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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DFB-Frauen nach der EM-Vorrunde Zwei Pechvögel – und mehrere Verlierer

Mit der Schweden-Niederlage endete für Deutschland die Vorrunde der Frauen-EM. Das Fazit einzelner Spielerinnen fällt dabei unterschiedlich aus.
Knapp zwei Wochen sind vergangen, seit die Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz gestartet ist. Seither hat sich das deutsche Nationalteam von Bundestrainer Christian Wück für das Viertelfinale qualifiziert. Nach dem 2:0-Auftaktsieg gegen Polen folgten im Duell mit Dänemark die nächsten drei Punkte für Deutschland in der Gruppe C (2:1) und das vorzeitige Ticket für die K.-o.-Runde. Im dritten Spiel folgte dann aber ein herber Dämpfer. Das 1:4 gegen Schweden bedeutete Platz zwei und ein Viertelfinale gegen Mitfavorit Frankreich (am Samstag ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online).
Das Turnier hat den DFB-Frauen bis dahin Erkenntnisse geliefert, sowohl positiv als auch negativ. Überlagert wurde all das durch die Verletzung von Kapitänin Giulia Gwinn (Innenband), für die das Turnier nach nicht einmal einer Halbzeit vorbei war. Sie ist aber nicht der einzige Pechvogel im deutschen Team. t-online zieht ein Fazit nach der Gruppenphase – und präsentiert die Gewinner und Verlierer.
Das sind die Gewinner des deutschen Teams zur EM-Halbzeit
Die positivste Entwicklung während des Turniers macht zweifellos Jule Brand. Die künftige Spielerin von Olympique Lyon schoss gegen Polen das erste deutsche Tor bei der EM – ein traumhafter Schuss mit ihrem vermeintlich schwächeren linken Fuß in den Winkel. Das 2:0 legte sie dann auch noch vor. Gegen Dänemark steuerte sie eine Vorlage bei und im Spiel gegen Schweden erhöhte sie ihr Torkonto bei der EM auf zwei Treffer. Neben ihren Assists ist Brand aber aufgrund ihrer Rückwärtsbewegung wertvoller geworden. Die 22-Jährige klärte bereits mehrfach in der eigenen Hälfte und vereitelte so einige Chancen des Gegners. Auch die Entscheidungsfindung, die oft eine Schwäche der talentierten Nationalspielerin war, hat sich verbessert.
Jule Brand wirbelt auf rechts, Klara Bühl auf links. Die Münchnerin ist zwar noch ohne Torbeteiligung, ihre Leistungen stimmen dennoch. Die Zuschauer begeisterte sie bislang mit einer hohen Aktivität, schnellen Dribblings und dem Drang, immer wieder zum Abschluss zu kommen. Mitspielerin Linda Dallmann betonte zuletzt, dass Deutschland mit Bühl und Brand die gefährlichsten Flügelspielerinnen des Turniers habe. Die 24-jährige Bühl hat sich zudem seit dem Umbruch im deutschen Team als Führungsspielerin erwiesen – auf und neben dem Platz.
Die Verantwortung lastet aber nicht nur auf ihren Schultern. Durch die Verletzung von Giulia Gwinn ist Janina Minge zur Kapitänin aufgestiegen, ihre Vertretung wiederum musste von Bundestrainer Wück neu bestimmt werden. Seine Wahl fiel auf Sjoeke Nüsken. Der Ruhepol im deutschen Zentrum erhielt das Vertrauen – und wurde diesem gerecht. Im Spiel gegen Dänemark trat sie an den Elfmeterpunkt und traf.
Die Spielerin des FC Chelsea zeigt ein gutes Gespür für den richtigen Pass. In einem oft wilden deutschen Spiel weiß sie Ruhe auszustrahlen und ist sich nicht zu schade, einen Pass nach hinten zu spielen, um den Angriff neu aufzubauen. Mal setzt sie ihre Teamkolleginnen in der Offensive gekonnt in Szene, mal beruhigt sie das deutsche Spiel mit einem Pass nach hinten. Nüsken und Nebenfrau Elisa Senß, dem Motor des Teams nach vorne und hinten, sind bestens aufeinander abgestimmt und ergänzen sich. So konnte Senß mit ihrer Übersicht glänzen und gefährliche Angriffe Deutschlands einleiten, während Nüsken nach hinten absicherte.
