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Corona-Krise: Droht ein neuer Medikamenten-Engpass?


Folgen der Corona-Pandemie
Droht ein neuer Medikamenten-Engpass?

Von Nicole Sagener

Aktualisiert am 25.07.2020Lesedauer: 4 Min.
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Medikamentenproduktion in China: Viele wichtige Wirkstoffe werden in Asien hergestellt.Vergrößern des Bildes
Medikamentenproduktion in China: Viele wichtige Wirkstoffe werden in Asien hergestellt. (Quelle: Stringer/Reuters-bilder)

Viele wichtige Wirkstoffe und Medikamente werden inzwischen in China und Indien produziert. Doch die Corona-Krise zeigt: Die Abhängigkeit von günstigen Herstellern in Asien hat ihren Preis. Wie sähe es bei einer zweiten Welle aus?

Knapp, knapper, gefährlicher Mangel: Engpässe bei Medikamenten sind in Deutschland zwar nicht neu. Die Corona-Krise hat das Problem aber noch deutlich verschärft. Ein Grund: Viele wichtige Wirkstoffe werden aus Kostengründen inzwischen vorrangig in China und Indien produziert – etwa Wirkstoffe für Antibiotika, Medikamente gegen Krebs oder Bluthochdruck oder Schmerzmittel wie Paracetamol.

Diese Abhängigkeit von Asien schürte zu Beginn der Corona-Krise Ängste vor folgenreichen Versorgungsengpässen. Als Indien Anfang März für einige Wochen ein Exportverbot für 26 Medikamente und Wirkstoffe verhängte, um deren Verfügbarkeit auf dem heimischen Markt zu gewährleisten, wuchs die Nervosität.

Wann spricht man von einem Lieferengpass?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) definiert einen Lieferengpass als "eine über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann". Das BfArM informiert in einer Übersicht über alle aktuellen Lieferengpässe für Humanarzneimittel (ohne Impfstoffe) in Deutschland. Gemeldet werden diese durch die Pharmaunternehmen.

Schwieriger Transport von Asien nach Europa

"Eine große Herausforderung für die Arzneimittelversorgung in Deutschland in der Anfangsphase der Pandemie war die Frage, wie man die in Asien hergestellten Wirkstoffe zum Hafen oder Flughafen bekommt", erklärt Andrea Schmitz vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) im Gespräch mit t-online.de.

Vor der Corona-Pandemie habe man zum Transport auch mal Passagierflugzeuge nutzen können, wenn andere Transportmittel ausgefallen waren. Nun musste über den Wasserweg transportiert oder ein Flugzeug extra gechartert werden. "Dabei war auch häufig unsicher, ob für den Transport genug Personal da ist", so Schmitz.

Trotzdem meint die die Justiziarin und Leiterin der Rechtsabteilung des BAH: "Was Lieferengpässe betrifft, sind wir bisher in der Corona-Krise glimpflich davongekommen."

Hamsterkäufe auch bei Arzneimitteln

Dass dennoch manche Medikamente in Deutschland zeitweise nicht verfügbar waren, habe mehrere Gründe, erklärt Reiner Kern, Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), t-online.de: "Zum einen waren die Patienten zu Beginn der Corona-Pandemie stark verunsichert und bevorrateten sich. Chronisch Kranke ließen sich vom Arzt größere oder mehr Packungen auf einmal verschreiben, andere rüsteten die Hausapotheke mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten auf."

Hinzu kamen Fake News. Eine Falschmeldung etwa warnte, dass Ibuprofen den Verlauf einer Corona-Infektion angeblich verschlimmere. "Daraufhin wurde die Schmerzmittel-Alternative Paracetamol viel stärker nachgefragt, sodass Lieferengpässe entstanden", so Kern. Zwar lockerte Gesundheitsminister Jens Spahn im April verschiedene Regeln, sodass Apotheken auch ohne Rücksprache mit dem Arzt leichter bestimmte Wirkstoffe gegen andere austauschen konnten.

Liefer-Engpässe wuchsen schon vor Corona-Pandemie

Das Grundproblem aber bleibt. Denn die Tendenz zur Medikamentenknappheit sei schon seit Jahren zu beobachten, meint Reiner Kern. "Die Apotheken sind täglich mit Lieferengpässen konfrontiert." Im Jahr 2017 hätten für vier bis fünf Millionen Arzneipackungen in Deutschland Lieferengpässe bestanden, 2019 schon für 18 Millionen. Zudem werden bestimmte Wirkstoffe und Rohstoffe für Arzneimittel für den europäischen Markt nur noch von wenigen Produzenten zugeliefert.

Damit stellen sich zwei Fragen: Wie wäre es um die Versorgung bestellt, sollten erneut steigende Infektionszahlen in China oder Indien zu Produktions- und Transportunterbrechungen führen? Und wären genug wichtige Arzneimittel in Deutschland und Europa vorhanden, wenn der Bedarf infolge einer zweiten Welle hochschnellt?

EU will mehr Unabhängigkeit von Produzenten in Asien

Das Gesundheitsministerium hat sich zwar vorbereitet und eine Liste von Wirkstoffen erstellt, die in Kliniken bevorratet werden müssen. "Ob das bei einer zweiten Welle tatsächlich reicht, ist aber unklar", meint Andrea Schmitz vom BAH.

Auch die EU-Gesundheitspolitiker sind sich darum inzwischen einig: die Produktion in Europa soll wieder auf- und ausgebaut werden. Bis Ende dieses Jahres wolle sie eine EU-weite Pharma-Strategie vorlegen, versprach Mitte Juni die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. So soll explizit auch die Abhängigkeit der EU von Einfuhren aus Drittländern verringert werden.

Die Mitglieder der ABDA fordern das schon seit längerem. "Auf EU-Ebene wären auch die Sozial-, Arbeitsschutz- und Umweltstandards besser kontrollierbar", meint ABDA-Sprecher Kern. Aber: "Es wären auch finanzielle Anreize nötig, denn die Produktion in Europa wäre teurer."

Ringen um Kosten: "Sicherheit vor ökonomischer Effizienz?

Von welcher Seite diese Anreize kämen und wie sie verteilt würden, ist noch offen. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller ist verhalten, wenn es um das Thema geht. Wichtiger als die Eröffnung neuer Produktionsstätten in Europa betrachte der Verband, dass die noch in Europa ansässige Produktion nicht noch weiter abwandert, sagt BAH-Justiziarin Schmitz. Zudem wäre auch bei der Rückholung der Produktion in einer Krise nicht automatisch die Versorgung in allen EU-Ländern hundertprozentig gesichert.

Ein Schritt hin zu mehr Produktion in Europa dürfte also noch viele Debatten bedeuten und an eine schnelle Umsetzbarkeit glaubt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht. "Der Aufbau von Produktionen wird sicherlich eher Monate und Jahre brauchen", sagte er Anfang März in Brüssel. Es könnte sein, dass etwa für Generika auch mehr bezahlt werden müsste, aber "die Sicherheit geht hier vor ökonomischer Effizienz". Zurzeit prüft die Bundesregierung erst einmal, welche Wirkstoffe überhaupt wieder in Europa hergestellt werden sollten.

Sollte es absehbar durch das Coronavirus erneut zu starken Engpässen kommen, bleibt laut ABDA-Sprecher Kern nur, dass "Apotheker die Abgabe von Mitteln auch mal kontingentieren". Gebe es bei verschreibungspflichtigen Wirkstoffen ernste Engpässe, sollten außerdem die Ärzte ihre Verordnungspraxis anpassen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Statistisches Bundesamt
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