Risiko für Fehldiagnosen Nebenniereninsuffizienz bleibt oft lange unerkannt

Viele Menschen mit Nebenniereninsuffizienz erhalten jahrelang die falsche Behandlung. Lesen Sie, warum das gefährlich ist und welche Therapie nötig wäre.
Inhaltsverzeichnis
- Akut oder chronisch: Unterschied ist entscheidend
- Unklare Symptome und Unkenntnis erschweren die Diagnose
- Nicht nur ärztliches Wissen ist vonnöten
- Nebenniereninsuffizienz fachärztlich behandeln lassen
- Frühzeitiges Handeln kann drohende Nebennierenkrise abwenden
- Was tun bei Verdacht auf eine Nebennierenkrise?
- Gute Vorbereitung mindert das Risiko
Die kleinen, über den Nieren liegenden Nebennieren sind in Mark und Rinde unterteilt. Beide Bereiche bilden Hormone, die viele lebenswichtige Körperfunktionen beeinflussen. Erkranken die Nebennieren, kann ihre Hormonproduktion empfindlich gestört sein. Ein Beispiel hierfür ist die Unterfunktion der Nebennierenrinde, auch Nebennierenrindeninsuffizienz oder Nebenniereninsuffizienz genannt.
Mehr wissen
Die in der Nebennierenrinde gebildeten Hormone – sogenannte Kortikosteroide oder Kortikoide – zählen zu den Steroidhormonen. Diese umfassen drei Gruppen: die den Wasser- und Elektrolythaushalt und somit den Blutdruck steuernden Mineralokortikoide (wie Aldosteron), die zu den Stresshormonen zählenden Glukokortikoide (wie Kortisol) sowie männliche und weibliche Geschlechtshormone. Gesteuert wird die Herstellung der Kortikoide vom Gehirn aus.
Eine Nebenniereninsuffizienz kann eine Vielzahl unterschiedlicher Symptome verursachen. Grund ist die Bandbreite der Nebennierenrindenhormone und deren Wirkungen: So greift etwa das lebenswichtige Stresshormon Kortisol in den gesamten Stoffwechsel des Körpers ein und beeinflusst damit unter anderem den Blutzuckerspiegel, den Eiweiß- und Fettstoffwechsel sowie das Immunsystem.
Akut oder chronisch: Unterschied ist entscheidend
Meist verläuft eine Nebenniereninsuffizienz chronisch. Die Funktion der Nebennierenrinde nimmt dann langsam über Monate bis Jahre ab, wobei sich – oft erst spät – eher allgemeine und unklare Symptome wie niedriger Blutdruck, Müdigkeit, Schwäche, Schwindel, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen entwickeln. Daher bleibt die Erkrankung häufig lange unerkannt. Für die Betroffenen ist dies ein lebensbedrohliches Risiko.
Denn unter bestimmten Umständen kann sich eine Nebenniereninsuffizienz binnen weniger Tage akut verschlimmern. Mögliche Anzeichen einer solchen Nebennierenkrise (auch Addison-Krise genannt) sind ein massiv eingeschränktes Allgemeinbefinden mit Magen-Darm-Beschwerden, Herzrasen, Fieber, starkem Blutdruckabfall bis hin zum Schock durch vermehrten Flüssigkeitsverlust und/oder Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma.
Mehr wissen
Genau genommen ist eine Nebennierenkrise nur dann eine Addison-Krise, wenn die zugrunde liegende Nebenniereninsuffizienz primär – das heißt: durch eine geschädigte Nebennierenrinde – entstanden ist. Die primäre Form der Erkrankung heißt nämlich auch Morbus Addison. Meist werden aber alle Nebennierenkrisen als Addison-Krisen bezeichnet – selbst wenn die Ursachen für das Versagen der Nebennierenrinde woanders liegen.
Unklare Symptome und Unkenntnis erschweren die Diagnose
Jede Nebennierenkrise ist ein Notfall, der sofortige intensivmedizinische Hilfe erfordert, da sich der Zustand der Betroffenen rasch verschlechtern kann. Ohne (die richtige) Behandlung ist ein tödlicher Verlauf praktisch unausweichlich. Doch die Diagnose – und somit eine wirksame Therapie – verzögert sich mitunter erheblich. Das hat mehrere Gründe.
So können die Symptome einer Nebennierenkrise – wie die der chronischen Nebenniereninsuffizienz – ebenso gut auf andere Gesundheitsprobleme hinweisen. Zudem sind Nebennierenkrisen bezogen auf die Gesamtbevölkerung dermaßen selten, dass viele Ärztinnen und Ärzte das Krankheitsbild nicht kennen.
