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EM 2016: Erinnerungen an die schwarze Nacht von Paris


Terroranschläge von Paris
Erinnerungen an die schwärzeste Nacht des Jahres

Von t-online
Aktualisiert am 30.12.2015Lesedauer: 4 Min.
Die Terroranschläge von Paris erschütterten ganz Europa.Vergrößern des BildesDie Terroranschläge von Paris erschütterten ganz Europa. (Quelle: dpa-bilder)
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Die Horror-Nacht von Paris sorgte weltweit für Schock und Entsetzen. Bei den Terroranschlägen am 13. November in der Innenstadt und am Stade de France gab es 130 Tote. Unser Redakteur war an diesem Abend beim Länderspiel Frankreich gegen Deutschland im Stadion. Er erinnert sich an die schwärzeste Nacht des Jahres:

Von Sebastian Schlichting

Dieser Knall. Ohrenbetäubend. Noch heute habe ich ihn im Ohr, wenn ich an Paris denke. Und ich denke an den Dialog mit dem Kollegen Jörg Runde auf der Pressetribüne:

Er: "Boah, war das laut. Was war das?"

Ich: "Keine Ahnung. Vermutlich ein Böller."

Er: "Nie im Leben war das ein Böller."

Ich: "Was denn sonst?"

Pause.

Er: "Du bist öfter im Stadion als ich. Wenn Du sagst, es war nichts, wird es schon nichts sein."

Später erzählte er mir, dass er kurzzeitig sogar überlegte, das Stadion zu verlassen. Nur weg von diesem Ort.

Der nächste Knall kommt vier Minuten später

Habe ich wirklich geglaubt, dass es ein Böller war? Oder wollte ich es denken? Möglicherweise von beidem etwas. Das fiel mir wieder ein, als ich am Tag danach in der Zeitung folgendes las: Zeugen der Attacken im Café Carillon, wo 14 Menschen erschossen wurden, hätten bei den Schüssen zunächst an die Geräuschkulisse eines Feuerwerks gedacht.

Vier Minuten knallt es im Stadion wieder. Der Liveticker von t-online.de vermutet ebenfalls einen Böller. Dass sich Attentäter in die Luft gesprengt haben, weiß noch niemand im Stadion. Auch nicht, dass sie eigentlich ins Stadion wollten. Und dass nur sieben Kilometer entfernt vom Stadion der Terror mit voller Wucht über Paris hereinbricht.

Ich widme mich wieder dem Spiel. Grinse, als Frankreichs Antoine Griezmann versehentlich mit einer Grätsche die Eckfahne kaputtmacht. Denke beim Führungstor der Franzosen an meine dadurch verlorene Wette. Dass es in der Innenstadt schon zahlreiche Tote gibt, weiß ich nicht.

Angst macht sich breit

Zu Beginn der zweiten Hälfte gibt es auf der Pressetribüne Gerüchte von Explosionen am Stadion. Es soll Verletzte geben. Ich finde bei Twitter erste, kurze Meldungen. Eine junge deutsche Journalistin neben mir schaut auf den Laptop und sagt: "Oh bitte nicht. Ich kriege Angst."

Letzte Gewissheit, dass in Paris Schreckliches im Gange ist, bringt die Tatsache, dass wir uns in einem inzwischen abgeriegelten Stadion befinden. Das spricht sich in Sekunden im Pressebereich herum. Genau wie die Tatsache, dass Staatspräsident Francois Hollande in der Pause aus dem Stadion gebracht worden ist.

Jörg Runde geht runter von der Pressetribüne, spricht mit einer Ordnerin. "Niemand kommt aus dem Stadion raus oder rein" – als er mir diesen Satz von ihr weitergibt, fröstelt es mich trotz Jacke. Es ist nicht kalt an diesem Abend.

Man macht einfach weiter

Im Nachhinein klingt es ziemlich unsinnig, aber ich notiere mir weiter Torchancen und Gelbe Karten. Das Spiel läuft weiter. Rückblickend kann man als einer von 80.000 im Stadion wohl gar nicht froh genug darüber sein. Experten werden in den Tagen danach davon sprechen, dass sonst eine Massenpanik unvorstellbaren Ausmaßes wahrscheinlich gewesen wäre.

