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"Die Raumstation ISS ist eine perfekte Mensch-Maschine"


Astronaut Alexander Gerst über Europas Raumfahrt
"Die Raumstation ISS ist eine perfekte Mensch-Maschine, mit 90 Prozent Robotik"

dpa, Anja Garms

15.01.2018Lesedauer: 5 Min.
Astronaut Alexander Gerst auf der ISS: 90 Prozent Robotik an BordVergrößern des BildesAstronaut Alexander Gerst auf der ISS: 90 Prozent Robotik an Bord (Quelle: NaSA/NASA TV/dpa-bilder)
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"Mehr Vielfalt" ist auch für Europas Raumfahrtagentur ESA ein großes Thema, nicht nur beim Frauenanteil. "Alte Vorurteile: weg damit", sagt ESA-Astronaut Alexander Gerst im Interview. Von Robotern als Kollegen hält er sehr viel – als Konkurrenz sieht er sie nicht.

"Big Toy for Big Boys" – ein großes Spielzeug für große Jungs sehen Kritiker in der Internationalen Raumstation (ISS). In Europa halten viele Menschen wenig davon, weiter Milliarden Euro jährlich in den Unterhalt der Station zu stecken. Im dpa-Interview betonen der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst und der Chef der Europäischen Weltraumagentur (ESA), Jan Wörner, die Bedeutung der ISS für die internationale Zusammenarbeit und der bemannten Raumfahrt allgemein.

Frage: Inwiefern unterscheiden sich die Ansichten einzelner Nationen zur Raumfahrt?

Jan Wörner: "Wir haben weltweit ganz unterschiedliche Ansichten über die bemannte Raumfahrt. Die Amerikaner sagen: "Pioneering" (Pionierarbeit). Das ist für sie Motiv genug. Das ist für uns in Europa nicht Motivation genug. Für uns ist wesentlich, dass sehr viel Wissenschaft gemacht wird. Bei den Chinesen wiederum ist der Grund, sich zu engagieren, das Prestige.

Im weltweiten Gefüge verändert sich derzeit viel, weil US-Präsident Donald Trump auf "America first" und die Durchsetzung nationaler Interessen pocht. Wie stark werden gemeinsame Raumfahrtprojekte wie die ISS beeinflusst?

Alexander Gerst: Die Kooperation auf der Arbeitsebene läuft weiter hervorragend. Die beteiligten Leute kennen sich seit Jahren, die sind durch dick und dünn gegangen mit dieser Kooperation. Die Stimmung ist so, dass man merkt, okay, da oben knistert's im Gebälk. Aber umso mehr versuchen wir jetzt hier zu zeigen, dass wir zusammenarbeiten können.

Jan Wörner: Ein großer Unterschied zur Raumfahrt von 1969 ist: Wir machen heute alles international. Die geopolitische Wirkung der Raumfahrt ist fantastisch. Ein Beispiel: Kurz vor Alex' Start 2014 hat die Krim-Krise angefangen. Und trotz Krim-Krise saßen dann diese drei zusammen, der Russe, der Amerikaner und der Europäer mit deutschem Pass, und haben sich in die Sojus-Kapsel gezwängt.

Was bedeutet Ihre Ernennung zum Kommandanten bei Ihrer zweiten Mission in diesem Zusammenhang?

Alexander Gerst: Es ist wirklich ein großes Kompliment, dass die beteiligten Raumfahrtnationen mir das Vertrauen schenken, diese Raumstation zu kommandieren. Das ist etwas, was früher so nicht möglich gewesen wäre, als die ESA angefangen hat, als Partner der großen Raumfahrtagenturen. Da waren wir ein Juniorpartner. Die Astronauten durften im Space Shuttle mitfliegen, aber bitte nicht so viel anfassen. Und jetzt sind wir wirklich ein Partner auf Augenhöhe.

Wenn wir das nicht wären, hätten wir auch nicht von der NASA das Vertrauen und den Auftrag bekommen, ein kritisches Teil des neuen "Orion"-Raumschiffes beizutragen. Die ESA baut das Service-Modul, das ist das Antriebsmodul. Wenn wir das vermasseln würden, würde das Raumschiff nicht fliegen. Dass die NASA uns dennoch beauftragt, zeigt, dass wir als ESA uns in den letzten Jahrzehnten einen enormen internationalen Respekt aufgebaut haben, dass wir als Partner wirklich gefragt sind.

