirchen: Studenten sucht man vor Ort vergebens. (Quelle: Sartison/t-online)

Als Student eine bezahlbare Wohnung in München zu finden, ist schwierig. Im Oktober gibt es daher ein Angebot für Erstsemester. Nur annehmen will dieses offenbar niemand.

Idyllisch liegt er da, der Campingplatz Thalkirchen. Zur einen Seite eine Golfanlage, zur anderen die Isar und der Floßkanal. Das Naturbad Maria Einsiedel ist fußläufig in wenigen Minuten zu erreichen, auch der Tierpark Hellabrunn ist nicht weit entfernt. Im Sommer tummeln sich hier etliche Menschen, sie surfen auf der Welle der Floßlände – der letzten verbliebenen in München – planschen im Wasser, gehen spazieren.

Doch inzwischen ist es Herbst, Mitte Oktober, auch wenn die Temperaturen lange etwas anderes vermuten ließen. Ein paar Golfer sieht man noch, ansonsten sind kaum Menschen am frühen Vormittag unterwegs. Auch auf dem Campingplatz geht es ruhig zu. Anders als manch einer möglicherweise vermutet hätte. Denn der Platz sollte zur Herberge für Studierende werden – eigentlich.

Studierende können übergangsweise auf Campingplatz wohnen

So lautete zumindest der Plan der Stadtratsfraktionen von SPD/Volt und Die Grünen – Rosa Liste. Diese hatten Anfang September die ungewöhnliche Idee vorgebracht, wohnungssuchende Studierende auf dem Campingplatz unterzubringen. Vorübergehend, bis diese eine dauerhafte, richtige Unterkunft gefunden hätten. "Wir wollen mit diesem Antrag konkret junge Menschen unterstützen. Sie bekommen so mehr Zeit und können vor Ort auf Wohnungssuche gehen", hatte Simone Burger, wohnpolitische Sprecherin von SPD/Volt damals erklärt.

Ein Vorschlag, der Gehör fand. Die Münchner Raumentwicklungsgesellschaft (MRG), seit Juli Besitzer des Platzes in Thalkirchen, ließ sich ein unkonventionelles Angebot einfallen. Vom 4. bis zum 31. Oktober können Erstsemester mit einem entsprechenden Nachweis dort zum halben Preis campieren. So müssten die jungen Leute während der Suche nach einer WG oder einem Wohnheimzimmer wenigstens nicht pendeln oder im teuren Hotel wohnen, erklärte Boris Seyfarth, Geschäftsführer der MRG, Anfang des Monats.

Die angesprochene Zielgruppe dürfte groß sein, sollte man meinen. Noch immer haben viele Erstsemester kein Dach über dem Kopf. Und bereits am kommenden Montag, 16. Oktober, beginnt an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) sowie der Technischen Universität München (TU) das neue Semester. Etliche junge Menschen starten dann in einen neuen Lebensabschnitt, verlassen erstmals das heimische Nest, um in einer fremden Stadt zu studieren.

An der LMU sind es 8.900 Erstsemester, an der TU gar 14.500. "Ein neuer Rekordwert", wie ein Sprecher t-online erklärt. Allerdings sind darin die Studierenden aller Standorte eingerechnet. Neben München bietet die Technische Universität auch Studiengänge in Garching, Freising, Straubing und Heilbronn in Baden-Württemberg an. Macht in Summe dennoch weit über 10.000 Personen, die eine bezahlbare Bleibe brauchen. Und das auf dem umkämpften Wohnungsmarkt in München.

Rentner und Familien – doch keine Studierenden in Sicht

Doch ein Besuch vor Ort in Thalkirchen zeigt: Angenommen wird das Angebot der MRG nicht. Der Betreiber der Anlage will sich erst gar nicht zu der Thematik äußern, auch mit den Studierenden darf der Reporter von t-online nicht sprechen. "Einfach die Anlage nicht betreten", sagt der Mitarbeiter an der Rezeption alles andere als freundlich.

Bleibt also nur der Blick durch den Zaun. Über 300 Zelt- sowie 300 Wohnwagen- und Wohnmobilstellplätze verfügt die Anlage. Doch wirklich viel ist nicht los. Vorwiegend Rentner, die ihren Lebensabend genießen, sind zu sehen. Dazu ein paar Familien mit Kindern, die offenbar Herbstferien haben. Ein Schweizer Ehepaar macht gerade den Abwasch – das war's.

Drei bis vier Zelte sind zu entdecken, doch von jungen Leuten weit und breit keine Spur. Kein Wunder. "Bislang sind keine Studierenden am Platz eingetroffen, die das Angebot wahrgenommen haben", erklärt ein Sprecher der MRG auf Nachfrage von t-online. Er selbst rechnet auch nicht mehr damit, dass sich an diesem Zustand etwas ändert.

Angebot läuft Ende des Monats aus

"Die Witterung wird ja nicht besser", sagt der Sprecher. Stimmt, bereits zum Wochenende hin soll es in München deutlich abkühlen, in der kommenden Woche ist gar der erste Schnee möglich. Nicht unbedingt die besten Bedingungen, um die Nacht im Zelt zu verbringen. Zumal der Platz auch gar nicht auf Winterbetrieb ausgelegt ist, die sanitären Anlagen beispielsweise nicht beheizt werden können.

