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Olympia 2021 – Lutz Pfannenstiel: "Das ist der entscheidende Akteur für den DFB"


Das olympische Turnier wird leider nicht so ernst genommen

Eine Kolumne von Lutz Pfannenstiel

Aktualisiert am 22.07.2021Lesedauer: 4 Min.
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Matheus Cunha (l.): Der Hertha-Stürmer ist einer von zahlreichen Top-Stürmern in Brasiliens Olympia-Team. t-online-Kolumnist Lutz Pfannenstiel beeindruckt die Offensiv-Power der Südamerikaner.Vergrößern des Bildes
Matheus Cunha (l.): Der Hertha-Stürmer ist einer von zahlreichen Top-Stürmern in Brasiliens Olympia-Team. t-online-Kolumnist Lutz Pfannenstiel beeindruckt die Offensiv-Power der Südamerikaner. (Quelle: t-online/imago-images-bilder)

Noch vor der Eröffnungsfeier starten die deutschen Fußballer heute gegen Brasilien ihr Olympia-Abenteuer. Individuell sieht t-online-Kolumnist Lutz Pfannenstiel die "Seleção" deutlich stärker. Für ihn gibt es jedoch andere, wichtigere Faktoren.

Heute ist es endlich so weit: Die deutschen Fußballer starten in die Olympischen Spiele. Für das Team von Erfolgstrainer Stefan Kuntz steht direkt ein Kracher an: In Yokohama trifft es auf Brasilien (ab 13.30 im Liveticker von t-online) – die Neuauflage des letzten olympischen Endspiels.

2016 verloren die Deutschen denkbar knapp im Elfmeterschießen mit 4:5. Was für eine Dramatik! Ich war in Rio im Marcanã-Stadion dabei und muss sagen: In diesem Spiel war wirklich alles drin. Zwei Jahre nach der 1:7-Schmach im WM-Halbfinale erwartete ganz Brasilien von Neymar und Co. Gold – was am Ende äußerst knapp gelang.

So einen Thriller erwarte ich diesmal nicht. Denn: Gerade ein Auftaktspiel will man erst einmal nicht verlieren. Mit einem Unentschieden wären beide Teams sicherlich zufrieden – zumal die Gegner danach Elfenbeinküste und Saudi-Arabien heißen. Weder Brasilien noch Deutschland werden da sofort "All in" gehen. Ich persönlich erwarte nicht unbedingt ein Fußballfest.

2016 spielten im DFB-Team unter anderem Serge Gnabry, Niklas Süle, Matthias Ginter und Julian Brandt. Sie sind mittlerweile Bundesliga-Stars und Nationalspieler. Solch illustre Namen sucht man im heutigen Kader vergebens. Dennoch darf man die Truppe von Trainer Stefan Kuntz auf gar keinen Fall unterschätzen.

Lutz Pfannenstiel – Der gebürtige Bayer war als erster Profi in allen sechs Kontinentalverbänden aktiv. Von 2018 bis 2020 war er Sportvorstand in Düsseldorf. Zuvor war er "Head of International Relations" bei 1899 Hoffenheim, Fifa-Ausbilder, TV-Experte sowie WM- und EM-Kolumnist bei t-online.

Mit dem Stuttgarter Florian Müller ist ein guter Bundesliga-Torwart dabei, dazu kommen in der Abwehr Benjamin Henrichs (Leipzig) und im Mittelfeld Nadiem Amiri (Leverkusen) sowie Maxi Arnold (Wolfsburg). Doch der entscheidende Akteur spielt im Sturm: Union Berlins Max Kruse. Wenn bei Kruse der Olympia-Funke überspringt und er sich mental in dieses Turnier verbeißt, kann alles passieren. Zusammen mit Amiri wird er die tragende Rolle im Team spielen.

"Kuntz hat gezeigt, dass er einen Kader wie diesen zu Titeln führen kann"

Viele Beobachter sagen dennoch, dass das aktuelle Team deutlich schwächer ist als die 2016er-Generation. Das sehe ich nicht ganz so. In Rio waren sicher mehr Topspieler dabei. Aber Kuntz hat immer wieder gezeigt, dass er einen Kader wie diesen – ohne große Stars – zu Titeln führen kann. Er setzt auf mannschaftliche Geschlossenheit, der Teamgedanke steht im Vordergrund.

