Doris Dörrie erzÀhlt vom Unterwegssein
ZĂŒrich (dpa) - Reisen ist fĂŒr Doris Dörrie mehr, als nur eine Strecke von A nach B zurĂŒckzulegen. Es ist immer auch ein Aufbruch voller Neugierde, ein wesentlicher Teil ihres Lebens, ein Erfahrungsschatz.
Vielleicht musste erst die Corona-Pandemie kommen, damit sie darĂŒber ein Buch schreiben konnte: "Die Heldin reist" erscheint jetzt bei Diogenes. Es ist sehr persönlich, sehr klug, sehr unterhaltsam. "Im Jahr 2019 bin ich in die USA, nach Japan und Marokko gereist. Niemals hĂ€tte ich mir vorstellen können, dass es fĂŒr lĂ€ngere Zeit die letzten Reisen gewesen sein sollten", schreibt die 66-JĂ€hrige. "Noch schien mein Leben ganz so zu sein wie in den Jahren zuvor: fast immer unterwegs, selten mehr als drei Monate zu Hause."
Reisen ist der Regisseurin ("MĂ€nner", "KirschblĂŒten - Hanami") und Autorin ("Und was wird aus mir?", "Alles inklusive") immer als Chance erschienen, ĂŒber den Tellerrand hinauszublicken, seit sie nach dem Abitur in Hannover nach San Francisco aufgebrochen ist, um in den USA zu studieren. "Die ganze Welt schien mir ein aufregender, aber prinzipiell freundlich zugewandter Ort zu sein, den ich nun zu durchwandern hatte, um zu lernen und zu wachsen."
Manchmal gibt es fĂŒr das Reisen ganz profane GrĂŒnde, ein Filmfestival etwa, aber das, was es fĂŒr Dörrie ausmacht, hat mit solchen AnlĂ€ssen nur am Rand zu tun. "Unterwegs zu sein war mein Idealzustand, unterwegs fĂŒhlte ich mich von mir selbst befreit, und gleichzeitig trĂ€umte ich unbeirrt weiter davon, in der Fremde eine andere, bessere Version meiner selbst zu werden."
Dörrie erzĂ€hlt von prĂ€genden Reiseerinnerungen, wie sie zum ersten Mal nach Japan kommt zum Beispiel, vor Aufregung nicht schlafen kann, wie ihr die weiĂen Handschuhe des Taxifahrers auffallen, die kurzbeinigen Tische und die Höflichkeit der Frauen an der Hotelrezeption. Die Autorin ist eine hervorragende Beobachterin - auch als Reisende. Japan ist ihr lĂ€ngst vertraut geworden - ihre beiden "KirschblĂŒten"-Filme gĂ€be es sonst nicht. Und auch in "Die Heldin reist" ist das immer wieder zu spĂŒren. "In keinem anderen Land fĂŒhle ich mich so aufgehoben und beschĂŒtzt wie hier."
Zu den eindrĂŒcklichsten Geschichten des Buches gehört aber ausgerechnet die ĂŒber Tatsu, eine befreundete Japanerin, die an der Musikhochschule in Hannover studiert hat, eine quĂ€lende, schmerzhafte AffĂ€re mit einem Gesangslehrer inklusive. Es ist die umgekehrte Perspektive: die einer Japanerin auf ein fremd erscheinendes Deutschland, das so anders ist als erwartet und ihr gleichzeitig immer vertrauter wird.
Oft ist mit Reiseerfahrungen Anekdotisches verbunden, das spart Dörrie nicht aus. Dazu zĂ€hlt, dass sie mit ihren drei Schwestern als Kind eng gequetscht auf der RĂŒckbank des elterlichen Autos sitzend endlos erscheinende Fahrten nach Italien durchhalten musste, wĂ€hrend die Autoscheiben als Schutz vor der Sonne mit TĂŒchern verhĂ€ngt waren. Oder dass sie auf das Einreiseformular fĂŒr die USA unter Berufsbezeichnung stets "Hausfrau" schreibt, um die schlecht gelaunten Immigration Officers zu beruhigen.
"Die schlimmeren Geschichten sind meist die besseren", ist Doris Dörrie ĂŒberzeugt. Es sind auf jeden Fall die spannenderen. Und wie um das zu beweisen, erzĂ€hlt sie vom geplanten RĂŒckflug ab San Francisco, als ein Knall zu hören ist, vor den Fenstern ein gelber Schein zuckt, Feuer flackert, sie sich in Todesangst windet, ihr Zeitempfinden verliert, nur noch Panik empfindet, als die Maschine umkehren muss. Am Schluss landet sie dann doch und ist nicht abgestĂŒrzt - vielleicht sind die besten Geschichten die schlimmen, die gut ausgehen.
Doris Dörrie: Die Heldin reist. Diogenes Verlag, ZĂŒrich, 239 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-257-07184-9