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Was Greta Thunberg und Billie Eilish mit Jesus gemeinsam haben


Billie Eilish und Greta Thunberg
Ihr Kinderlein, wuppt et!

MeinungEin Essay von Arno Raffeiner

Aktualisiert am 24.12.2019Lesedauer: 5 Min.
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Billie Eilish und Greta Thunberg: Der Popstar und die Klimaaktivistin wurden 2019 zu Erlöserfiguren.Vergrößern des Bildes
Billie Eilish und Greta Thunberg: Der Popstar und die Klimaaktivistin wurden 2019 zu Erlöserfiguren. (Quelle: Collage/T-Online-bilder)

Greta Thunberg und Popstars wie Billie Eilish

2019 war das Jahr des Mädchens mit Zöpfen. Es war das Jahr von Greta Thunberg. Als wäre noch eine offizielle Bestätigung dafür nötig gewesen, zierte die schwedische Klimaaktivistin vor Kurzem die wichtigste Ausgabe der einflussreichsten Zeitschrift der Welt. Thunberg wurde vom "Time Magazine" zur "Person of the Year" gekürt.

Auf der Titelseite sieht man sie auf einem Felsvorsprung über dem Ozean, von Gischt umschäumt, den Blick heroisch und ein bisschen trotzig in die Ferne gerichtet. O seht auf der Klippe das himmlische Kind, viel schöner und holder, als Engelein sind!

Greta und Jesus und "Ihr Kinderlein, kommet"? Das klingt im ersten Moment etwas verrückt. Thunberg ist längst ein Teenager, Anfang Januar 2020 wird sie 17 Jahre alt. Aber sie steckt noch im Körper einer Elfjährigen fest, in einem schlabbrigen Hoodie mit viel zu langen Ärmeln. Deswegen passt sie umso besser in das Bild, das viele sich von ihr machen wollen: die Erlöserin mit Kindergesicht.

Beschwerliche Pilgerfahrt nach New York

Die Vorkämpferin der "Fridays For Future" hat einiges mit Jesus gemeinsam. Er war mit zwölf im Tempel und diskutierte mit den Gelehrten über Gott und die Welt. Sie hielt mit 16 eine Rede beim Klimagipfel der UN. Dafür nahm sie eine beschwerliche Pilgerfahrt nach New York auf sich und zog von dort weiter nach Madrid. Ihre Wochen auf hoher See waren eine Zeit der Prüfung, so wie die von Jesus in der Wüste. Es ließen sich noch weitere Parallelen zur christlichen Heilsgeschichte finden. Natürlich, weil die Bibel mit Erzählungen arbeitet, die unsere Kultur geprägt haben und unseren Blick auf die Welt bestimmen.

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Aber es soll hier gar nicht um Religion gehen. Schließlich muss die Gretchenfrage nicht zuletzt wegen Thunberg neu gestellt werden: Wie halten Sie es mit dem Klima? Mit Ihrem CO2-Fußabdruck? Den Wochenendtrips? Dem plastikfreien Monat?

Wir schaffen das? Nein, ihr schafft das!

"Der Retter ist da!", singen an Heiligabend wieder Millionen Menschen im Weihnachts-Evergreen "Stille Nacht" vor der Bescherung unter dem Baum, während die große Bescherung draußen längst angerichtet ist. Deswegen wird alle Jahre wieder der Ruf nach den Kinderlein laut, die den Schlamassel ausbaden sollen, den der mehr oder minder erwachsene Rest der Menschheit angerichtet hat. Und siehe, die Kinder und Jugendlichen kamen wirklich! Zu Tausenden und Abertausenden marschierten sie auf die Straßen und forderten, dass die Leute am Drücker die Hebel endlich umlegen, für ihre Zukunft und die der gesamten Zivilisation. Rund 1,4 Millionen waren es beim globalen Klimastreik im September allein in deutschen Städten.

Wir schaffen das? Nein, ihr schafft das, ist die Devise. Greta Thunberg übernimmt in dieser Geschichte die Rolle des Heilands, ob sie nun will oder nicht. Sie ist nicht nur wegen der alarmierenden Lage auf dem Planeten in so kurzer Zeit zu einem omnipräsenten Phänomen geworden, von Teenagern bejubelt und von Machthabern verdammt. Sondern auch, weil sie so perfekt in die Erzählmuster passt, mit denen wir die Welt irgendwie verstehen wollen.