Diese Umstände sind mitverantwortlich dafür, dass selbst Menschen mit bereits diagnostizierter und fachärztlich behandelter Nebenniereninsuffizienz insgesamt eine verminderte Lebenserwartung haben. Denn auch sie können jederzeit eine Nebennierenkrise entwickeln, in der sachgerechte Hilfe bisweilen zu spät kommt.
Nicht nur ärztliches Wissen ist vonnöten
Dennoch können Menschen mit einer Nebenniereninsuffizienz ein normales und aktives Leben führen, wenn sie die richtige Behandlung erhalten. Wie gut dies gelingt und ob Komplikationen auftreten, hängt auch von ihrem eigenen Mitwirken (und gegebenenfalls dem ihrer Angehörigen) ab. Denn:
- Eine Nebenniereninsuffizienz erfordert eine lebenslange Behandlung, um die fehlenden Hormone zu ersetzen.
- Trotz dieser Dauerbehandlung können in bestimmten Situationen Nebennierenkrisen auftreten.
- Betroffene (und ihre Angehörigen) sollten daher idealerweise auf solche Situationen vorbereitet sein und wissen, was dann zu tun ist.
Nebenniereninsuffizienz fachärztlich behandeln lassen
Damit die Stoffwechselvorgänge im Körper trotz Nebenniereninsuffizienz möglichst ungestört ablaufen, ist in jedem Fall die dauerhafte Einnahme von Glukokortikoiden notwendig. Der gängigste Wirkstoff dieser Hormonersatztherapie ist Hydrokortison. Bei der primären Form der Erkrankung (Morbus Addison) erhalten die Betroffenen zusätzlich Mineralokortikoide – und Frauen nach individueller Abwägung eventuell auch das Geschlechtshormon Dehydroepiandrosteron (DHEA).
Weil eine falsche Dosierung der Hormone schwerwiegende Folgen haben kann, sollte die langfristige Behandlung immer durch spezialisierte Fachleute erfolgen. Darum ist bereits beim ersten Verdacht auf eine Nebenniereninsuffizienz eine Überweisung an eine Praxis oder Klinik für Endokrinologie ratsam, wo das medizinische Personal erfahren im Umgang mit der Erkrankung ist.
Dort sollte nach Festlegung der Hormonersatztherapie auch die weitere Betreuung stattfinden, um eine sichere und wirksame Therapie zu gewährleisten und die Dosis bei Bedarf anzupassen. Dazu sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen empfehlenswert – idealerweise in folgenden Abständen:
- anfangs engmaschig alle 2 bis 4 Wochen,
- dann alle 3 Monate und
- später alle 4 bis 6 Monate.
Mehr wissen
Die Endokrinologie ist die Lehre von den Hormone absondernden Drüsen und den Hormonen sowie deren Regelungs- und Wirkungsmechanismen. Sie befasst sich hauptsächlich mit der Diagnose und Behandlung von Krankheiten und Störungen, die durch ein Hormonungleichgewicht oder eine Hormonresistenz entstehen – wie etwa die Über- und Unterfunktion der Schilddrüse sowie Diabetes.
Frühzeitiges Handeln kann drohende Nebennierenkrise abwenden
Doch egal, wie gewissenhaft Betroffene die ihnen verschriebenen Medikamente einnehmen: In manchen Situationen reicht die Dauertherapie der Nebenniereninsuffizienz nicht aus, um den aktuellen Hormonbedarf des Körpers zu decken. Dann droht eine akute Unterversorgung mit dem Stresshormon Kortisol, die ohne rasche Gegenmaßnahmen zu einer Nebennierenkrise führen kann.
Die häufigste Ursache ist starker körperlicher oder emotionaler Stress, der den Bedarf an dem Stresshormon Kortisol plötzlich steigen lässt. Bekannte Auslöser von Nebennierenkrisen sind unter anderem ungewöhnlich anstrengende Aktivitäten, akute Erkrankungen, Fieber, (zahn-)medizinische Eingriffe, Unfälle und hohe psychische Belastung – etwa durch eine Prüfung, einen Trauerfall oder auch die eigene Hochzeit.
Bei bekannter Nebenniereninsuffizienz ist es daher in solchen Stresssituationen wichtig, die zur Dauertherapie festgelegte übliche Glukokortikoid-Tagesdosis frühzeitig zu erhöhen: So lässt sich eine Nebennierenkrise vermeiden.
Gut zu wissen
Für diese Stressdosis gilt: besser zu viel als zu wenig. Denn eine kurzfristig zu hohe Dosis ist im Notfall nicht schädlich.
Manchmal kann der Körper die über Tabletten eingenommenen Hormone nicht in ausreichender Menge aufnehmen – etwa bei Magen-Darm-Infekten, die mit anhaltendem Erbrechen und/oder Durchfall verbunden sind. In dem Fall muss Glukokortikoid in einen Muskel gespritzt (etwa per Selbstinjektion) oder per Infusion über eine Vene verabreicht werden, um einer Nebennierenkrise vorzubeugen.