Deshalb – aber auch aus organisatorischen Gründen – gilt das Angebot nur bis Ende des Monats. Die meisten Saisonarbeiter sind dann weg, ab November schließt der Campingplatz traditionell. Über eine ausnahmsweise verlängerte Öffnung habe man zwar nachgedacht, diese dann aber doch gelassen, teilte die MRG mit. Sollte bis zum 31. Oktober aber doch noch ein Student auf dem Platz aufschlagen, sei dieser "natürlich – wie jeder andere Gast auch – herzlich willkommen".

Dass das Wohnen auf dem Campingplatz allerdings ohnehin nur eine Zwischen- und keine Dauerlösung ist, darüber sind sich alle Beteiligten einig. "Das ist der Beitrag, den wir leisten können und wollen", erklärte der Sprecher der MRG. Geschäftsführer Seyfarth hatte bereits zuvor betont, dass mit dem Angebot "die Wohnungsnot als solche" natürlich nicht gelindert werden könne. Es handle sich um eine Notlösung, welche "die extreme Situation" in München zeige, hieß es vonseiten der Rathausfraktion.

Fast 1.500 leer stehende Wohnheimplätze

In der Pflicht sehen sie daher die Stadt und den Freistaat. Insbesondere in der Studentenstadt in Freimann, der größten Studierendensiedlung in ganz Deutschland, müsse sich etwas tun. Insgesamt 7.800 Wohnplätze vermietet das Studierendenwerk München Oberbayern aktuell in der bayerischen Landeshauptstadt. Weitere 1.300 in der Studentenstadt sowie 145 im Wohnheim in der Agnesstraße stehen allerdings leer, wie eine Sprecherin auf Anfrage von t-online erklärt. Diese müssen umfassend saniert werden. Und das dauert.

Bis 2028 soll das Haus 9 in der Studentenstadt fertig sein, bereits ein Jahr zuvor könnten Studierende wieder ins Haus 12 einziehen. Selbiges gilt für das Haus 13. Im Keller der Anlage war im Februar 2021 ein Feuer ausgebrochen, in dessen Folge eine Bewohnerin an einer Rauchgasvergiftung starb. Kostenpunkt der Sanierungen: 150 Millionen Euro für die Häuser 9 und 12. Für das Haus 13 erstelle das Studierendenwerk derzeit die Finanzierungsplanung. Ebenso wie für die Wohneinheiten in der Agnesstraße, in der künftig 185 Plätze zur Verfügung stehen sollen, sagt die Sprecherin.

Doch selbst wenn die Baumaßnahmen abgeschlossen sind, wird dies die Wohnungsknappheit nur gering mindern können. Daran ändern auch die zusätzlichen 245 Plätze im Neubau in der Schwere-Reiter-Straße, der bis Sommer 2024 fertig werden soll, und die 77 im neu gebauten Inklusionswohnheim in der Kaulbachstraße nichts. In diesem sollen voraussichtlich ab dem Frühjahr des kommenden Jahres Studierende mit und ohne Behinderung und/oder chronischen Erkrankungen sowie studentische Familien unterkommen.

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Stadtratsfraktion nimmt den Freistaat in die Pflicht

Die Stadtratsfraktion hält daher weiter an ihrer Forderung an den bayerischen Freistaat fest. "Es muss an den Ursachen gearbeitet werden", betont Burger. Es brauche schlichtweg mehr Wohnheimplätze. Denn: "Bildung ist ein Grundrecht. Es darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, wo man studiert."

Beim Studierendenwerk empfiehlt man, sich trotz der hohen Wartelistenzahl auf einen Wohnplatz zu bewerben. "Insgesamt ist eine hohe Fluktuation gegeben und die Wartezeit ist abhängig davon, auf welche Wohnanlagen und für welche Wohnform sich die Studierenden bewerben", erklärt die Sprecherin. Zudem lohne es sich, regelmäßig bei der Privatzimmervermittlung auf der Website des Studierendenwerks München Oberbayern vorbeizuschauen.

Doch selbst wenn nach und nach alle Studierenden eine dauerhafte Bleibe finden, wird nicht lange Ruhe einkehren. Am 15. April 2024 beginnt an der LMU und der TU das Sommersemester. Neue Erstsemester dürften dann erneut vor dem Problem mangelnden Wohnraums stehen. Und auch der Campingplatz in Thalkirchen ist dann keine Alternative. Dieser öffnet erst im Mai wieder seine Pforten.

Verwendete Quellen
  • Recherche vor Ort
  • Telefonat mit der Pressestelle der Münchner Raumentwicklungsgesellschaft
  • Telefonat mit der Pressestelle der Technischen Universität München
  • Schriftliche Stellungnahme des Studierendenwerks München Oberbayern
  • Schriftliche Stellungnahme der Ludwig-Maximilians-Universität
  • Rathaus-Umschau der Landeshauptstadt München vom 5. Oktober 2023
  • Pressemitteilung der SPD/Volt-Stadtratsfraktion vom 5. Oktober 2023
  • Pressemitteilung der SPD/Volt-Stadtratsfraktion vom 5. September 2023
  • sueddeutsche.de: "Studentin stirbt nach Kellerbrand"
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