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München: Die große Angst vor dem Gastro-Sterben


Kommt großes Gastro-Sterben?
Münchner Wirtinnen machen Schulden öffentlich


Aktualisiert am 15.03.2021Lesedauer: 4 Min.
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Die Wirtinnen des "Mucki&Floyd" im Glockenbachviertel: Die Schwestern Arabella (r.) und Helena Hellmann sind frustriert.Vergrößern des Bildes
Die Wirtinnen des "Mucki&Floyd" im Glockenbachviertel: Die Schwestern Arabella (r.) und Helena Hellmann sind frustriert. (Quelle: Antonio G.)

Teils monatelang warten Gastronomen in München auf Corona-Wirtschaftshilfen. Zwei Café-Inhaberinnen machen ihre Lockdown-Schulden öffentlich, ein prominenter Wirt hat schon aufgegeben. Die Stadt sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert.

"Sag noch einmal Corona, und du spielst Schnaps-Roulette mit uns". Wirtin Helena Hellmann, 29, und ihre Schwester Arabella, 37, sind mittlerweile kreativ darin, Lockdown-Frust abzulassen.

Der Spruch steht auf einer Wirtshaustafel ihres Cafés. Das "Mucki & Floyd" ist wie das Glockenbachviertel: weltoffen, bunt und fröhlich. Früher, vor der Pandemie, gab es hier donnerstags italienisches Büfett.

Gastronomie im Lockdown: Wirtinnen machen Corona-Schulden öffentlich

Abends klirrten orangefarbene Gläser Aperol Spritz, morgens duftete es in der Straße nach frisch geröstetem Kaffee. "Heute stellt man sich manchmal die Frage, warum man morgens überhaupt aufsteht, um weiter zu arbeiten", sagt Teilhaberin Arabella Hellmann im Gespräch mit t-online. "Das ist ein Berufsverbot, es wird einem die Lebensgrundlage genommen."

Das "Mucki & Floyd" ist wie die gesamte Gastronomie in Bayern und Deutschland seit Anfang November im Lockdown. Es ist der zweite, nachdem schon im Frühjahr 2020 wegen des Virus alles stillstand. Die Hellmann-Schwestern entschieden sich zu einem aufsehenerregenden Schritt: Sie machten ihre Corona-Verluste öffentlich. "24.409,61 Euro Schulden", stand weiß auf schwarz auf einer Kreidetafel. Für jedermann sichtbar.

Protest in Münchner Gastroszene immer lauter

Das kostete sie Überwindung. "Vielen ist nicht klar, wie schnell man in diese Zahlen rutscht", erzählt Arabella Hellmann energisch. Und weiter: "Wir wollten kein Mitleid erregen, sondern Tatsachen hinschreiben." Fässerweise Bier, frischer Schweinsbraten, schmackhaftes Wurzelbrot – "wir mussten alles vernichten". Dabei sei der erste Lockdown zeitlich noch überschaubar gewesen. "Jetzt ist da diese Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit", sagt Arabella Hellmann.

Mit ihrer Wut ist sie nicht alleine. Der Protest der Münchner Gastroszene wird immer lauter. "Mir platzt gleich der Kragen", tobte Angela Inselkammer, die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, kürzlich vor einem Millionenpublikum bei "Anne Will". Inselkammer ist Chefin der Brauerei Ayinger, gelegen 25 Kilometer südöstlich von München. Sie betreibt in der bayerischen Landeshauptstadt zwei Wirtshäuser, eines direkt am Marienplatz.

Münchner Promi-Wirt gibt auf

Auf der anderen Seite des Rathauses ist der "Donisl". In dem urigen Gewölbekeller tummeln sich sonst amerikanische und asiatische Touristen sowie Fußballfans des FC Bayern. Aus knarzigen Holzfässern wird süffiges Münchner Hell gezapft. Doch die Wirte des "Donisl" haben aufgegeben.

