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ESC 2022 in Kriegszeiten: Die Maxime vom unpolitischen ESC ist ein Märchen


Eurovision in Kriegszeiten
Darum ist die Maxime vom unpolitischen ESC ein Märchen

Von Nils Kögler

12.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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ESC: Der internationale Musikwettbewerb findet dieses Jahr zum 66. Mal statt.Vergrößern des Bildes
ESC: Der internationale Musikwettbewerb findet dieses Jahr zum 66. Mal statt. (Quelle: Jens Büttner/dpa-bilder)

Der Eurovision Song Contest hat eigentlich den Anspruch, unpolitisch zu sein. Praktisch gestaltet sich das jedoch überaus schwierig – und das nicht erst seit Ausbruch des Ukraine-Krieges.

Am Samstag ist es wieder so weit: Mit dem Eurovision Song Contest (ESC) geht der größte Musikwettbewerb Europas über die Bühne. Traditionell sind spektakuläre und skurrile Auftritte während der Show garantiert. Unter dem Motto "The Sound of Beauty" (zu Deutsch: der Klang der Schönheit) versprechen die Veranstalter eine heitere Show. Um eben dies fernab aller Kontroversen auf die Beine zu stellen, hat die Europäische Rundfunkunion (EBU) seit jeher eine Regel: Texte, Ansprachen und Gesten politischer Natur sind auf der ESC-Bühne verboten.

Das Verbot dürfte in diesem Jahr jedoch hart auf die Probe gestellt werden. Denn dem omnipräsenten Thema des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine kann sich auch der ESC nicht entziehen. Die Organisatoren schlossen bereits im Vorfeld Russland vom diesjährigen Wettbewerb aus. Die Ukraine wird vertreten sein. Nachdem sich die Band "Kalush Orchestra" bereits im ersten Halbfinale am Dienstag durchsetzte, ist der Weg auf die große Bühne am Samstag frei.

Zeichen gegen den Krieg?

Inwiefern "Kalush Orchestra" nun ein Zeichen gegen den Krieg setzen wird, ist noch unklar. Der Song "Stefania", mit dem die Band am Samstag antritt, ist jedenfalls bereits vor dem Krieg entstanden. Rapper Oleh Psjuk widmete das Lied seiner Mutter, wie er der Deutschen Presse-Agentur verriet. Dennoch: "Wir haben ein paar Kostüm-Anpassungen vorgenommen und unserem Auftritt ein paar Veränderungen hinzugefügt", ließ er bereits durchblicken. Allerdings verwies er ebenfalls auf die Regeln, die es beim ESC für den Auftritt und die Performance gebe. Auch so wird der Auftritt der Band jedoch vom Krieg betroffen sein: Eines der Band-Mitglieder wird nicht in Turin dabei sein können, denn der Musiker kämpft zurzeit im Krieg.

Es ist längst nicht das erste Mal, dass die Politik den ESC beeinflusst. Ein Blick in die politische Historie des Wettbewerbs.

Gerade Russland und die Ukraine spielten in der ESC-Vergangenheit immer wieder eine Rolle bei politischen Kontroversen. Zuletzt sorgten die Länder 2016 für Aufregung. Die Ukraine schickte damals die Künstlerin Jamala mit ihrem Song "1944" ins Rennen. Das Lied behandelte die Deportation der Krimtataren durch den sowjetischen Diktator Josef Stalin nach der Rückeroberung der Krim von der Deutschen Wehrmacht. Unter den nach Zentralasien Deportierten waren damals auch die Urgroßeltern der ukrainischen Künstlerin.

"1944" darf teilnehmen und gewinnt

Zwei Jahre nach der Annexion der Krim durch Russland wurde das Lied natürlich politisch interpretiert. Speziell aus Russland wurden Forderungen laut, das Stück nicht zum Wettbewerb zuzulassen. Doch der Ausrichter EBU urteilte: "Der Titel und der Text enthalten keine politische Botschaft, der Song steht nicht im Widerspruch zu den Regeln des Wettbewerbs."

Dabei hatte Jamala selbst die politische Bedeutung ihres Liedes nicht geleugnet. Noch am Vorabend des Wettbewerbs hatte sie erklärt: "Ich singe für die ganze Ukraine, für die Krim. Ich möchte, dass mein Leid ein Tropfen in dem Ozean wird und hilft, die Probleme der Ukraine und der Krimtataren zu lösen." Am Ende durfte Jamala nicht nur antreten, sondern gewann den Contest sogar.

Russland zieht sich zurück

Der Tradition des ESC entsprechend fand der Wettbewerb im darauffolgenden Jahr in der Ukraine statt. Auch dabei kam es zu einer Kontroverse zwischen den beiden Ländern. Die russische Teilnehmerin Julia Samoilowa hatte im Jahr 2015 einen Auftritt auf der Krim absolviert. Nachdem sich Russland 2014 die Halbinsel einverleibt hatte, verbot die ukrainische Regierung Reisen auf die Krim über russisches Gebiet.

