Wird es im Herbst einen neuen Lockdown geben?
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Experten kritisieren die Zulassung des weltweit ersten Impfstoffs in Russland. Doch wann kΓΆnnte es auch in Deutschland so weit sein? Und was droht uns, wenn die Zahlen bis dahin weiter steigen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Warum steigen die Corona-Zahlen jetzt schneller?
Die Zahl der tΓ€glich gemeldeten Neuinfektionen in Deutschland ist so hoch wie seit Anfang Mai nicht mehr. Zuletzt gab es β von den Wochenenden abgesehen β zumeist mehr als 1.000 Neuinfektionen pro Tag. Der Anstieg ist nicht mehr nur auf einzelne sogenannte Hotspots zurΓΌckzufΓΌhren (wie den Massenausbruch in der TΓΆnnies-Fleischfabrik), sondern auch darauf, dass in vielen Landkreisen die Neuinfektionen zunehmen. Zwar seien die Zahlen oft nur leicht gestiegen, so das Robert Koch-Institut (RKI), aber "ΓΌber alle Kreise hinweg summiert sich dieser Effekt".
Der Anstieg der Zahlen auf breiter Front dΓΌrfte nach Meinung von Experten auch damit zu tun haben, dass inzwischen alle BundeslΓ€nder Sommerferien haben oder bereits die Schule wieder begonnen hat. Deshalb gibt es viele ReiserΓΌckkehrer, die sich wΓ€hrend des Urlaubs im Ausland infiziert haben. Zuletzt fΓΌhrte das RKI fast jede dritte Neuinfektion darauf zurΓΌck.
Es wΓ€re aber zu einfach, den Grund allein im Ausland zu suchen. Auch in Deutschland lΓ€sst sich ΓΌberall beobachten, dass es viele Menschen mit den Corona-Regeln nicht mehr allzu Ernst nehmen. RKI-PrΓ€sident Lothar Wieler appellierte bereits Ende Juli, Abstand zu wahren, soziale Kontakte zu minimieren und Atemmasken zu tragen β auch im Freien. "Wir haben es zum GroΓteil selber in der Hand, wie sich die Pandemie in Deutschland entwickelt", sagte er.
Droht im Herbst ein erneuter Lockdown?
Die Politik will generelle BeschrΓ€nkungen fΓΌr ganz Deutschland mΓΆglichst vermeiden. Γkonomen warnen vor einem erneuten Lockdown, weil dieser wohl noch schlimmere wirtschaftliche und soziale Folgen hΓ€tte als der erste. Viele GeschΓ€fte und Restaurants etwa wΓΌrden eine erneute wochenlange SchlieΓung wohl kaum verkraften.
Die Strategie besteht deshalb darin, aufflammende Infektionsherde und groΓe AusbrΓΌche mit regionalen Lockdowns zu bekΓ€mpfen. Beim TΓΆnnies-Ausbruch zum Beispiel wurden die BeschrΓ€nkungen nur fΓΌr den Kreis GΓΌtersloh wiedereingefΓΌhrt. Denkbar sind auch MaΓnahmen, die nur fΓΌr einen Ort oder ein Unternehmen gelten.
Das Problem dieses Ansatzes: Eine flΓ€chendeckende Verbreitung des Virus lΓ€sst sich so nicht verhindern. Und es ist offen, wie lange die GesundheitsΓ€mter alle Kontakte von Infizierten nachverfolgen kΓΆnnen. Wohl auch deshalb nehmen die Sorgen in der Politik zu β und mit ihnen die Warnungen. Etwa, wenn Gesundheitsminister Jens Spahn wie RKI-Chef Wieler die BevΓΆlkerung auffordert, die Hygienregeln einzuhalten.
Ob Appelle reichen, ist allerdings fraglich. Zumal, wenn man in andere LΓ€nder wie Spanien blickt, die zunΓ€chst Γ€hnlich erfolgreich in der Corona-EindΓ€mmung wie Deutschland waren, nun aber mit stark steigenden Zahlen zu kΓ€mpfen haben.
Wann gibt es auch in Deutschland einen Impfstoff?
Russland hat als erstes Land der Welt einen Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen. Das verkΓΌndete PrΓ€sident Wladimir Putin am 11. August. Auch in Westeuropa gibt es Dutzende Impfstoffkandidaten, doch die mΓΌssen sich erst umfangreich beweisen. Das Zulassungsverfahren in der EU ist deutlich strenger als in Russland.
Der Impfstoff muss seine Wirksamkeit, VertrΓ€glichkeit und ZuverlΓ€ssigkeit in mehreren Testphasen beweisen. In der Vergangenheit dauerte dies mehrere Jahre. WΓ€hrend der Corona-Pandemie kann der Prozess zwar deutlich beschleunigt werden, doch die Hersteller mΓΌssen sich weiter an klare Vorgaben halten: In der letzten Testphase vor der Zulassung β der sogenannten Phase III β wird der Impfstoff an mehreren Tausend Probanden erprobt. Das in Russland zugelassene Produkt wurde offenbar erst an wenigen Probanden getestet. Deshalb sind viele Experten skeptisch und sehen zum Teil sogar eine Gefahr fΓΌr die russische BevΓΆlkerung.
Dennoch kΓΆnnte es auch in Deutschland schneller zur Zulassung eines Impfstoffs kommen, als noch zu Anfang der Pandemie gedacht. Der PrΓ€sident des Paul-Ehrlich-Instituts, das fΓΌr die Zulassung zustΓ€ndig ist, zeigte sich zuletzt optimistisch. "Ich gehe derzeit davon aus, dass es Ende 2020 und Anfang nΓ€chsten Jahres Zulassungen geben wird", sagte Klaus Cichutek dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er fΓΌgte allerdings einen entscheidenden Halbsatz hinzu: "Vorausgesetzt, die Phase-III-PrΓΌfungsdaten sind positiv." Viele Impfstoffe scheitern schlieΓlich erst in der letzten Phase. Wie weit die einzelnen Impfstoffprojekte vorangeschritten sind, erfahren Sie hier.
- Robert Koch-Institut: Lagebericht vom 11. August
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche