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Marketing-Experte Zitzmann: "Sport kann nicht nur reicher werden, er muss gerechter werden"


Sportmarketing-Experte Zitzmann
"Der Sport kann nicht nur reicher werden, er muss gerechter werden"

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InterviewVon Alexander Kohne

Aktualisiert am 05.05.2020Lesedauer: 7 Min.
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Einer der renommiertesten Sportmarketing-Experten Deutschlands: Robert Zitzmann ist seit 2018 Geschäftsführer der Hamburger Agentur Jung von Matt/Sports. Die Corona-Krise sieht er als große Chance für die Sportbranche.Vergrößern des Bildes
Einer der renommiertesten Sportmarketing-Experten Deutschlands: Robert Zitzmann ist seit 2018 Geschäftsführer der Hamburger Agentur Jung von Matt/Sports. Die Corona-Krise sieht er als große Chance für die Sportbranche. (Quelle: imago-images-bilder)

Nach Jahren des Booms hinterfragt sich der Sport in der Corona-Krise grundlegend. Sind Millionengehälter richtig? Was ist mit der zunehmenden Vermarktung? Agentur-Chef Robert Zitzmann hat darüber eine eigene Meinung – und fordert teilweise ein radikales Umdenken.

Robert Zitzmann ist der etwas andere Sportmarketing-Experte. Er ist einer von drei Geschäftsführern bei Deutschlands am meisten ausgezeichneter Sportmarketing-Agentur Jung von Matt/Sports, aber auch ehrenamtliches Vorstandsmitglied beim Sheffield FC – dem ältesten Fußballklub der Welt. Eine "Pilgerreise an die Wurzel des Fußballs" mit normalerweise 200 bis 300 anderen Zuschauer im Herzen Englands, die er wärmstens empfiehlt. Kein Wunder, dass Zitzmann eine besondere Haltung zu den Grundwerten des Sports hat – gerade in der Corona-Krise.

t-online.de: Herr Zitzmann, das Motto Ihrer Agentur ist: "Wir bleiben unzufrieden." Womit sind Sie in der Sportbranche gerade am unzufriedensten?

Robert Zitzmann: Drehen wir es um: Aus meiner Sicht gibt es in der Branche gerade jetzt eine Bereitschaft, über das System Spitzensport zu diskutieren. Aufgrund des immensen Wachstums und der wirtschaftlichen Stabilität gab es das vorher nicht. Für Fußballklubs und Verbände ist es finanziell jahrelang steil bergauf gegangen. Durch die Corona-Krise gibt es jetzt eine Bremsung, einen radikalen Einschnitt. Jetzt werden die richtigen Systemfragen gestellt und hoffentlich auch mit den richtigen Leuten beantwortet. Davon abgesehen finde ich, dass viele Protagonisten zu schnell zu der Frage übergehen, wie in der Bundesliga wieder gespielt werden kann. Natürlich habe ich großes Verständnis dafür, dass alle wieder auf den Platz zurückwollen – das ist der existenzielle Anspruch der Klubs. Aber diejenigen, die sich jetzt ausschließlich mit den Vermarktungsfragen von Geisterspielen und nicht mit den gesellschaftlichen Fragen beschäftigen, tun sich selbst keinen großen Gefallen.

Apropos Geisterspiele. Sie entwickeln Konzepte für Klubs und Sponsoren, um Fans zu erreichen und zu begeistern – im Fachjargon nennt man das "Aktivierung". Hätten Sie spontan eine oder zwei Ideen auf Lager, wie das in leeren Stadien aussehen könnte?

Natürlich, aber aus meiner Sicht ist jetzt nicht der Zeitpunkt, die Geisterspiele mit witzigen Sonderideen zu bespielen. Momentan gibt es gerade eine hohe Anspannung und Sensibilität bei dem Thema. Die Deutsche Fußball Liga ist aus meiner Sicht gut beraten, bei Geisterspielen auf große Sponsoring- und Fan-Aktionen im ersten Schritt zu verzichten. Wir sollten uns erst einmal auf die Sicherheit aller Beteiligten und das reine Spiel konzentrieren und nicht schon vor Anpfiff damit beginnen, die Tribünen mit großen Transparenten und Werbebannern abzuhängen. Vielleicht gibt es ja Sponsoren, die glauben, dass ihnen das als Kompensationsleistung zusteht. Ich würde davon aber dringend abraten und stattdessen darüber nachdenken, was Klubs und Sponsoren außerhalb des Platzes beitragen können, um denen zu helfen, die aktuell weder Fußball spielen noch arbeiten können.

