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WM-Held Philipp Lahm: "Die aktuelle Situation macht mich traurig"


WM-Held Lahm
"Die aktuelle Situation macht mich traurig"

  • David Digili
InterviewVon David Digili und Robert Hiersemann

Aktualisiert am 24.03.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Philipp Lahm: Der ehemalige Bayern-Star macht sich Sorgen um Kinder und den Amateursport.Vergrößern des Bildes
Philipp Lahm: Der ehemalige Bayern-Star macht sich Sorgen um Kinder und den Amateursport. (Quelle: Norbert Schmidt/imago-images-bilder)

Der ehemalige Bayern-Star Philipp Lahm spricht über die Corona-Krise, seine eigenen Kinder, das, was er aktuell am meisten vermisst. Und über seinen großen Wunsch für die Fußballnationalmannschaft.

Philipp Lahm ist eines der bekanntesten Gesichter, das Fußball-Deutschland zu bieten hat. Kein Wunder: Der ehemalige Kapitän des FC Bayern und der deutschen Fußballnationalmannschaft gewann alles, was man nur gewinnen kann. Er wurde mit dem FC Bayern acht Mal Deutscher Meister, sechs Mal DFB-Pokalsieger. Zudem darf er sich Champions League-Sieger und Fußball-Weltmeister nennen. Und trotz all dieser Erfolge schien es immer so, als wenn er mit beiden Beinen auf dem Boden blieb – und als einer von wenigen mit Fußball-Weltkarriere ohne Starallüren auskam.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Lahm ist inzwischen Unternehmer, Geschäftsführer der DFB Euro GmbH und Präsidiumsmitglied des DFB. Im Interview spricht Lahm über sein neues Buch, die Profiwelt und wie sich die Corona-Pandemie auf den Amateursport auswirkt.

t-online: Herr Lahm, im Sport leiden besonders die Amateure unter den Corona-Bestimmungen – und dort speziell die Kinder. Sie sind selbst Vater. Wie nehmen Sie die Situation aktuell wahr?

Philipp Lahm: Unsere Amateurfußballer leiden sehr. Ich habe einen achtjährigen Sohn mit einem unglaublich großen Bewegungsdrang – so, wie es bei mir früher selbst auch war. Es fehlt der sportliche Ausgleich. Unseren Kindern geht während der Pandemie etwas verloren, von dem wir heute noch nicht wissen, was für Auswirkungen das auf die Entwicklung hat.

Wie hätte Philipp Lahm selbst als Kind auf diese Situation reagiert?

Kaum Freunde treffen, keine Bewegung, keine frische Luft auf dem Fußballplatz. Es würde mir so viel fehlen. Und deshalb macht mich die aktuelle Situation traurig.

Worüber machen Sie sich bezüglich des Amateursports am meisten Sorgen?

Ich habe Angst davor, dass nicht alle Ehrenamtler*innen und Kinder zurückkommen. Die Menschen haben gerade viele Sorgen. Und weil der Amateursport von ehrenamtlich Engagierten getragen wird, kann es passieren, dass Strukturen und Routinen wegbrechen, Interesse verloren geht und Resignation eintritt. Und wir wissen doch, dass Kinder gerne und viel Sport treiben sollen und dass sie das Gemeinschaftsgefühl und die sozialen Kontakte brauchen. Diese Bildung ist doch viel wichtiger als dass wenige davon Profis werden.

Können Sie die Wichtigkeit dieser Menschen anhand eines Beispiels erklären?

Denken Sie nur zum Beispiel im Fußball an die vielen Hallenturniere in den Wintermonaten. Ja, ich weiß: Als Mutter oder Vater ist es manchmal anstrengend, wenn der Trainer deiner Kinder schon 7.30 Uhr als Treffpunkt ausgibt. Ich kenne das (lacht). Aber wie schön ist es, wenn man dann in der Halle ist und sieht, wie viel Spaß die Kinder auf dem Parkett haben. Dann ein Stück Kuchen und einen Kaffee auf der Tribüne. Die Eltern sitzen da, die Kinder haben ihre Brotdosen dabei. Das alles ist nur möglich, weil sich Freiwillige Wochen zuvor vorgenommen haben, einen tollen Tag für Kinder und Eltern zu veranstalten. Ein Turnier zu organisieren ist mit sehr viel Arbeit verbunden.

Die Saison der Profis läuft weiter, Amateursportler pausieren im Spielbetrieb. Wie finden Sie das?

Ich finde es bitter für alle Amateure, trotzdem ist es gut, dass die Profis spielen.

Weshalb?