Das ist bei den Brasilianern etwas anders. Sie haben eine wahnsinnige Offensivpower und mit Richarlison einen absoluten Superstar. Weil er in England bei Mittelklasseklub Everton spielt, ist er vielen Fans in Deutschland noch kein Begriff. Aber glauben Sie mir: Er ist richtig gut – und vom Potenzial her der beste Spieler des Turniers.

Dazu kommt der 38-jährige Dani Alves, der mittlerweile nicht mehr beim FC Barcelona, sondern in der Heimat bei São Paulo spielt. Alves ist auf dem Platz der verlängerte Arm von Trainer André Jardine. Dieser gilt in Brasilien als Experte für die Arbeit mit jungen Spielern und ist ein Typ wie Hannes Wolf. Er war als Spieler nicht übermäßig erfolgreich, gehört aber mit 41 Jahren zur jungen, modernen Trainergeneration und ist dazu ein echter Taktikfuchs: sehr akribisch, immer auf dem neusten Stand – das komplette Gegenteil vom alten Haudegen und Weltmeister-Trainer Luiz Felipe Scolari.

Neben Richarlison hat Jardine mit Spielern wie Gabriel Martinelli (FC Arsenal) oder Herthas Matheus Cunha in der Offensive ein Überangebot an Topkräften. Deshalb ist der Marktwert des brasilianischen Kaders laut "Transfermarkt" mit über 360 Millionen Euro auch fast dreimal so hoch wie der der DFB-Auswahl. Da beschleicht einen schnell das Gefühl, dass Deutschland chancenlos ist. Aber das ist überhaupt nicht der Fall! Gerade in diesem Alter und bei so einem Turnier würde ich auf Marktwerte nämlich gar nichts geben.

"Die Nachwuchsarbeit in Brasilien hat nachgelassen"

Individuell sind die Brasilianer natürlich deutlich besser besetzt, aber als Mannschaft sind sie es nicht. Dies liegt auch daran, dass man in der Abwehr einige Schwachstellen hat. Denn insgesamt hat die Nachwuchsarbeit in Brasilien in den letzten Jahren nachgelassen. Das zeigt ein Blick in die Bundesliga: Früher wollte jeder Klub gefühlt zwei Brasilianer im Kader haben. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Natürlich finden sich trotzdem immer wieder Toptalente, die erste Liga ist aber bei Weitem nicht so gut wie die europäischen Topligen. Dennoch würde DFB-Coach Kuntz einige brasilianische Offensivspieler sicherlich mit Kusshand nehmen. Denn aufgrund zahlreicher Absagen umfasst sein Kader nur 18 statt der erlaubten 22 Mann. Das ist ohne Frage nicht der Kader, den Kuntz gerne dabeigehabt hätte.

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An Kuntz' Stelle wäre ich enttäuscht. Aber bei anderen großen Fußballnationen gibt es ähnliche Tendenzen. Das olympische Fußballturnier wird leider nicht so ernst genommen und das ist sehr schade. Am Ende ist es ganz einfach: Die Klubs entscheiden meist, ob sie ihre Spieler abstellen oder nicht. Sie sitzen oft am längeren Hebel. Der Vereinsfußball ist für die Spieler das tägliche Brot. Statt ihren Stammplatz dort aufs Spiel zu setzen, indem sie die Vorbereitung aufgrund der Olympia-Teilnahme verpassen, verzichten einige auf die Teilnahme. Da machen es die Spanier besser. Sie haben eine Abstellungspflicht. Da gibt es dann keine Streiterei. Das ist natürlich eine Grundsatzfrage, die man beim DFB nach dem Turnier klären sollte.

Dennoch sehe ich das DFB-Team gut aufgestellt. Doch Vorsicht: In der Vorrunde ist auch die Elfenbeinküste nicht zu unterschätzen – eine sehr gefährliche Mannschaft, die mit Franck Kessié (AC Mailand) einen echten Hochkaräter in ihren Reihen hat. Zudem sehe ich beim Olympia-Turnier gewisse Parallelen zu U17- oder U20-Weltmeisterschaften. Da sorgen afrikanische Mannschaften regelmäßig für Überraschungen und kommen ins Halbfinale oder noch weiter – so was würde ich der Elfenbeinküste bei Olympia auch zutrauen.

Zudem kenne ich ihren Trainer Soualiho Haidara relativ gut. Er hat bei mir vor einigen Jahren in Afrika einen Trainerlehrgang absolviert. Haidara ist ein Trainer mit einem sehr modernen Ansatz, der mit seinem Team für Furore sorgen kann.

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