Pl. | Spieler | Verein | Spieler, Verein | Spiele | Sp. | ØQuote | 11er | Tore |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | Esther González | Spanien | Esther GonzálezSpanien | 3 | 1.33 | 0 | 4 | |
2 | Alèxia Putellas | Spanien | Alèxia PutellasSpanien | 3 | 1 | 0 | 3 | |
3 | Stina Blackstenius | Schweden | Stina BlacksteniusSchweden | 3 | 0.66 | 0 | 2 | |
3 | Signe Gaupset | Norwegen | Signe GaupsetNorwegen | 2 | 1 | 0 | 2 | |
3 | Frida Maanum | Norwegen | Frida MaanumNorwegen | 3 | 0.66 | 0 | 2 |
Als eine späte Gewinnerin könnte auch die langjährige Stammspielerin Kathrin Hendrich gesehen werden. Denn in den ersten Spielen war die 33-Jährige meist außen vor. Vor dem Viertelfinale bekommt sie nun aber die Chance, dem deutschen Spiel ihren Stempel aufzudrücken. Denn mit Giulia Gwinn (Verletzung) und Carlotta Wamser (Rotsperre) fehlen die beiden Rechtsverteidigerinnen. In der neu formierten Dreierkette wird Hendrich wohl eine Rolle spielen. Schon gegen Schweden stach sie in der neuen Formation besonders heraus. Die 33-Jährige wusste ihre Einsatzzeit zu nutzen, bewies ein gutes Stellungsspiel und bekam bei gegnerischen Angriffen immer wieder den Fuß dazwischen.
Das sind die Verlierer des deutschen Teams zur EM-Halbzeit
Bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr avancierte Ann-Katrin Berger noch zur Heldin, als sie mehrere Elfmeter auf dem Weg zur Bronzemedaille parierte. Im Verlauf der EM rückte die Schlussfrau allerdings weniger durch starke Paraden gegen Polen und Dänemark in den Vordergrund, sondern mehr durch ihren riskanten Spielstil. Mehrfach ging sie ins Dribbling – und wurde daher von Bundestrainer Wück öffentlich angezählt. Berger selbst habe sich davon zwar nicht verunsichern lassen. Stabilität konnte sie so aber wohl nicht ins deutsche Spiel bringen.
Auch für die deutsche Abwehrkette lief nicht alles wie geplant. Nachdem die EM für Giulia Gwinn nach nur 36 Minuten beendet war, rückte Carlotta Wamser in den Vordergrund. Mit zwei Länderspielen im Gepäck spielte die 21-Jährige groß auf: Die Vorlage gegen Polen, der Pass vor dem Elfmeter gegen Dänemark und auch die Vorlage auf Jule Brand gegen Schweden waren ihr zu verdanken. Auch defensiv fiel sie positiv auf. Wamsers Name wäre eigentlich einer für die Liste der Gewinnerinnen gewesen. Allerdings: Gegen Schweden wehrte sie einen Schuss im deutschen Strafraum mit der Hand ab. Die Folge: Rote Karte, Elfmeter zum 1:3 – und eine Spielsperre. Die EM hätte für Wamser zum Märchen werden können. Nun muss sie darauf hoffen, noch einmal im möglichen Halbfinale auflaufen zu dürfen. Vorerst bleibt sie neben Gwinn der große Pechvogel.
Während sich Janina Minge im Abwehrzentrum als Konstante erwies, strahlte Rebecca Knaak nur selten Sicherheit aus. Vor Turnierstart verdrängte sie noch Kathrin Hendrich und genoss volles Vertrauen vom Bundestrainer. Mit der Zeit kristallisierte sich aber heraus: Knaak ist zwar in Luftzweikämpfen und im Eins-gegen-Eins unersetzlich. Sie hat jedoch enorme Schwächen im Stellungsspiel, der Handlungsschnelligkeit und Tempo. Besonders beim zwischenzeitlichen 1:1 der Schwedinnen sah die Innenverteidigerin von Manchester City schlecht aus, als sie ihre Gegenspielerin aus den Augen verlor und am Ball vorbeirutschte. Ihr Einsatz im Viertelfinale ist daher trotz der Ausfälle fraglich.
