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Sommerurlaub: Früher der Höhepunkt des Jahres – und jetzt? | Klima-Kolumne


Sommerurlaub als Jahres-Höhepunkt
Ich habe Angst

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 28.06.2024Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
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Menschen in Berlin in einem Regenguss (Archivbild): Der Sommerurlaub wird wegen der Klimakrise immer ungenießbarer. (Quelle: IMAGO)

Sommerurlaub ist für viele der Höhepunkt im Jahr. Seit sich unsere Kolumnistin intensiver mit der Klimakrise beschäftigt, kann sie ihn nicht mehr genießen.

2018, im Urlaub auf Sizilien. Auf dem Weg zu einer höher gelegenen Unterkunft werden wir im Auto von Starkregen überrascht. Wassermassen peitschen gegen die Scheiben und strömen die Straße hinunter, die kaum noch zu erkennen ist. Anhalten? Ist keine Option. Wir fürchten, sonst den Berg hinuntergespült zu werden. Wie verhält man sich richtig bei Starkregen? Wissen wir nicht. Am nächsten Tag lesen wir in den italienischen Nachrichten, dass in der Nähe von Neapel beim gleichen Unwetter Menschen gestorben sind.

Es ist etwa zu der Zeit, als mir dämmert: Die Klimakrise ist akuter, als ich bislang dachte. Ob der Starkregen etwas mit der Erderhitzung zu tun haben könnte, darüber denke ich damals trotzdem noch nicht nach. Die Klimakrise, sie betrifft andere Menschen, glaube ich. Menschen im globalen Süden und in der Zukunft meine Enkelkinder.

Im Juli 2019 reise ich mit dem Zug nach Slowenien. Ich will wegen der Klimakrise nicht mehr fliegen, der Flug nach Sizilien im Jahr zuvor war meine letzte private Flugreise. Wir gehen vor allem wandern, aber für ein paar Tage mieten wir uns ein Auto und fahren über die Grenze nach Kroatien ans Meer. Als wir bei unserer Ferienwohnung ankommen, ist es so heiß, dass ich es nicht außerhalb des klimatisierten Autos aushalte.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
In ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. 2022 wurde sie vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt. Hier geht es zum Autorinnen-Profil.

Als ich versuche, auszusteigen, lässt mich mein Kreislauf im Stich. Ich muss mich wieder setzen und die Tür schließen. In den kommenden Tagen fühle ich mich schwach und bin angespannt. Ich habe Angst, die Hitze nicht zu verkraften, denke, ich bin einfach nicht fit genug. Erst zu Hause lese ich in den Nachrichten, dass in diesen Tagen eine Hitzewelle in der Region herrschte. Damals weiß ich noch nicht, dass Hitzewellen durch die Erderhitzung stärker und wahrscheinlicher geworden sind.

Heute ist mir klar: Ich habe selbst schon viele klimabedingte Extremwetter erlebt, ohne dass mir das in dem Moment immer bewusst war. Die meisten davon im Urlaub.

Die Extremwetter verunsichern mich

Seit ich mich intensiver mit der Klimakrise beschäftige, sind mir die Zusammenhänge bewusster. Meldungen über Extremwetter in der ganzen Welt rauschen nicht mehr einfach an mir vorbei, sie treffen und verunsichern mich. Der Sommerurlaub war für mich lange der Höhepunkt jedes Jahres. Mittlerweile meide ich es, im Hochsommer zu verreisen. Ich habe Angst vor Hitzewellen, Bränden und Starkregen, die sich im Sommer häufen. Am liebsten fahre ich im Frühjahr weg, vor allem, wenn es in den Süden gehen soll. Dann ist auch die Chance höher, dass die Umgebung noch grün ist und nicht verbrannt oder vertrocknet.

Im Frühjahr 2018 bin ich noch, ohne mir größere Gedanken zu machen, mitten in der sogenannten Jahrhundertdürre nach Südafrika geflogen. Kapstadt drohte damals, das Wasser auszugehen. Um das abzuwenden, wurden die Mengen der Wassernutzung rigide beschränkt. Die Dürre veränderte das Leben der Einwohnerinnen und Einwohner drastisch. Wir Touristinnen spürten die Wasserknappheit vor allem daran, dass wir aufgefordert wurden, so kurz wie möglich zu duschen und die Klospülung nicht jedes Mal zu betätigen. Ich hatte schon damals ab und an ein mulmiges Gefühl, aber wirklich ernst nahm ich die Krise nicht. Es sei eine Ausnahme, ein Extrem, das nur alle 100 Jahre auftritt und wieder enden wird, sagte ich mir. Der Gedanke, wie sich die Situation mit der zunehmenden Erderhitzung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln würde, erschien mir abstrakt und weit weg.