Dennoch gibt es bereits Ideen, wie Fans ihre Teams vom heimischen Sofa unterstützen können – beispielsweise über das Zusammenspiel von sozialen Medien und Lautsprechern auf den Tribünen. Was halten Sie davon?

Erst einmal wenig, weil es – wie gesagt – derzeit Wichtigeres gibt als digitale Fan-Aktionen. Es gibt gerade in Fan-Kreisen eine gewisse Zerrissenheit in Bezug darauf, ob Geisterspiele überhaupt stattfinden sollten. Deshalb wäre es doch viel schlauer, die Fans vorab aktiv einzubeziehen, statt alles wie gewohnt zu orchestrieren. Ich habe da oft das Gefühl, dass sich manche Marketingleiter im Sport – sogar weniger im Fußball – etwas wie Zirkusdirektoren benehmen, die ihre Fans gerne zu mehr Konsum dressieren möchten. Deshalb noch mal: Ich würde Fans zuhören, bevor ich ihnen neue Ideen präsentiere. Klar: Klubs und Liga müssen am Ende entscheiden, was geht und was nicht geht. Aber ein Dialog auf Augenhöhe ist die beste Taktik im Spiel gegen Corona, um den Fan und die breite Öffentlichkeit nicht schon vor dem Anpfiff zu verlieren. Sport wird in der Krise nicht besser, weil noch mehr Marketing gemacht wird.

Apropos: Sie haben ein Thesenpapier mit dem Namen "Zwischen Werten und Wertschöpfung: Auf der Suche nach einem Antikörper für eine gesunde Zukunft des Sports" verfasst.

Genau. Aus meiner Sicht hat die Wirtschaftlichkeit des Sports etwas mit seiner sozialen Relevanz zu tun. Darum geht es im Kern. Es ist ein Perspektivpapier für zentrale Werte, die den Sport in die Zukunft führen müssen. Die übergeordnete These ist: Ohne Werte gibt es keine Wertschöpfung. Einfacher ausgedrückt: Nur wenn der Sport versteht, dass er mehr als ein Geschäftsmodell ist, kann er das beste Geschäftsmodell der Welt werden. Der gesellschaftliche Mehrwert des Sports muss einhergehen mit seiner wirtschaftlichen Kraft. Oder wie anhand der kürzlichen Beispielrechnung von Christian Seifert (Geschäftsführer der DFL, Anm. d. Red.) skizziert: Wenn alle Akteure im Profisport nur 1 Prozent ihres Umsatzes zurücklegen, wäre das System Profisport unabhängiger, nachhaltiger und für alle wertvoller.


Sie fordern in diesem Zusammenhang, dass man zurückmüsse zu "den Wurzeln des Sports", zu "humanitären Werten und Wertegemeinschaften". Warum hat sich der Sport so weit davon entfernt?

Weil der Sport als Geschäftsmodell wirtschaftliche Ziele hat. Das hat einfach etwas mit freier Marktwirtschaft zu tun. Das ist in anderen Branchen nicht anders. Aber wenn die wirtschaftliche Kraft des Sports erhalten bleiben soll, muss sie stärker in Zusammenhang mit sozialen Zielen stehen und ein gesundes Maß finden. Egal ob beim TV-Vertrag oder Ticketpreisen: Der Sport kann nicht immer mehr verdienen, wenn die, die es bezahlen sollen, nicht auch mehr haben. Der Sport kann nicht nur reicher werden, er muss gerechter werden. Menschlichkeit hat den Sport erfolgreich gemacht – sowie all die Fans und Zuschauer, die dem Sport durch alle Krisen hinweg loyal geblieben sind. Zum einen, weil Sport ein unterhaltsames Medienprodukt ist. Zum anderen, weil Sport aufgrund seiner gesellschaftlichen Vorbildfunktion mehr zu bieten hat als andere Medienprodukte. Sport begeistert, Sport verbindet. Gerade bei jungen Generationen gibt es eine hohe Zustimmung für diese Werte über das sportliche Ergebnis hinaus. Sport muss diese Werte wieder anführen.

Und wie kann das gehen?

Ich habe es in unserem Papier auf fünf Punkte heruntergebrochen. Ein zentraler Aspekt ist Integrität: Wer in der Krise bereit ist, in das Wohl anderer zu investieren, wird dafür irgendwann belohnt werden. Ein Beispiel: Wenn ich jetzt als Spieler zum Wohl meines Klubs freiwillig auf mein Gehalt verzichte, werden sich Fans und Medien noch lange daran erinnern.