Bessere Chancen hat Linksverteidigerin Sarai Linder. Die Wolfsburgerin startete solide ins Turnier, konnte sich gegen Dänemark sogar ins Offensivspiel einschalten. Doch auch sie erwischte gegen Schweden kein gutes Spiel. Mehrmals ließ sie ihre Gegenspielerinnen auf der linken Seite durchkommen und wackelte ein ums andere Mal in der Passgenauigkeit. Da Christian Wück nur wenig Alternativen auf den Außenverteidigerpositionen hat, wird sie gegen Frankreich vermutlich eine neue Chance bekommen. Ob sie die zu nutzen weiß?
Auch Laura Freigang erhielt im Schweden-Spiel das Vertrauen des Bundestrainers und rutschte in die Startelf. Die Frankfurterin konnte im offensiven Mittelfeld allerdings nur wenig bewirken und musste wohl auch aufgrund des Platzverweises von Wamser schon nach 45 Minuten wieder runter, weil Trainer Wück die Defensive stärken wollte. Die Hoffnung war groß, dass Freigang dem deutschen Offensivspiel mehr Kreativität aufdrücken würde als ihre Vorgängerin Linda Dallmann. Vor der EM begeisterte die Bayern-Spielerin noch mit Hackentricks und perfekten Vorlagen. Seit Turnierbeginn ist davon allerdings kaum noch etwas zu sehen. Wer von beiden wohl im kommenden Duell starten darf?
Bei Stürmerin Lea Schüller stellt sich die Frage hingegen nicht. Obwohl die 27-Jährige gegen Polen und Dänemark jubeln durfte, tauchte sie abseits ihrer Tore in den Spielen weitestgehend ab. Als Stürmerin ist es zwar wichtig, in den entscheidenden Momenten vor dem gegnerischen Tor präsent zu sein. Doch Schüller fehlt es noch an Durchschlagskraft im gesamten Spiel. So wechselte Bundestrainer Wück Schüller gegen Polen und Dänemark nach 70 Minuten aus, gegen Schweden musste sie nach 64 Minuten runter. Seit dem Abschied von Ex-Stürmerin Alexandra Popp sollte sie nun ihre Spielzeit besser nutzen.
Auch Bundestrainer Christian Wück ist bislang ein Verlierer
Seit acht Monaten ist Wück im Amt – und hat alle Hände voll zu tun. Nachdem langjährige Stammspielerinnen wie Merle Frohms und Marina Hegering ihren Rücktritt erklärt hatten, musste er den Kader umbauen, neue Führungsspielerinnen benennen und vor allem eine Baustelle angehen: die inkonstante Abwehr. Der 52-Jährige experimentierte, stellte um – doch spätestens seit dem 1:4 gegen Schweden ist klar, dass das Defensivproblem größer denn je ist.
Mit Carlotta Wamser und Franziska Kett hatte er sich beim EM-Kader für junge Spielerinnen entschieden. Wamser bestätigte dies. Doch die Art und Weise, wie er zuvor mit Felicitas Rauch, Nicole Anyomi oder auch Carolin Simon – nämlich gar nicht – kommunizierte, warf Fragen auf. Dass er nach dem Sieg gegen Dänemark mit Berger auch noch seine Nummer eins anzählte, verschärfte die Kritik an seinem Kommunikationsstil.
Im Viertelfinale gegen Frankreich wartet auf Deutschland nun der wohl schwerste Gegner im laufenden Turnier (Samstag, 21 Uhr im t-online-Liveticker). Ob sich die Abwehrkette bis dahin gefunden hat und auf wen Wück in der Offensive setzt, bleibt abzuwarten.
- Eigene Beobachtungen