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Protest gegen Krieg: Das sind die mutigen Russen, die Putin nervös machen


Protest gegen Krieg
Das sind die mutigen Russen, die Putin nervös machen


Aktualisiert am 17.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Bilder gehen um die Welt: Diese Aufnahmen zeigen, wie mutige Demonstranten in verschiedenen Städten Russlands offenbar willkürlich verhaftet werden – darunter sogar Putin-Unterstützer. (Quelle: t-online)

Der leiseste Widerspruch zu Putins Krieg gegen die Ukraine wird in Russland unterdrückt, Tausende Menschen wurden bisher festgenommen. Wer sind die mutigen Männer und Frauen?

Es sind eindrucksvolle Zahlen der russischen Menschenrechtsorganisation OVD-info: Mindestens 14.980 Menschen sind in Russland festgenommen worden, weil sie seit Beginn von Wladimir Putins Krieg in der Ukraine dagegen protestiert haben. Festnahmen gab es in mehr als 150 Städten, berichtet OVD-info.

Ein neuer Artikel 280.3 des Strafgesetzbuchs verbietet es inzwischen, gegen den Krieg zu sein, es sei "Diskreditierung der Armee". Und manchmal reicht es auch, Widerspruch zu nur anzudeuten, wie Festnahmen und Urteile zeigen. Es gibt täglich aus ganz Russland Berichte über Verurteilungen. Und Putin sagte gerade in einer Rede über Kritiker: "Das russische Volk wird diese Verräter einfach ausspucken wie eine Fliege, die versehentlich in seinen Mund geflogen ist."

Wer sind die Menschen, die sich in diesem KLima gegen den Krieg stellen, was tun sie und was erwartet sie? t-online stellt neun von ihnen vor.

Die erste Verurteilte

Als die 21-jährige Irina Shumilowa aus Iwanowo am 6. März um 1 Uhr nachts wieder frei war und sich meldete, war sie laut Menschenrechtsgruppe "Agora" die erste Russin, die nach dem neuen Gesetz verurteilt worden war. Eine Zahlung von 30.000 Rubel war ihre Strafe. Am 4. März hatte Putin das Zensur-Gesetz gegen "Diskreditierung der Streitkräfte der Russischen Föderation" durchgepeitscht. Shumilowa hatte ihr Plakat am 5. im Stadtzentrum gezeigt und abends auf dem Heimweg mit ihrer Mutter plötzlich angehalten und festgenommen.

In den Kommentaren auf ihrer Facebookseite schreibt danach jemand: "Ein durchschnittliches Monatsgehalt. Die Zahlung eines solchen Betrags zu verlangen, nur weil jemand mit einem Plakat da steht, ist echter Raub." Am 10. März stand die Polizei noch einmal bei der Aktivistin aus dem linken Spektrum: "Sie gab mir eine weitere Warnung, keine illegalen Proteste, Kundgebungen und Demonstrationen zu organisieren."

Noch einmal zu protestieren, wenn man schon einmal verurteilt wurde, ist keine Ordnungswidrigkeit mehr, sondern eine Straftat mit möglicher Gefängnisstrafe. Vielleicht auch deshalb sind Behörden und Gerichte so schnell dabei, Teilnehmer von Protesten abzuurteilen.

Die Promi-Frau im TV

Video | Geldstrafe wegen Protestschild: TV-Redakteurin in Russland verurteilt
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Quelle: reuters

Ihr Gesicht ist inzwischen weltbekannt: Marina Owsjannikowa (44) hielt in den russischen Hauptnachrichten beim staatlichen Sender Channel One ein Plakat mit Anti-Kriegsbotschaften in die Kameras. Tags darauf wurde sie nach zwölf Stunden Befragung an unbekanntem Aufenthaltsort zu 30.000 Rubel Geldstrafe verurteilt. Doch das ist nur für die Ordnungswidrigkeit, die "Diskreditierung der Streitkräfte". Zum Hauptvorwurf wird noch vorermittelt, wegen der "öffentlichen Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte". Drei derartige Verfahren laufen in Russland bisher.

Wenn ein Richter sie deshalb verurteilt und schwerwiegende Folgen durch ihr Handeln sieht, erwarten sie 10 bis 15 Jahre Haft. Aber auch wenn es keine "schwerwiegenden Folgen" hat, sie aber für das Gericht "aus Hass und Feindschaft" agiert hat, steht eine Geldstrafe von drei bis fünf Millionen Rubel im Raum, die mögliche Haftstrafe liegt bei fünf bis zehn Jahren. Sie steht in ihrer Heimat unter Putin vor einer völlig ungewissen Zukunft: "Ich bin jetzt der Feind Nummer eins hier", sagte sie dem "Spiegel".