Wir wissen nicht wirklich, was los ist. Aber wir wissen allem Anschein nach mehr als viele Zuschauer. Sie bejubeln das zweite Tor für Frankreich. Es ist unwirklich. Nach Abpfiff gibt es Durchsagen, dass nicht alle Ausgänge offen sind. Manch einer reagiert besorgt, die meisten bleiben ruhig.

Überall sind Sirenen zu hören, Hubschrauber kreisen. Ich stehe zwischen den Zugängen zur Tribüne und dem Ausgang, als plötzlich eine Menschenmenge auf mich zustürmt. Dass nun Panik ausgebrochen ist, erfahre ich erst später. Jetzt sehe ich nur schreiende und weinende Menschen. Vielleicht stehe ich eine Sekunde, vielleicht fünf. Dann renne ich auch. Richtung Eingang des Pressekonferenz-Raumes. Die Ordner halten die Türen zu, da an die 50 Menschen reinwollen. Ich zeige meine Akkreditierung. Die Tür geht auf, alle stürmen herein. Wenn ich heute gefragt werde, ob ich Angst hatte, sage ich "Ja". Genau in diesen Momenten.

Der Handy steht nicht still

Die Lage beruhigt sich wieder. Ich beruhige mich wieder. Mein Handy meldet sich inzwischen ununterbrochen. Meine Freundin, meine Eltern, Freunde, Kollegen machen sich Sorgen. Ich tippe kurze Antworten. Mir gegenüber sitzen zwei jugendliche Zuschauer auf dem Boden. Sie liegt weinend in seinen Armen.

Einige Freunde wollen helfen und schicken mir Neuigkeiten. Teils bestätigte Meldungen, teils Gerüchte: Geiselnahme in einem Theater, Schießereien, geschlossene Grenzen, immer neue, immer höhere Opferzahlen. Unruhig werde ich, als jemand schreibt, angeblich wären Bomben im Stadion versteckt. Auch zum DFB-Team überschlagen sich die Gerüchte: Noch im Stadion? Schon weg? Sofort nach Deutschland geflogen? Die Antwort kommt es erst morgens: Die Mannschaft war über Nacht im Stadion.

Wir sitzen inzwischen im Presse-Arbeitsbereich. Ein englischer Kollege hat grad per Handy live ein Radio-Interview gegeben. Er sprach schnell, klang angespannt. Wie alle hier. Ich schreibe einen Text darüber, wie wir die zurückliegenden Stunden erlebt haben. Schreiben beruhigt, ist Normalität. Zumindest ein bisschen. Ein Ordner kommt rein und erklärt, der Presseraum werde um ein Uhr zugemacht: "So wie immer". Ich denke kurz an die Nachrichten mit den versteckten Bomben. Vielleicht soll nur ohne Aufsehen geräumt werden? Aber nach kurzer Diskussion verlässt er den Raum wieder. Alle können weiterarbeiten.

Unsicherheit auf der Fahrt ins Hotel

Jörg Runde ruft im Hotel an. Es liegt keine zwei Kilometer von zweien der Anschlagsorte entfernt. Der Mitarbeiter sagt, dass es bei ihnen ruhig sei. Gegen ein Uhr verlassen wir das Stadion.

Ein Taxi steht sofort bereit. Der Fahrer benutzt mehrmals ein Wort, dass auch ohne herausragende Französischkenntnisse zu verstehen ist: incroyable. Unglaublich. Unfassbar.

Unterwegs überholen uns Polizeiautos und Krankenwagen mit Blaulicht. Normal in Paris um die Zeit? Oder gibt es neue Attentate? Wie so oft an diesem Abend wissen wir es nicht. Die Rue de Chabrol, in der unser Hotel liegt, ist menschenleer. Die vielen Kneipen, die vor ein paar Stunden voll besetzt waren, sind zu.

Wir sind einfach nur froh, angekommen zu sein. Der Hotel-Mitarbeiter spricht etwas Deutsch. Er sagt: "Leider ist es heute nicht so gut in Paris." Lächelt dabei unbeholfen. Als müsse er sich entschuldigen.
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