Wichtiger Hinweis
Nach jeder Selbstinjektion unbedingt (not-)ärztliche Hilfe holen oder zügig ein Krankenhaus aufsuchen.
Was tun bei Verdacht auf eine Nebennierenkrise?
Für die ärztliche Behandlung gilt: bloß nicht zögern, sondern schon beim ersten Verdacht auf eine Nebennierenkrise sofort Glukokortikoide über eine Vene geben, da dies die entscheidende lebensrettende Maßnahme ist. Stellt sich später heraus, dass die Verdachtsdiagnose falsch und die Therapie somit unnötig war, hat dies für die Betroffenen keine negativen Auswirkungen.
Menschen mit diagnostizierter Nebenniereninsuffizienz sind häufig auf die Möglichkeit einer Nebennierenkrise vorbereitet und können sich im Notfall eine erste Dosis des lebensrettenden Arzneimittels selbst verabreichen (oder von einer anderen Person verabreichen lassen), bevor sie ärztliche Hilfe bekommen.
Doch ob vorbereitet oder nicht: Alle Betroffenen sollten bei möglichen Anzeichen einer Nebennierenkrise unverzüglich den Rettungsdienst rufen (über die Notrufnummer 112) oder sich rasch in eine nahegelegene Notaufnahme bringen lassen. Dabei ist es ratsam, Rettungskräfte und Klinikpersonal direkt über die vorliegende Nebenniereninsuffizienz beziehungsweise den Verdacht auf deren akute Verschlimmerung zu informieren.
Gute Vorbereitung mindert das Risiko
Wenn sich eine Nebenniereninsuffizienz zur Krise verschlimmert, bedeutet ein verzögerter Behandlungsbeginn ein potenziell tödliches Risiko. Sind Betroffene (und ihre Angehörigen) gut über die Erkrankung aufgeklärt sowie entsprechend für den Notfall ausgestattet und geschult, können sie aber erheblich dazu beitragen, dieses Risiko zu verringern.
Daher empfehlen Fachleute allen Menschen mit einer Nebenniereninsuffizienz, immer einen Notfallausweis mit sich zu führen, der auf ihre Erkrankung hinweist. Ein zusätzlich dazu getragenes Notfallarmband mit entsprechenden Informationen kann in Notfällen ebenfalls hilfreich sein, da Helfende es eventuell schneller entdecken.
Erhalten Sie Antworten aus Tausenden t-online-Artikeln.
Antworten können Fehler enthalten und sind nicht redaktionell geprüft. Bitte keine personenbezogenen Daten eingeben. Mehr Informationen. Bei Nutzung akzeptieren Sie unsere Datenschutzhinweise sowie unsere t-online-Assistent Nutzungsbedingungen.
Zudem sollten Betroffene für zu Hause und für unterwegs ein Notfallset aus mehreren Glukokortikoid-Präparaten zusammenstellen und stets bereithalten. Dieses Set enthält idealerweise Hydrokortison-Ampullen und Spritzen zur Selbstinjektion, Prednison-Zäpfchen für Situationen mit eingeschränkter Medikamentenaufnahme über den Mund (etwa wegen starker Übelkeit und Erbrechen) sowie einige Tabletten Hydrokortison.
Wer die Medikamente zur Dauertherapie regelmäßig einnimmt, alle Kontrolluntersuchungen wahrnimmt und weiß, wann die Notfallmedikamente wie anzuwenden sind, hat die besten Chancen, mit einer Nebenniereninsuffizienz selbstbestimmt und annähernd normal lange zu leben. Viele endokrinologische Praxen und Ambulanzen bieten spezielle Schulungen für Betroffene und ihre Angehörigen an, um sie dabei zu unterstützen.
- Online-Informationen des Pschyrembel: www.pschyrembel.de (Abrufdatum: 29.7.2025), kostenpflichtig
- "Nebennierenhormonmangel – Nebenniereninsuffizienz". Online-Informationen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V.: www.endokrinologie.net (Abrufdatum: 29.7.2025)
- "Addison-Krise". Online-Informationen von Deximed: deximed.de (Stand: 15.7.2025), kostenpflichtig
- "Nebennierenrindeninsuffizienz (Morbus Addison)". Online-Informationen von Deximed: deximed.de (Stand: 8.4.2025), kostenpflichtig
- "Nebennierenrindeninsuffizienz". Online-Informationen von AMBOSS: www.amboss.com (Stand: 26.3.2025), kostenpflichtig
- Elshimy, G., et al.: "Adrenal Crisis". StatPearls, Treasure Island (FL), StatPearls Publishing (15.1.2025)
- Huecker, M. R., et al.: "Adrenal Insufficiency". StatPearls, Treasure Island (FL), StatPearls Publishing (17.8.2023)
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.