Video | Extremwetter legt Flughafen auf Mallorca lahm
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Quelle: t-online

Heute kommen mir die Gedanken täglich. Bei jedem abgestorbenen Baum, an dem ich vorbeifahre, frage ich mich, wie lange die Bäume um ihn herum noch durchhalten. Bei jedem vorhergesagten Starkregen frage ich mich, ob er wohl schlimmer wird als vorherige. Jede Hitzewelle macht mich nervös. Das Gefühl von Normalität ist mir abhandengekommen – jedoch erst lange, nachdem uns die Normalität abhandengekommen ist. Einer Studie der in Klimawissenschaften renommierten ETH Zürich zufolge wird unser Wetter seit spätestens 2002 stark von der Klimakrise geprägt. Kinder, die ab 2012 geboren wurden, haben nicht einen einzigen Tag ohne den Einfluss der Erderhitzung erlebt.

Das erste Extremwetterereignis, das ich bewusst erlebt habe, war ein Starkregen in New York. Mit meiner Familie machte ich im September 2012 einen Roadtrip durch das Land. Wir starteten in San Francisco, besuchten Los Angeles und Las Vegas, fuhren zum Grand Canyon, reisten nach Chicago und Washington D.C. und wollten am Ende von New York aus zurück nach Hause fliegen. Ich war mit meinen Eltern schon in der Stadt, meine Schwester und ihr damaliger Freund waren länger im Mittleren Westen geblieben und wollten direkt nach New York kommen. Wir saßen im Hotel und warteten auf die beiden, doch es regnete in Strömen und wir hörten ewig nichts von ihnen. Irgendwann kam eine SMS: Ihr Flugzeug konnte wegen des Unwetters nicht in der Stadt landen.

 
 
 
 
 
 
 

Nach extremen Turbulenzen strandeten sie an einem Flughafen im Norden und versuchten, sich mit einem Auto durchzuschlagen. Beim Mietwagenverleih bekamen sie nur noch einen Pick-up, die meisten anderen Wagen waren schon weg. Auf dem Weg nach New York regnete es weiterhin so stark, dass die Ladefläche die ganze Fahrt über wie ein Pool aussah – und das Auto entsprechend unsicher auf der Straße lag. Als die beiden endlich am Hotel eintrafen, begrüßten und umarmten wir sie draußen auf dem Bürgersteig. Es hörte langsam auf zu regnen, aber die Straßen standen noch unter Wasser.

Was ich damals nicht wusste: Extreme Regenfälle sind in den meisten Gegenden der Welt durch den menschengemachten Klimawandel häufiger und intensiver geworden. Mit jedem zusätzlichen Grad Lufttemperatur kann die Atmosphäre sieben Prozent mehr Wasserdampf halten. Wenn es regnet, kann also auch mehr Wasser vom Himmel kommen. Weitere menschliche Eingriffe in die Natur wie Bodenversiegelung tragen dazu bei, dass es zu immer stärkeren Überflutungen kommt.

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Ich bleibe im Sommer weitgehend zu Hause

Jahrelang erzählte ich die Geschichte aus New York als Party-Anekdote; erst Jahre später begriff ich, wie gefährlich die Situation war. Dass es sich nicht um eine abenteuerliche und am Ende unterhaltsame Ausnahmesituation handelte, sondern um einen Vorgeschmack auf die Risiken und Gefahren, die mich den Rest meines Lebens begleiten werden.

Wir sind nicht vorbereitet auf das, was auf uns zukommt, dabei sind die Gefahren bekannt. Vor Kurzem habe ich alle möglichen deutschen Warn-Apps installiert, aber ich muss zugeben: Ich weiß bis heute nicht, wie ich mich verhalten sollte, wenn ich mit dem Auto in einen Starkregen komme. Man soll nicht über überspülte Straßen fahren, habe ich gelernt, als Anfang Juni eine Frau in Bayern mit dem Auto von einer überfluteten Straße rutschte und starb. Aber was, wenn ich keine Wahl habe, wie damals auf Sizilien?

Wenn ich verreise, fühle ich mich diesen Gefahren noch stärker ausgeliefert. Nicht nur, weil etwa die Hitze, wie aktuell im Süden Europas, stärker ist. Sondern auch weil ich die Sprache nicht spreche, die Gegend nicht kenne, oft nicht einmal die Notrufnummer. Also bleibe ich in der Jahreszeit, in der die Risiken besonders hoch sind, weitgehend zu Hause. Doch mir ist klar: Wenn die Erderhitzung nicht gestoppt wird, wird mich das langfristig nicht schützen.

Verwendete Quellen
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