Wo lässt sich noch nachbessern bei der ESA?

Jan Wörner: Bei der Vielfalt. Dabei geht es nicht nur um höhere Frauenquoten, sondern mehr Diversität insgesamt – auch bei Alter und geografischer Herkunft.

Alexander Gerst: Es ist entspannter, in gemischten Teams zu arbeiten. Das ist meine Erfahrung in allen Bereichen der Exploration, das war in der Antarktis so, das war auf Vulkanen so. Je mehr man den Querschnitt aus der Bevölkerung widerspiegelt, desto besser. Man profitiert auch sehr davon, ältere und jüngere dabeizuhaben, jeder bringt eine unterschiedliche Perspektive mit, gerade wenn man in einem Bereich ist, wo es oft um Problemlösung geht. Als Commander sammle ich für eine Entscheidung die Perspektiven meiner Crew ein und profitiere sehr davon, wenn es unterschiedliche Sichtweisen gibt.

Wir müssen jungen Mädels klarmachen: Mathe, Ingenieurwissenschaften, Astronautentechnik, das ist alles genauso für euch etwas wie für die Jungs. Alte Vorurteile: weg damit. Bei der Bewerbung zum ESA-Astronauten haben Frauen keinen Vorteil gehabt und keinen Nachteil. Aber das reicht noch nicht. Wir müssen die Inspiration weiterverbreiten, dann bewerben sich irgendwann auch mehr Frauen für den Job.

Jan Wörner: Wir haben Folgendes festgestellt: Wenn sie eine Ausschreibung haben für eine tolle Stelle, dann ist das Verhalten von Frauen und Männern sehr unterschiedlich. Männer gucken oben hin und da steht "Präsident" oder "Professor" oder "Abteilungsleiter", und dann springen sie nach unten und gucken, an wen muss ich meine Bewerbung schicken. Frauen lesen die Ausschreibung sehr gründlich durch und gucken: Erfülle ich auch jede Zeile? Das ist ein Effekt, der tut mir leid. Frauen sollten da auch genügend Selbstbewusstsein haben – oder die Männer sollten gründlicher lesen.

Einige Menschen sind überzeugt, dass wir dank immer klügerer Roboter ohnehin keine Astronautinnen und Astronauten mehr brauchen, sondern ganz auf die wesentlich billigere unbemannte Raumfahrt setzen können. Was meinen Sie?

Alexander Gerst: Robotik und astronautische Weltraumfahrt stehen nicht in Konkurrenz. Wenn Roboter ein Stück mehr können, heißt das nicht, dass die uns unsere Arbeit wegnehmen, sondern im Gegenteil: Wir sind froh, wir können ihnen mehr von unserer Arbeit abgeben und haben dann Kapazitäten frei, das zu tun, was für uns Menschen gut ist. Diese Synergie wird umso größer, je mehr einer von beiden Fortschritte macht.

Die Raumstation ISS ist eine Art perfekte Mensch-Maschine, dort haben wir 90 Prozent Robotik. Hunderte Versuche laufen zum Großteil ferngesteuert, wir brauchen aber die menschliche Flexibilität, die Intuition, um etwas weiterzubringen, wenn es hakt. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Menschen können nicht ohne Roboter Exploration betreiben und die Exploration ohne Menschen macht auch kein Sinn.

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Jan Wörner: Der Mensch wird es sich nicht nehmen lassen, den Fuß auf den Mars oder andere Himmelskörper zu setzen. Es ist einfach was anderes, wenn der Mensch selbst vor Ort ist. Wenn Alex berichtet von oben und Bilder schickt, dann sind Menschen begeistert und fasziniert – das wäre bei einem Bilder schickenden Roboter nicht so. Mich jedenfalls berührt ein Bild, das ich von einem Astronauten aus dem All kriege, deutlich mehr. Und wenn ich fasziniert, wenn ich inspiriert bin, dann ist der Weg nicht mehr weit, dass ich motiviert bin, selber was zu machen. Das muss nicht in der Raumfahrt sein, muss noch nicht mal im technischen Bereich sein. Dieser gesellschaftliche Wert, der wird immer unterschätzt.

Quelle:

- Nachrichtenagentur dpa

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