Die Foodbloggerin

Veronika Belotserkovskaya ist jetzt "offiziell zum anständigen Menschen deklariert worden". Das schrieb "Belonika", wie sich die 51-Jährige auch nennt, am Donnerstag ihren 900.000 Abonnenten auf Instagram. Der Anlass dafür: Russische Ermittler suchen sie jetzt wegen ihrer Postings gegen den Krieg. Sie ist die erste namentlich bekannte Person, die sich wegen des drakonischen Gesetzes zur "wissentlichen Verbreitung von Falschmeldungen über die Aktionen der Streitkräfte" verantworten soll: Bis zu 15 Jahre Haft.

Die Foodbloggerin und Kochbuchautorin hat seit Ende Februar mehrfach klar Stellung bezogen – und schrieb am 28. Februar: "Ich bin heute zum ersten Mal mit dem Gefühl aufgewacht, dass ich wahrscheinlich nie wieder nach Hause gehen könnte." Sie ist aus St. Petersburg nach Frankreich gereist, wo sie ein Haus hat. Russland erwägt, sie international zur Verhaftung auszuschreiben – ein erfolgloses Unterfangen.

Belotserkovskaya hat Putin vorgeworfen, „einen aggressiven KRIEG gegen einen souveränen Staat“ zu führen. Für Waffen zur vermeintlichen "Rettung" der Russen aus der Ukraine gebe das Land täglich Milliarden Dollar aus – "damit hätte man in acht Jahren alle 'unsere Leute' friedlich retten und für jeden einen Palast bauen können". Der Beitrag bekam 560.000 Likes, inzwischen ist Instagram in der Ukraine aber gesperrt. Sie stammt aus Odessa, ist Halb-Ukrainerin, hat sich aber in der Vergangenheit als stolze Russin bezeichnet.

Die nimmermüde Oma

Video | Überlebende der Blockade von Leningrad festgenommen
Anti-war protest against Russian invasion of Ukraine, in Saint Petersburg
Quelle: Glomex

In russischen Medien wird sie manchmal als das "Gewissen von St. Petersburg" oder als "Großmutter des Widerstands" bezeichnet: Jelena Ossipowa, 77, gehört seit Jahren zum Straßenbild von St. Petersburg. Nachdem die Aktivistin und Künstlerin mit Plakaten und Gemälden schon früher für politische Gefangene, Meinungsfreiheit oder gegen Atomwaffen protestiert hat, geht sie jetzt gegen Putins Krieg auf die Straße. Dabei ist sie bislang mindestens dreimal festgenommen worden. Die gebrechliche Frau eingekreist von Polizisten mit Helmen – die Bilder gingen um die Welt.

Mal wurde sie in einen Gefangenentransporter verfrachtet, mal in einem Auto der Verkehrspolizei weggebracht. Über Urteile ist bisher nichts bekannt, auch OVD-info lieferte dazu auf Anfrage keine Informationen. In jedem Fall ist sie wieder mit Plakaten losgezogen: Zuletzt wurde sie am 13. März festgenommen.

Im Westen wurde ihre symbolische Bedeutung aber noch überhöht: Politiker und Medien nannten sie eine Überlebende der Leningrader Blockade der Wehrmacht. Damit hätte ihre Haltung gegen den Krieg in Russland noch ein ganz besonderes Gewicht. Als sie 1945 geboren wurde, war die Blockade aber schon ein Jahr beendet.

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Die Abgeordnete in Gelb-Blau

Helga Pirogowa bezog im Rat des sibirischen Nowosibirsk klar Stellung: Sie erschien in blauer Bluse und mit gelbem Blumenkranz auf dem Kopf – Solidarität durch die Nationalfarben der Ukraine. In dem Gremium führte das dazu, dass sie angebrüllt wurde, sie solle die Sitzung verlassen. Der Vorsitzende habe ihr zudem ihr Handy abnehmen wollen, schrieb sie. Bei Mitarbeitern der oppositionellen Abgeordneten gab es gerade erst Hausdurchsuchungen – unter dem mutmaßlichen Vorwand, sie hätten die Stadt bei ihrer Tätigkeit um Geld betrogen oder bestohlen. Von strafrechtlichen Ermittlungen gegen Pirogowa ist nichts bekannt. In der Ratssitzung wurden zugleich Masken mit "Z"-Aufdruck ausgegeben, ein Abgeordneter trug ein schwarzes Shirt mit riesigem Z.

