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"Rote Linien" in der Pandemie: Sorge vor Radikalisierung


Wiesbaden
"Rote Linien" in der Pandemie: Sorge vor Radikalisierung

Von dpa
20.12.2021Lesedauer: 3 Min.
Volker Bouffier (CDU)Vergrößern des BildesVolker Bouffier (CDU), Ministerpräsident von Hessen, spricht. (Quelle: Julia Cebella/dpa/Archivbild/dpa-bilder)
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Der Ton wird rauer in der Pandemie, auch in Hessen. Es gibt Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, von denen einige nicht ohne Vorfälle bleiben und bei denen Protestierende teils gegen Abstandsregeln oder Maskenpflicht verstoßen. Beleidigungen, Anfeindungen und Bedrohungen im Land häufen sich, so dass in der Politik die Besorgnis wächst. So befürchtet Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) eine weitere Radikalisierung von Gegnern der Corona-Maßnahmen. "Ja, die Sorge habe ich", sagte er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Wiesbaden.

Er bekomme viel Post von Menschen, die ihn wegen seiner Corona-Politik beschimpften. "Ich war ja lange Innenminister und bin mit Drohungen sehr vertraut", sagte der Regierungschef. Er lebe seit 23 Jahren mit Personenschutz. Natürlich machten ihn die Drohungen "nicht fröhlich", aber sie änderten nichts an seinen Überzeugungen, betonte Bouffier.

"Diejenigen, die sich nicht impfen lassen, das sind nicht unsere Feinde - der Feind ist das Virus." Aber es gelte auch: "Wer sich nicht impfen lässt, trifft nicht nur eine private Entscheidung, sondern diese Entscheidung trifft viele andere Menschen." Bouffier erklärte: "Ich kann nicht Millionen von Menschen ununterbrochen mit allen möglichen Vorschriften beschränken, weil andere sich nicht impfen lassen wollten." Wenn nicht insgesamt das Impfniveau höher werde, dann könne der Kampf gegen die Pandemie keinen Erfolg haben.

Anfang Dezember hatte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) vor einer Radikalisierung von Teilen der Querdenker-, Corona-Leugner- und Impfgegner-Szene gewarnt. Anlass: Drohungen gegen einen südhessischen Bürgermeister und ein angezündetes Testzentrum in Wiesbaden. Mit solchen Taten seien "rote Linien" überschritten, so Beuth. "Wir werden keinerlei Einschüchterungen oder Bedrohungen von Amtsträgern oder Mitbürgern dulden, die zu Recht auf die Einhaltung der geltenden Regeln achten", stellte der Minister klar. Wer zu Gewalt aufrufe oder diese in die Tat umsetze, werde harte Konsequenzen der Strafverfolgungsbehörden zu spüren bekommen.

Dem Innenministerium zufolge hatte die hessische Polizei 2020 noch 98 politisch motivierte Straftaten im Kontext der Corona-Pandemie registriert. Es zeichne sich bereits "klar" ab, dass diese Zahl in diesem Jahr deutlich übertroffen werde.

Gerade Kommunalpolitiker sind von Beleidigungen, Hass oder Drohungen betroffen. Solche Vorfälle werden in Hessen mittlerweile gebündelt erfasst. Die Polizeipräsidien sollen seit Anfang des Jahres dem hessischen Landeskriminalamt (LKA) alle Straftaten melden, die sich gegen Lokalpolitiker richten. Bislang seien in diesem Jahr entsprechende Vorfälle in einem mittleren zweistelligen Bereich bekanntgeworden, teilte das LKA mit. Bei den Straftaten handelte es sich demnach insbesondere um Beleidigungsdelikte. Konkrete Fallzahlen sollen erst im kommenden Jahr veröffentlicht werden.

Auch die staatliche Meldestelle "Hessen gegen Hetze" liefert Erkenntnisse zum gesellschaftlichen Klima in Teilen der Bevölkerung: Laut dem Innenministerium meldeten von Januar 2020 bis Ende November dieses Jahres Bürger rund 500 Internetbeiträge mit Corona-Bezug. Experten hätten mehr als 300 als "Hate Speech" - also Hassrede - klassifiziert. In rund 40 Prozent der Fälle seien Amts- oder Mandatsträger betroffen gewesen. Am zweithäufigsten seien Menschen wegen ihrer politischen Ansichten verbal angegriffen worden.

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband in Hessen zeigte sich alarmiert: In einem Positionspapier empfahl der Vorstand seinen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Verschwörungserzählungen und demokratiefeindliche Aussagen zu widersprechen. Auch Verstöße gegen Infektionsschutzregeln in sozialen Einrichtungen dürften nicht geduldet werden, teilte der Paritätische am Montag mit.

"Der Ton ist rauer geworden, die Anspannung nimmt bei vielen, vielen Menschen nach zwei Jahren Corona zu", sagte Reiner Becker, der Leiter des Demokratiezentrums Hessen an der Uni Marburg. "Kommunalpolitiker sind diejenigen, die es ausbaden müssen." Doch nicht nur diese Personen würden angegangen, sondern auch Pflegende oder Medizinerinnen und Mediziner. "Das heißt, es geht um ein Spektrum derer, die für das System stehen, die bedroht werden."

Becker zufolge kann man die Menschen, die aktuell auf die Straße gehen oder die sich zu Hetze oder Bedrohungen hinreißen lassen, keinesfalls als eine homogene Gruppe, als "die" Gegner der Corona-Maßnahmen, ansehen. Es handele sich um eine sehr heterogene Minderheit, zu der unter anderem auch Anhänger der nicht evidenzbasierten Alternativmedizin oder der Esoterik gehörten. Ein Teil der Bewegung stelle zudem "per se die Systemfrage und nutzt die Pandemie, um das politische Establishment bloßzustellen". Bei anderen sieht Becker Angst als Hintergrund.

"Menschen können in einer Krise orientierungslos werden und dann kann etwas sehr gefährliches passieren, nämlich, dass das Vertrauen in das politische System verloren geht oder in die Handelnden und Institutionen. Diese Orientierungslosigkeit verbunden mit Ängsten kann dann darin münden, dass Menschen aus dieser Lage heraus aggressiv werden", erläuterte der Experte. Wichtig sei in der aktuellen Lage eine "klare, transparente Kommunikation" zu Entscheidungen sowie vorausschauendes Handeln in der Corona-Pandemie, sagte Becker in Richtung Politik. "Und es gehört meiner Meinung nach auch ein Stück weit die Ehrlichkeit dazu zu sagen: Wir müssen mit dem Virus leben."

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