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Kommentar: Putins Internet-Überwachung – Ein Angriff auf unser aller Freiheit


Putins Internet-Überwachung
Ein Angriff auf unser aller Freiheit

  • Jan Mölleken
MeinungEin Kommentar von Jan Mölleken

01.11.2019Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Symbolische Darstellung des Internets: Putins Schritt, die Kontrolle über das russische Netz zu übernehmen, schadet uns allen.Vergrößern des Bildes
Symbolische Darstellung des Internets: Putins Schritt, die Kontrolle über das russische Netz zu übernehmen, schadet uns allen. (Quelle: CHROMORANGE/imago-images-bilder)

Nach China will auch Russland als zweite Großmacht einen Zaun um das heimische Internet ziehen. Dieser Angriff auf die Integrität des Netzes betrifft uns alle. Wenn wir nicht entschieden handeln, lassen sich die Risse nicht mehr kitten.

Russland verstärkt seine Kontrolle über das Internet. Wichtige Netzknotenpunkte sind künftig in staatlicher Hand, ein vom weltweiten Internet unabhängiges "Runet" soll entstehen. Das verschafft der Regierung absolute Kontrolle und ist ein schwerer Schlag für die Meinungsfreiheit in Russland und weltweit.

Der Zugang zum Internet ist heute keine bloße Option, er ist längst konstitutive Grundbedingung für das tägliche Funktionieren der Gesellschaft. Dabei geht es nicht nur um Katzenbildchen und Facebook-Posts, auch nicht um Amazon-Bestellungen, Netflix-Abende oder Verabredungen per Whatsapp.

Der stetige Kreislauf von Daten ist Lebenssaft wichtiger Schlüsselindustrien. Käme der Datenkreislauf auch nur einen Tag zum Erliegen, würden wesentliche Prozesse unserer entwickelten Welt zusammenbrechen: Die Finanzmärkte wären gelähmt, die weltweite Warensteuerung würde ausgesetzt und spätestens am nächsten Tag stünden Tausende Förderbänder still, könnten Regale in Supermärkten nicht aufgefüllt werden, käme die Wertschöpfungskette zum Erliegen.

Der freie Zugang zum Netz ist essenziell. Ohne das Internet und seine Werkzeuge wären vermutlich die meisten Fälle demokratischen Aufbegehrens in totalitären Regimes weder erfolgreich noch weltweit bekannt geworden.

Die große Euphorie ist längst vorbei

Doch die große Internet-Euphorie ist längst verflogen. Datenskandale, ausufernde Hassreden in sozialen Netzwerken und das wahrheitserodierende Fake-News-Dauerfeuer, nicht zuletzt aus dem höchsten Regierungsamt der USA, haben die Stimmung kippen lassen.

Die vielleicht herausragendsten Stärken des WWW sind seine Resilienz und seine weltumspannende Größe. In einem starken, weltweiten Netzwerk mit vielen Teilnehmern und Netzwerkknoten können auch größere regionale Ausfälle durch automatische Datenumleitung ausgeglichen werden. Wenn jedoch immer mehr dieser wichtigen Datenkreuzungen – zwei der meistfrequentierten befinden sich in Moskau und St. Petersburg – in staatliche Hand geraten, bedeutet das eine potenzielle Schwächung des gesamten Internets.

Die Zerstörung des Webs ist weit fortgeschritten

Auf anderer Ebene ist die Beschädigung des Internets bereits weit fortgeschritten, wenn man etwa auf zwei der bekanntesten Namen im Web schaut: Facebook und Google bestimmen in weiten Teilen, was Nutzer sehen und lesen, wenn sie sich ins Netz begeben. Mit über 2,7 Milliarden Nutzern ist Facebook für viele längst alternativlos. Welche Gefahren eine solche Dominanz birgt, war zuletzt etwa bei der Einflussnahme auf den US-Wahlkampf zu beobachten. Und Google ist seit Jahren der bestimmende Akteur unter den Suchmaschinen. Eine Website, die Google nicht kennt oder erst weit hinten in seiner Trefferliste platziert, ist quasi nicht existent.

Hier hört es längst nicht auf: Amazons Cloud-Dienst AWS und Microsofts Konkurrenzprodukt Azure vereinen zusammen rund die Hälfte des Cloud-Geschäfts, es gäbe etliche weitere Beispiele.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Das Netz ist zunehmend aufgeteilt, in den Händen weniger. Ein Grund dafür dürfte derselbe sein, der die Entstehung eines weltweiten Netzes überhaupt erst möglich gemacht hat: Es wurde zu Beginn vielfach nicht ernst genommen, erst recht nicht von Politikern und Regierungen.

Noch vor sechs Jahren sprach selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel noch vom "Neuland" Internet. Und zu einem Teil ist das ein großer Glücksfall. Wie sonst hätte ein weltumspannendes Netzwerk entstehen sollen, wenn schon in den Vereinten Nationen über deutlich unwichtigere Belange keine Einheit gefunden werden kann? Wie sonst hätten Staaten wie Ägypten oder Iran ein Netzwerk zugelassen, das unkontrollierbare, freie Rede ermöglicht?

China und Russland wollen Kontrollverlust nicht hinnehmen

So haben die Internetpioniere und Netzakteure das Netz gestaltet und damit begonnen, ihre Claims abzustecken. Mittlerweile ist auch der Politik klar, dass in vielen Bereichen Handlungsbedarf besteht: Leider scheitern die nationalstaatlichen Regulierungsansätze meist hoffnungslos am per se grenzenlosen Internet.

Autokraten wie Xi Jinping oder Wladimir Putin wollen das nicht hinnehmen. Sie ziehen deshalb Grenzen durch das Netz – und schaden dem Internet damit nachhaltig. Doch USA oder EU machen es kaum besser.

Mit dem Argument, es diene der inneren und äußeren Sicherheit des Staats, werden Sicherheit und Persönlichkeitsrechte der Internetnutzer zur Verfügungsmasse. Etwa wenn Datenknoten von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden angezapft und ausgelesen werden – oder bei den zahllosen Versuchen, Hersteller wie WhatsApp dazu zu zwingen, in die Nachrichtenverschlüsselung eine Hintertür einzubauen, damit Behörden mitlesen können.

Längst steht außer Frage: Das Internet als freies, überstaatliches Werkzeug für den Austausch von Wissen, Wirtschaftsgütern und Katzenbildern ist dabei, kaputtgemacht zu werden. Wir müssen handeln.

Wir müssen größer denken

Lösungen für diese Herausforderung müssen größer angelegt sein, als es nationalstaatliche Sichtweisen zulassen. Das Internet kann nur jenseits von Grenzen gedacht werden. Statt einer europäischen Cloud brauchen wir eine globale Vision – und unbedingt auch globale Regeln.

Der Zugang zum freien Internet sollte ein Menschenrecht sein. Und zwar eines, das international verteidigt wird. Zur Not mithilfe von Blauhelmen oder einer ähnlich angelegten Maßnahme. Im 20. Jahrhundert wurde eine Charta der Grundrechte erlassen – jetzt im 21. Jahrhundert brauchen wir eine Erweiterung zu globaler Kommunikation.


Putins Gesetz ist ein weiterer Schritt weg von der Idee eines freien, überall verfügbaren Netzes und betrifft in letzter Konsequenz auch jeden von uns. Und genau deshalb sind wir alle gefordert, das Internet zu erhalten und die bereits vorhandenen Risse zu kitten. Das gelingt sicher nicht von heute auf morgen. Ein Anfang wäre, Putins Schritt nicht schulterzuckend hinzunehmen, sondern als Angriff auf unser aller Freiheit zu verurteilen.

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