Die Ex-Abgeordnete in Haft

Julia Galyamina übermittelt gerade Nachrichten aus dem Frauengefängnis Sacharowo. Dort sitzt die frühere Abgeordnete des Moskauer Stadtparlaments für 30 Tage ein. Was ihr vorgeworfen wird, traf sie schon vor der Verschärfung des Zensurgesetzes: Sie hatte mit einem Foto eines Kalenders und den Worten "Kein Krieg" zu Protest aufgerufen, "wiederholte Verstöße gegen die Regeln für die Abhaltung einer nicht genehmigten Kundgebung" werden ihr zur Last gelegt. Ihr Lebenspartner filmte, wie sie abgeholt wurde.

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Beim Prozess war es zum Eklat gekommen, weil die Richterin ihr das letzte Wort verbieten wollte und dafür auch Saaldiener rief: Galyamina hatte sich auch dort gegen den Krieg ausgesprochen. Aus dem Gefängnis schrieb sie, es würden ständig neue Mädchen dorthin gebracht, gerade erst sei eine weitere Abteilung eröffnet worden. "Die Frauen Russlands sind in diesen Zellen eingesperrt, eingesperrt wegen ihrer politischen Überzeugung." Die Frauen in den Zellen seien aber auch Russlands Hoffnung.

Der Künstler

Pawel ist 30, und mehr ist von ihm nicht bekannt – außer dass er hinter einem Kunstwerk im direkten Blickfeld eines Regierungsgebäudes in Jekaterinburg steckt. Seine Installation war in kürzester Zeit verschwunden, in russischen Medien findet man kein Foto, weil sie das Werk nicht zeigen dürfen. Es ist eine große Zigarettenschachtel mit Raketen darin und dem Warnhinweis: "Gesunder Menschenverstand. Militärische Sonderoperationen töten." 45.000 Rubel Strafe verhängte ein Bezirksgericht. Sein Anwalt geht dagegen vor: "Unterschiedliche Meinungen sind keine Diskreditierung der Streitkräfte. Das ist etwas unsinnig", zitiert e1.eu ihn.

Der Priester

Zehn Mitglieder seiner Gemeinde waren beim Gottesdienst von Johannes Burdin in der kleinen Kirche der Auferstehung Christi im Dorf Karabanowo – mindestens einer meldete sich bei der Polizei. Der Priester wurde angezeigt und stundenlang von der Polizei verhört. Örtliche Medien berichten, ihm werde laut Gerichtsprotokoll vorgeworfen, dass er "den Gemeindemitgliedern öffentlich Informationen über den Angriff der russischen Streitkräfte auf die Ukraine gab" und die Länder zum Frieden aufrief.


Burdin dazu zum "Kommersant": "Wenn ich nicht sagen darf, dass Blutvergießen nicht erlaubt sein sollte, dass es inakzeptabel ist, Brüder und Schwestern zu töten, worüber kann ich dann reden?" Er wurde zu 35.000 Rubel Strafe verurteilt, hat aber Berufung eingelegt.

Er sagt auch: "Natürlich wollte ich keinen Prozess, keine Geldstrafe oder all diesen Rummel. Aber vielleicht ist diese Geschichte eine Chance des Herrn, dass meine Worte nicht nur von meinen Gemeindemitgliedern gehört werden."

Der Mann mit den Sternchen

Ein DIN-A4-Blatt mit acht Sternchen hielt Mikhail Gusew am 12. März auf dem "Platz der Revolution" in Iwanowo 250 Kilometer nordwestlich von Moskau in Händen – es reichte zur Festnahme. Die Kombination "***" und "*****" kann leicht als "Нет войне" verstanden werden – "kein Krieg". In Nischni Nowgorod wurde ja sogar eine Frau vor laufender Kamera festgenommen, auf deren Zettel "Zwei Worte" stand.

Eine Entscheidung über Mikhail Gusews Fall steht noch aus. Ein regionales Nachrichtenportal kommentierte aber mutig: "Aus dem Ausland ist es sehr schwer vorstellbar und erst recht nicht zu verstehen, wozu Russland in nur wenigen Wochen geworden ist."

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