Es gibt – speziell auch meinem Sohn – ein Stück Normalität in dieser verrückten Zeit. Samstag 15.30 Uhr läuft die Bundesliga. So war es schon immer, und so ist es auch trotz Corona. Die Bundesliga gibt den Menschen Routine und ein wenig Normalität.

Ihre Familie ist privilegiert. Mit Ihrer Philipp-Lahm-Stiftung aber setzen Sie sich vor allem für sozial benachteiligte Kinder ein. Leiden diese Kinder aktuell besonders stark?

Ja, viele Menschen leben aktuell in einer schwierigen Situation – das betrifft nicht nur Kinder. Fakt ist, dass die Stiftungsarbeit auch unter der Pandemie leidet. Wir können nicht so viel tun wie wir möchten. Unser Sommercamp mit den Schwerpunkten Ernährung, Bewegung und Persönlichkeitsentwicklung, das wir seit 2009 schon 29 Mal ausgerichtet haben, musste 2020 ausfallen. Unsere beiden Afrikaprojekte in Johannesburg und Kapstadt leiden noch viel mehr. Für Menschen in prekären Lebensverhältnissen ist die Pandemie noch viel schwerwiegender.

Sie engagieren sich sozial und plädieren gleichzeitig dafür, dass sich die Öffentlichkeit vom negativ geprägten Fußball-Image des "Millionario" verabschieden sollte. Haben Sie sich während Ihrer Karriere aber auch mal selbst Dinge geleistet, die genau dieses Bild bedienten?

Das kommt darauf an. Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der genügsam ist und Geld nicht aus dem Fenster schmeißt. Ich weiß, dass ich ein privilegiertes Leben habe, seitdem ich Fußballspieler bin. Ein Top-Fußballer, ob jetzt beim FC Bayern oder in der Nationalmannschaft, repräsentiert Erfolg. Dazu gehören eben auch oft Statussymbole wie ein tolles Haus, Autos, Uhren und schöne Urlaube – ein Lebensstandard, der für viele schwer zu erreichen ist.

Haben sich die Herausforderungen im Alltag eines Fußballprofis im Vergleich zu Ihrer aktiven Anfangszeit verändert?

Ja. Mein erstes Profijahr war in der Saison 2003/04 in Stuttgart. Seitdem hat sich in der Kommunikation und insbesondere in den sozialen Medien viel getan. Und ich muss mir deshalb schon genau überlegen, wie ich damit umgehe, was ich zum Thema mache und was eben nicht.

In Ihrem gerade erschienenen zweiten Buch "Das Spiel. Die Welt des Fußballs" vergleichen Sie Fußballprofis mit Künstlern wie dem Pianisten Lang Lang und kritisieren, dass Fußballer im Vergleich zu diesen Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit viel schlechter wegkommen. Woran liegt das?

Die Summen, die im Fußball verdient werden, sind für viele utopisch. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen: Das betrifft nur einen ganz kleinen Teil der Profis. Hier in Deutschland geht es dabei um die Spieler in den Topklubs der Bundesliga, die ausgezeichnet verdienen – und selbst da gibt es große Unterschiede. In der zweiten und dritten Liga verdienen die Spieler schon weniger. Als Fußballer kann ich nur zehn bis 15 Jahre den Beruf ausüben, danach gehen die meisten in eine ungewisse Zukunft. Die Topgagen gibt es nur für ganz wenige Ausnahmekünstler.

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Gerade diese Ausnahmekünstler sind nun mal ständig in der Öffentlichkeit präsent und prägen das Bild mit.

Richtig, und diese Zahlen werden in der Öffentlichkeit gespielt, bei denen ich selbst auch überlege: Wer soll das nachvollziehen können? Keiner. Wenn ich das veröffentlichte Gehalt von Lionel Messi vor ein paar Monaten lese – und mich dann frage: Ist das berechtigt? Das wage ich stark zu bezweifeln.

Für das Kapitel zum Outing von homosexuellen Profifußballern während der Karriere mussten Sie viel Kritik einstecken. Haben Sie Ihre Aussagen danach überdacht?

Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe. Das ist meine Meinung – aber es ist doch gut, dass man jetzt dieses Thema öffentlich diskutiert. Ich würde mir selbstverständlich wünschen, dass es nicht notwendig ist, darüber zu sprechen, dass also Homosexualität bei uns als völlig normal angesehen wird und dass es keinen Rassismus in unserer Gesellschaft gibt. Aber leider ist das nicht so. Sich als Fußballspieler in einem Alter zwischen 18 und 35 Jahren zu outen geht auch mit gewissen Gefahren einher, darüber sollte man auch sprechen.

