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Russlands Staatsnetz: Putin geht es nicht darum, das Internet abzuschalten


Abgeschirmtes "Runet"
Putin geht es nicht darum, das Internet abzuschalten

Von Laura Stresing

Aktualisiert am 01.11.2019Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin bei einer Videokonferenz: Der Präsident will die volle Kontrolle über das Internet in Russland.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin bei einer Videokonferenz: Der Präsident will die volle Kontrolle über das Internet in Russland. (Quelle: Alexei Nikolsky/Russian Presidential Press and Information Office/TASS/imago-images-bilder)

Die russische Regierung will das Internet unter Staatskontrolle bringen. Offiziell geht es dem Kreml um mehr nationale Sicherheit. Doch erst einmal sorgt das Gesetz für große Verunsicherung – auch im Ausland.

Seit Freitag gilt in Russland ein neues Gesetz, das die gesamte digitale Kommunikation unter die Kontrolle des Staates stellt. Sowohl die Technik als auch die Inhalte sollen von Regierungsstellen überwacht werden. Vordergründig geht es dabei um mehr Sicherheit und größere Unabhängigkeit vom Westen. Der Kreml verspricht unter anderem wirksamen Schutz vor Hackerangriffen aus dem Ausland. Kritiker vermuten hingegen, dass es der Putin-Regierung darum geht, die staatliche Zensur noch effektiver zu gestalten und politische Gegner auszuschalten.

Was bewirkt das neue Gesetz und was bedeutet es für den Rest der Welt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie will Russland die technische Kontrolle über ein globales Netz gewinnen?

Russlands Regierung will, dass das Land eine eigenständige technische Infrastruktur erhält. Ziel ist es offenbar, eine Art Netz im Netz zu erschaffen, das sich bei Bedarf – etwa bei einem globalen Black-out – eigenständig weiter betreiben lässt. Dabei gehe es jedoch nicht darum, das "Runet" vom Rest der Welt abzukoppeln, beschwichtigt der Kreml. Vielmehr wolle man die Abhängigkeit von westlichen Internetkonzernen reduzieren. Offenbar rechnet man in Moskau fest damit, dass sich die Beziehungen zu den USA verschlechtern und will sich für den Notfall rüsten.

Außerdem sieht das Gesetz vor, dass künftig der gesamte Datenverkehr in Russland über Knotenpunkte gelenkt werden soll, die von der staatlichen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor genehmigt und kontrolliert werden. Die Provider müssen eine neue Technik installieren, durch die der Datenverkehr geleitet und dabei analysiert wird. Das gibt dem Staat außerdem die Möglichkeit, die Inhalte zu überwachen und Verbotenes auszufiltern.

Die nötige Infrastruktur muss aber erst noch aufgebaut werden. Schätzungen zufolge könnte das Vorhaben eine halbe Milliarde Euro kosten.

Wie wird sich das Gesetz auf den Alltag der Russen auswirken?

Wie Russland das technisch umsetzen will, ist in großen Teilen noch unklar – ebenso wie die Auswirkungen. "Das Gesetz schafft vor allem eine große Verunsicherung, und zwar sowohl bei den normalen Bürgern als auch Journalisten und Unternehmen", sagt der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, der im engen Kontakt mit russischen Journalisten steht.

Dass die Regierung in Moskau ihre neuen Befugnisse missbrauchen könnte, um "das Internet nach Belieben abzuschalten", wie manche Kritiker fürchten, hält Mihr jedoch für nahezu ausgeschlossen. "Dafür ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Anders als in Nordkorea, wo es nie ein freies Internet gab, ist ein in sich geschlossenes Internet nur für Russen undenkbar."

Dennoch sieht Mihr in dem Gesetz einen Angriff auf die Meinungsfreiheit in Russland. "Es fügt sich ein in eine ganze Reihe von Gesetzen, die nach den Massenprotesten von 2012 auf den Weg gebracht wurden." Damals spielten die sozialen Medien und Internetblogs eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung der Regierungskritiker. "Seither wurden die Überwachung und Zensur schrittweise ausgeweitet."

Schon heute führt der russische Staat lange Listen mit Webseiten, die von den privaten Internetprovidern gesperrt werden müssen. Jedes Jahr kommen Zehntausende neue Einträge hinzu, darunter auch immer wieder Medienangebote und Seiten von politischen Organisationen. Auch das Karrierenetzwerk LinkedIn ist für russische Nutzer nicht auf normalem Wege abrufbar. Hintergrund ist ein Gesetz, nach dem die Daten russischer Bürger nicht auf ausländischen Servern gespeichert werden dürfen.