Weihnachten ist ein Mythos der Erneuerung, der Erlösung: Hier kommt das Wickelkind, das alles in Ordnung bringt, das Gesicht einer neuen Generation. Die Hoffnung, dass die kleinere Version von uns selbst das in Ordnung bringt, was wir verbockt haben, ist irgendwie beruhigend. Und ganz schön bequem. Thunberg steht dabei neben den vielen anderen Aktivistinnen des Klimastreiks auch deshalb so einsam im Rampenlicht, weil sie das Kindchenschema so gut bedient wie keine andere. "Ich bin nur eines von vielen Gesichtern", sagt sie und weiß, dass es nicht stimmt.

Was soll nur aus uns werden?

Ein zweites Kindergesicht gab es allerdings. 2019 war auch das Jahr von Billie Eilish. Die amerikanische Sängerin ist vor einigen Tagen 18 geworden und schaut immer noch wie 14 aus ihrer knallbunten Oversized-Wäsche. Sie ist sozusagen die Greta Thunberg des Pop: Der neue, blutjunge Star, der aus dem Nichts in den Himmel aufsteigt und alle wieder an die revolutionäre Kraft der Musik glauben lässt. 2019 erschien Eilishs erstes Album. Der Legende nach hat sie es gemeinsam mit ihrem Bruder im Schlafzimmer aufgenommen. Es wurde zu einem der erfolgreichsten des Jahres in den USA, war außerdem Nummer eins in Österreich, der Schweiz, in Großbritannien und 17 weiteren Ländern. Tenor: Endlich mal Teenie-Pop, den auch die Großen gut finden dürfen!

Den Titel des Albums, "When We All Fall Asleep, Where Do We Go?", kann man auch so übersetzen: Was soll nur aus uns werden, wenn alle das Wichtigste verpennen? Eilish macht sich für vegane Ernährung stark und seit einiger Zeit auch für den Klimastreik. Bei den American Music Awards spielte sie Ende November in einem T-Shirt mit dem Aufdruck "No Music on a Dead Planet". Wenn die Welt untergeht, nützen selbst Weihnachtslieder nichts mehr.

Gute Mädchen fahren zur Hölle

Einen Popstar wie Billie Eilish und ein Phänomen wie Greta Thunberg gibt es nicht alle Tage. Trotzdem kommen die Wellen, in denen sie auftauchen und in denen ihre Geschichten nach den gängigen Schemata frisiert werden, so regelmäßig wie das Christkind. Doch eines ist diese Weihnachten anders: Den "Kinderlein" ist ihre Rolle im Krippenspiel absolut bewusst. Thunberg und Eilish durchschauen sie und wollen nur so lange mitmachen, wie es den eigenen Zielen nützt.

Eilish weiß, dass ihre Jugend instrumentalisiert wird. Sie dreht den Spieß um und kontert die Erwartungen an sie als Engelein: "All The Good Girls Go To Hell." Der gleichnamige Song ist ihr Protestlied zur Klimakatastrophe. Darin steigen die holden Mädchen hinab in die Hölle, um sogar den Teufel für ihren Kampf zu gewinnen. Weil nämlich der Meeresspiegel so weit ansteigt, dass man das Paradies nicht mehr sehen kann.

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Dass etwas grundverkehrt läuft, wenn Kinder ihre Eltern an deren Verantwortung erinnern müssen, machte auch Thunberg bei den Vereinten Nationen in New York klar. "Ich sollte überhaupt nicht hier sein. Ich sollte am anderen Ende des Ozeans in der Schule sein", sagte sie mit bebender Stimme. "Ihr habt mir meine Träume gestohlen und meine Kindheit."

Was Thunberg und Eilish mit solchen Statements ausdrücken, haben ihre Mitstreiter und Fans längst verinnerlicht. Sie halten den Erwachsenen den Spiegel der eigenen Infantilisierung vor. Die kindischen Hoffnungen und die frommen Wünsche vom Erlösungsfest mit dem Christkind haben sie sich angeeignet und in wütende Parolen verwandelt: Merry Crisis and a Happy New Fear!

Über den Autor: Arno Raffeiner ist Kulturjournalist und lebt in Berlin. Er war bis 2018 Chefredakteur von "Spex – Magazin für Popkultur" und arbeitete zuvor für diverse Medien als Autor und Redakteur für Musik, Kino und Literatur. Er beschäftigt sich mit allen relevanten Themen quer durch den Kulturbereich und mit dem digitalen Alltag.

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