Sie selbst sind in einer Zeit groß geworden, als die sozialen Medien noch nicht den Alltag mitbestimmt haben wie heute. Sehen Sie auch Gefahren in den vielfältigen Plattformen?

Es ermöglicht beides, Chancen und Herausforderungen. Man kann sich schnell untereinander vernetzen, jederzeit Stellung beziehen und die Fans an der sportlichen Karriere teilhaben lassen – man schafft eine stärkere emotionale Bindung untereinander, das ist schön. Früher war das so nicht möglich. Gleichzeitig muss man sich bewusst werden, wie man sich selbst auf den sozialen Medien präsentieren will, welche Einblicke man gibt und wie schnelllebig diese Plattformen sind.

Ein Kapitel im Buch widmen Sie auch Toptrainern wie Jürgen Klopp, Pep Guardiola und sogar Otto Rehhagel. Stellen Sie sich vor, Sie dürften frei entscheiden, wer Joachim Löw als Bundestrainer ersetzt – welchen Trainer würden Sie wählen?

Das ist nicht in meiner Verantwortung – und da sind wir wieder beim Thema: Wozu kann man sich äußern, wozu nicht? Ich bin Turnierdirektor der EURO 2024. Zum Thema "Wer wird nächster Bundestrainer?" kann ich mich nicht öffentlich äußern.

Aber vielleicht zur Nationalmannschaft an sich. Das Image der DFB-Elf hat zuletzt stark gelitten.

Das A und O für die Nationalmannschaft ist, dass sich die Bevölkerung für sie begeistert, dass die Menschen gerne vor dem Fernseher sitzen, gerne ins Stadion gehen. Das ist enorm wichtig für das Gemeinschaftsgefühl. Jeder Spieler muss sich bewusst sein, dass es etwas Besonderes ist, für Deutschland zu spielen. Ich empfand es immer als große Ehre, vor allem bei großen Turnieren. Wenn ich da die Nationalhymne am Anfang gehört habe, war es immer etwas Besonderes, weil ich wusste: Ich vertrete die Menschen in der Heimat.

Wie sind Sie persönlich früher mit diesem Druck umgegangen?

Woran ich mich beispielsweise erinnere, ist, dass ich schon in jungen Jahren, als ich nach Stuttgart gegangen bin und in der Champions League spielen durfte, nicht zu viel in Sachen Benotung zu Spielen gelesen habe. Ich habe immer den klaren Gedanken gehabt, dass meine Mitspieler, meine Trainer, auch mein Umfeld geeigneter sind, meine Leistung zu beurteilen.

Löw und Sie haben die DFB-Elf lange gemeinsam geprägt. Mit welchem Wort würden Sie seine Amtszeit zusammenfassen?

Ich würde sagen: letztendlich sensationell. Und warum ist das so? Über zehn Jahre, von 2006 bis 2016, hat man alle großen Turniere erfolgreich gestaltet: Deutschland war Dritter bei der WM 2006, Vize-Europameister bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz, Dritter bei der WM 2010 in Südafrika, im Halbfinale bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine, Weltmeister in Brasilien 2014 und im Halbfinale bei der EM 2016 in Frankreich.

Aufgrund der Rückschläge in den vergangenen Jahren rücken die großen Leistungen Löws ein Stück weit in den Hintergrund.

Ja, nach der Pleite in Russland mit dem Ausscheiden in der Vorrunde ist das ganz normal. Wir Profisportler werden nach Erfolg und Misserfolg bewertet. Jetzt hat Joachim Löw der Mannschaft noch einmal einen starken Impuls gegeben mit seiner Ankündigung, nach der EURO 2020/2021 auszuscheiden. Ich wünsche mir eine erfolgreiche Europameisterschaft, damit er einen schönen Abschied bekommt.

Und würden Sie sich auch über die Rückkehr Ihres ehemaligen Bayern-Teamkollegen Alonso in die Bundesliga freuen?

Ja, natürlich. Xabi Alonso hat alles, was einen erfolgreichen Trainer ausmacht. Als Spieler war er ein absoluter Stratege und Spielversteher, er hat Ruhe und Stärke ausgestrahlt und war auf seiner Position zentral im Mittelfeld prägend. Also wäre das ein toller Schachzug von Max Eberl, wenn er jetzt Xabi Alonso als Trainer von Gladbach verpflichten kann.

In Philipp Lahms neuem Buch "Das Spiel. Die Welt des Fußballs" (19,95 Euro, 272 Seiten, soeben im Verlag C.H.Beck erschienen) schreibt er von seinen Erfahrungen, die er über die vielen Jahre als Fußballprofi gesammelt hat und gibt einen tiefen Einblick in seine Gedankenwelt.

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