Was bedeutet das neue Gesetz für ausländische Firmen?

Neben den heimischen Providern bekommen vor allem die Internetkonzerne aus den USA den Druck der Putin-Regierung zu spüren. "Plattformen wie Facebook, Google und Twitter werden jetzt stärker an die Kandare genommen", sagt Mihr. Schon seit einer Weile lasse sich beobachten, wie die russische Regierung Einfluss auf die Plattformen ausübe und deren Umgang mit Inhalten dirigiere.

"In Deutschland und Westeuropa haben wir häufig einen sehr negativen Blick auf die sozialen Medien", erklärt der Aktivist. "In Russland hingegen gelten diese Plattformen in vielen Kreisen als die letzten Kommunikationsräume, die Freiheit ermöglichen." Jetzt gehe die Angst um, dass die Betreiber unter dem Druck der Regierung "einknicken" könnten, um in Russland weiterhin Geschäfte machen zu können.

Mit dem neuen Gesetz könnte es auch dem verschlüsselten Messengerdienst Telegram an den Kragen gehen. Bereits mehrfach hatte die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor versucht, die App unbrauchbar zu machen – bislang vergeblich. Denn die Behörde kann zwar die Server, die für Telegram genutzt werden, auf eine Schwarze Liste setzen und russische Provider anweisen, diese zu sperren. Dadurch werden häufig aber auch andere Onlinedienste in Mitleidenschaft gezogen, während Telegram seinen Datenverkehr einfach über Proxy-Server umleitet. Mit einer Infrastruktur in Staatshand hätten die Behörden andere technische Möglichkeiten, um missliebige Dienste auszuschalten.

Ist das freie Internet in Gefahr?

Die Sehnsucht nach einem souveränen Datennetz und mehr staatlicher Kontrolle im Internet gibt es nicht nur in Russland. Im Iran träumt die Regierung schon seit Jahren von einem "Halal-Internet", also einem Internet im Einklang mit den Regeln des Islam – bislang waren die Bemühungen wenig erfolgreich.

Selbst im liberalen Westen nehmen die Bestrebungen zu, das Internet und seine Inhalte strenger zu regulieren. Mit den Plänen für eine umfassende Vorratsdatenspeicherung ist Russland beispielsweise nicht alleine. In Deutschland sollte so eine Regelung ebenfalls eingeführt werden. Bisher existiert das Gesetz aber nur auf dem Papier, nachdem mehrere Gerichte die Vorratsdatenspeicherung als verfassungswidrig eingestuft hatten.

Auch für Russland hegen die Gegner des neuen Gesetzes noch Hoffnung. Chinesische Zustände seien jedenfalls nicht zu befürchten, meint ein Aktivist im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Es sei gut möglich, dass das Gesetz nicht so streng umgesetzt wird, wie es jetzt noch klingt. Am Ende könnten Hintertüren für die Provider offen bleiben.

Gerade Netzaktivisten finden erfahrungsgemäß immer Wege, um sich vor einem allzu übergriffigen Staat zu verstecken, zum Beispiel, indem sie ihre Kommunikation verschlüsseln oder Anonymisierungsdienste einsetzen. Aber: Die staatlichen Überwachungsmaßnahmen machen die Nutzung entsprechender Werkzeuge zunehmend schwierig und riskant, warnt Mihr.

Journalisten müssen noch vorsichtiger werden

Netzsperren etwa lassen sich leicht durch VPN-Dienste umgehen. Dafür braucht es jedoch Zusatzsoftware und technisches Know-how. Und: "Auch VPNs kann man verbieten wie in China oder genehmigungspflichtig machen wie in Russland", wendet Mihr ein. "Viele Journalisten und Auslandskorrespondenten in Russland müssen jetzt noch vorsichtiger sein und sich genau überlegen, wie sie recherchieren und wie sie mit Quellen umgehen, wenn sie diese nicht in Gefahr bringen wollen", sagt Mihr.


Am Ende entsteht so in Ländern wie Russland ein massives Ungleichgewicht zwischen dem Staat und seinen Bürgern: Während auf der einen Seite die Räume für einen ungestörten, öffentlichen Austausch schrumpfen, gönnt sich der Staat immer mächtigere Instrumente, um den Diskurs im Netz in seinem Sinne zu beeinflussen. Allein das kann man schon bedenklich finden, auch ohne dass Menschen massenhaft verhaftet werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der dpa
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