Im Herbst baten Birgit und Karl-Heinz Reindl die Brauerei "Hacker-Pschorr", den Pachtvertrag aufzulösen und erklärten: "Das Ausbleiben von Touristen und Messegästen zwingt uns zu dieser Entscheidung."

Düstere Aussichten

Ein Einzelfall? Laut dem Münchner Dehoga-Vorsitzenden Christian Schottenhammel könnten mindestens 30 Prozent der gastronomischen Betriebe die Corona-Krise nicht überleben. "Spätestens wenn die gestundeten Mieten, Pachten und Krankenversicherungsbeiträge eingefordert werden, wird es viele treffen", erklärte Schottenhammel. Für eine Stadt, die sich über Wirtshauskultur und Lebenslust definiert, gleicht das einer Zäsur.

Stunden lassen mussten auch die Hellmann-Schwestern seit Dezember die Miete für ihr Café. "Die dicke Rechnung kommt dann", sagt Arabella Hellmann. "Was da hinten dranhängt: Der Strom, das Kassensystem, die Berufsgenossenschaft, alle buchen monatlich Geld ab. Das ist irre, was da zusammenkommt, selbst wenn zu ist."

Kein Vertrauen mehr in Corona-Politik

Ob sie jetzt auf die Politik vertraut? "Wir glauben nicht mehr dran. Wir hoffen. Ich finde es aber sehr undurchsichtig", meint sie und sagt mit Blick auf die geplante Öffnung der Außengastronomie am 22. März: "Genaueres wissen wir nicht, geschweige denn, dass wir schon eine Genehmigung für unseren Schanigarten über den März hinaus hätten."

Sie prangert stattdessen angeblich mangelnde Unterstützung durch die Stadt München an. "Da ist de facto noch gar nichts passiert. Während des Lockdowns kam im Dezember sogar ein Brief vom Kreisverwaltungsreferat (KVR), dass die Schanigärten (Freischankflächen, Anm. d. Red.) doch bitte abgebaut werden sollen", erzählt die Gastronomin,

Das Unverständnis ist groß: "Ohne Sinn und Verstand. Was diese Schanigärten kosten, wenn man sie ordentlich hinstellen will. Da steckt Herzblut drin, Zeit und Geld. Ich spüre eine Enttäuschung auf alle Entscheider."

Markant: Während das KVR offenbar Druck auf die Wirte macht, versprach Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wiederholt, dass es die beliebten Ausschankflächen in den Parkbuchten auch 2021 geben soll. Sie sollen eine Kompensation sein – eigentlich.

Kritik wegen schleppender Auszahlung

Damit nicht genug. Wie viele andere Wirte klagen auch die Hellmanns über schleppend ausgezahlte Wirtschaftshilfen durch den Bund. "Die Überbrückungshilfe I, Juni bis August, haben wir im November bekommen. Die Novemberhilfe kam zu einem Drittel Mitte Dezember. Ein Drittel", zählt sie auf: "Mehr davon haben wir bis heute nicht gesehen". Ihre Info deckt sich mit den Schilderungen anderer Gastronomen aus dem Glockenbachviertel.

Mehr noch: "Andere haben noch gar nichts bekommen", erzählt sie und macht sich um ihre 450-Euro-Kräfte große Sorgen: "Wir haben zwei Studentinnen, die dieses Geld brauchen. Sie bekommen gar keine Hilfen. Das ist bitter." Hellmann fordert jetzt eine ganz klare Perspektive.

"Für die Psyche ist es wichtig, dass wir 2021 wieder öffnen dürfen, auch für unsere Stammgäste", sagt sie und kritisiert weiter: "Aktuell wissen wir nicht: Dürfen wir nur draußen öffnen oder auch innen, und wenn ja, wie. Ich erwarte von der Stadt München, dass die Schanigärten genehmigt werden – unbürokratisch. Aber unbürokratisch ist mit der Stadt München nicht vereinbar". Dabei drängt die Zeit, denn die Angst vor dem Gastro-Sterben geht um.

Verwendete Quellen
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