Wir haben eine Umfrage durchgeführt, nach der 62 Prozent der Sportfans in Deutschland es gut finden, wenn hochbezahlte Athleten in der Krise auf Geld verzichten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist Kollaboration, also Zusammenarbeit. Der Sport muss seine strukturellen Grenzen überwinden. Corona kann nur als Einheit besiegt werden: vom obersten Funktionär aus der Schweiz bis zum einfachen Fan in Sindelfingen.

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Wo wäre das besonders nötig?

Bei den großen Welt- und Kontinentalverbänden wie Fifa, IOC oder Uefa. Alle tun etwas für ihren Sport, aber sie tun es nicht gemeinsam. Sie verfolgen unterschiedliche Ziele und in unterschiedlichen Gremien. Sport braucht weniger Politik und mehr gemeinsame Perspektiven. Teamgeist ist jetzt auch besonders neben dem Platz gefragt, damit sich der Sport nicht irgendwann selbst besiegt. Ein weiterer Punkt ist "Corporate Citizenship", also Sponsoring im Sinne von sozialem Engagement. Sponsoren haben durch Corona die Chance, den Sport nicht nur mit Logos und Kaufangeboten zu bereichern, sondern wirklich zu helfen und etwas Gutes zu tun. Genau wie bei selbstlosen Profis werden sich Fans daran erinnern.

So wie einst bei Astra oder Uli Hoeneß und dem FC St. Pauli. Denn wenn deutlich wird, dass Sport für Unternehmen mehr als nur Werbung ist, dann kann es die beste Werbefläche der Welt werden. Was es dann noch braucht: soziale Kreativität ...

... was natürlich ein sehr großer Begriff ist.

Richtig. Es geht im Kern darum, sich Gedanken zu machen, wie man auch in Zeiten fehlender Livespiele für Fans relevant bleibt. Da hat beispielsweise die Fifa einen guten Schritt gemacht, indem sie auf ihren Kanälen alte WM-Klassiker wie das Finale 1966 anbietet. Der DFB war mit dem Thema E-Football (in Form der Fußball-Simulationen "FIFA" und "Pro Evolution Soccer", Anm. d. Red.) und einer eigens dafür gelaunchten Plattform auch aktiv. Und natürlich Alba Berlin mit seinem Sportunterricht für Kinder. Darüber hinaus geht es natürlich auch um den Fan an sich. Dieser muss mehr und anders im Mittelpunkt stehen. Wenn ich in meiner Branche auf Konferenzen bin, höre ich oft Sätze mit Konstruktionen wie "data-based fan-centric customer journey for new value-adding services". Viel Marketing und Technologie, wenig Mensch.

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Der Fan ist zu sehr zum Konsumenten geworden – wie ein digitaler User mit Warenkorb bei Amazon. Wir sollten ihn aber gerade jetzt als Kulturtreiber für den Sport gewinnen. In der Krise haben sich viele Fanszenen schnell organisiert und aus sich selbst heraus Hilfsangebote entwickelt – ob das in Dortmund ist, wo Essen an ältere Menschen oder Risikogruppen ausgefahren wird, oder bei uns um die Ecke auf St. Pauli, wo von Fans und Verein Duschmöglichkeiten für Obdachlose angeboten werden. Es gibt viele tolle Ideen, die wirklich helfen.

Hat der Profisport nun eine historische Chance, sich den Fans wieder anzunähern?

Auf jeden Fall. Für viele Menschen ist und bleibt der Sport immer noch die schönste Nebensache der Welt. Und genau aus dieser Kraft heraus muss man das gesamte System nach vorne entwickeln. Sport macht Spaß und tut Menschen gut. Und nur weil Milliarden Menschen auf der Welt Sport so sehr lieben, verdienen einige wenige damit jedes Jahr Millionen. Damit der Fußball als Geschäft erfolgreich bleibt, muss er seine gesellschaftliche Verantwortung zum Kapitän machen. Das gilt vor allem für die Profis, denen wir in guten Zeiten auf Instagram zujubeln. Sie müssen uns zeigen, dass sie nicht nur gute Fußballer sind, sondern auch gute Menschen sein wollen. Die Krise ist eine Chance, den Sport langfristig wertvoller zu machen.

Verwendete Quellen
  • Jung van Matt/SPORTS: "Sports Society – Zwischen Werten und Wertschöpfung: Auf der Suche nach einem Antikörper für eine gesunde Zukunft des Sports"
  • Hamburger Morgenpost: "Der Tag, an dem Uli Hoeneß St. Pauli rettete"
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