Entsprechend dem Gesetz verhängte die Ukraine ein Einreiseverbot für die russische Sängerin. Ein Vorschlag der EBU, wonach die Russin ausnahmsweise per Videoschalte an dem Wettbewerb hätte teilnehmen dürfen, wurde jedoch sowohl von Russland als auch von der Ukraine abgelehnt. Russland zog seine Teilnahme daraufhin zurück und übertrug den Wettbewerb auch nicht im TV.

Krieg in Georgien

Ein weiterer Krieg, ein weiteres Mal Russland: Nachdem der russische Beitrag "Believe" von Dima Bilan 2008 den Wettbewerb gewonnen hatte, fand der ESC 2009 in Russland statt. Ebenfalls 2008 hatte Russland jedoch im Konflikt um die eigentlich zu Georgien gehörenden abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien Krieg gegen das Nachbarland geführt. Georgien wollte daraufhin den Song "We Don't Wanna Put In" in Anspielung auf den russischen Machthaber Wladimir Putin ins Rennen schicken. Die Band Stefane & 3G hatte eingeräumt, dass sich das Lied gegen den damaligen Ministerpräsidenten Russlands richte.

Russland rebellierte und bekam dieses Mal Recht. Die EBU forderte die Band auf, den Text zu ändern oder ein anderes Lied zu wählen. Georgien lehnte ab und zog seine Teilnahme schließlich zurück.

Die Balkankriege

Auch der Zerfall Jugoslawiens und die daraus resultierenden Balkankriege in den 1990er Jahren ließen den ESC nicht unberührt. Die EBU ging dabei vor allem gegen Serbien und seinen Präsidenten Slobodan Milošević vor. Die Rundfunkunion schloss die von Milošević gegründete Bundesrepublik Jugoslawien von 1993 bis 2003 von dem Wettbewerb aus.

Auch das Ende der Balkankriege wurde auf der ESC-Bühne zelebriert. Im Jahr 1999 sangen alle Teilnehmer mit dem Publikum in Gedenken an die Opfer des Krieges den israelischen Siegertitel von 1979, "Hallelujah".

Der Einfluss der arabischen Länder

Dabei hatte es in Israel 1979 ebenfalls eine politische Kontroverse gegeben: Die Türkei hatte für ihre Teilnahme eigentlich schon die Zusage erteilt. Doch das Land stand insbesondere wirtschaftlich auf wackeligen Füßen, und die Teilnahme an dem in Jerusalem stattfindenden Contest drohte die ohnehin nicht besonders guten Beziehungen zu den arabischen Nachbarstaaten noch weiter zu verschlechtern. Auf Drängen des türkischen Außenministers zogen die Verantwortlichen deshalb ihre Teilnahme mit Verweis auf "neue Entwicklungen in der arabischen Welt" wieder zurück.

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Die Ironie: Israel schaffte es, den Contest nochmals zu gewinnen und wäre im darauffolgenden Jahr eigentlich erneut Gastgeber gewesen. Das Land sah sich jedoch finanziell nicht dazu in der Lage, das Spektakel ein weiteres Mal auf die Beine zu stellen. Alternativ fand der Wettbewerb 1980 in Den Haag in den Niederlanden statt und die Türkei kehrte in das Teilnehmerfeld zurück – mit einem Loblied auf das Erdöl.

Türkei vs. Griechenland

Erstmals am Eurovision Song Contest teilgenommen hatte die Türkei im Jahr 1975. Auch diese Teilnahme ging mit einer Kontroverse einher. Im Jahr zuvor war es im Inselstaat Zypern zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Türken gekommen. Die türkische Teilnahme am ESC führte deshalb zum Rückzug Griechenlands aus dem Wettbewerb.

Die Türkei durfte antreten, belegte jedoch den letzten Platz und nahm im folgenden Jahr nicht wieder teil. Griechenland kehrte dafür in den Wettbewerb zurück. Das türkische Fernsehen übertrug den ESC 1976 zwar, unterbrach die Live-Übertragung jedoch während des griechischen Beitrags und spielte stattdessen ein türkisches Lied.

All diese Beispiele zeigen: Auch wenn der ESC unpolitisch sein will – er kann Kontroversen, insbesondere im Zusammenhang mit Kriegen, nicht entkommen. Zumal auch die Abstimmung über den Sieger seit jeher politisch aufgeladen ist: Dass sich Nachbarländer oder befreundete Staaten gerne gegenseitig die Höchstpunktzahl geben, ist ein bekanntes Phänomen. So wird auch die Ukraine in diesem Jahr allein aus Sympathiegründen als ein Topfavorit gehandelt. Das unterstreicht nochmals: Der ESC ist seit jeher ein (un)politischer Wettbewerb.

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