Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Überall Mikro-Kunststoff Diese Industrie treibt die Plastikflut
Klimaschutz und der Kampf gegen die Plastikschwemme haben viele Parallelen, eine davon: Sie haben die gleichen Gegner.
Sie sind winzig klein und überall – auch in unserem Körper: Plastikteilchen, nur wenige Nanometer groß. Wie sich Mikroplastik im Blut, Darm oder Gehirn auf die Gesundheit von Menschen auswirkt, lässt sich nur schwer untersuchen. Denn es ist kaum möglich, Vergleichsgruppen mit Menschen zusammenzustellen, die keine Kleinstpartikel von Plastik in ihrem Körper mit sich tragen. Eine Forschungsgruppe aus Kanada hat Anfang des Jahres nachgewiesen, woran das liegt: Mikroplastik findet sich längst nicht mehr nur in Fischen, Muscheln oder anderen potenziellen Nahrungsquellen aus dem Meer.
Die Forschenden haben unterschiedliche Proteinquellen auch außerhalb des Meeres untersucht und Mikroplastik in fast 90 Prozent der Proben gefunden, selbst in pflanzlichen Fleischalternativen. Sogar in Mineralwasser wurden hohe Konzentrationen der Nanopartikel nachgewiesen, und in der Luft, die wir in Städten atmen.
In Busan, Südkorea, verhandelten diese Woche 175 Länder über ein rechtlich verbindliches internationales Abkommen, das die weltweite Plastikverschmutzung beenden soll. Es ist die fünfte und letzte Verhandlungsrunde eines Prozesses, der 2022 gestartet ist. Dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) zufolge wäre ein erfolgreicher Vertrag angesichts des Ausmaßes der Plastikkrise das bedeutendste multilaterale Umweltabkommen seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015.
Die Klima- und die Plastikkrise haben diverse Parallelen. Beide werden bisher nicht ansatzweise ernsthaft bekämpft – und gegen die Maßnahmen stemmen sich zum Teil die gleichen Gegner: Ölstaaten und -konzerne.
Zur Person
Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.
Die Petrochemie wird immer mehr zum größten Treiber der weltweiten Ölnachfrage. Das hatte die Internationale Energieagentur (IEA) schon 2018 vorausgesagt. Sie prognostizierte damals, dass die Branche bis 2050 für fast die Hälfte des Wachstums der Ölnachfrage verantwortlich sein werde. Die Produktion von Kleidung, Reifen, Wasch- und Düngemitteln, sowie diverse andere Kunststoffe und Produkte, dafür ist die Petrochemie essenziell wichtig. Umwelt- und Klimaschutzorganisationen bezeichnen die Plastikproduktion als den "Plan B der Fossil-Industrie", angesichts dessen, dass die Energieversorgung zunehmend auf erneuerbare Energien umgestellt wird.
Bundesumweltministerin betont Wichtigkeit
Warum Plastikverschmutzung so gefährlich ist, was das Umweltproblem mit der Erderhitzung zu tun hat, und welche Fortschritte es in den vergangenen Jahren gab, habe ich vor ein paar Monaten hier schon einmal ausführlich beschrieben. In den aktuellen Verhandlungen sehen viele Beteiligte eine Chance für einen internationalen Durchbruch, den es dringend braucht. Unter der Leitung von Ruanda und Norwegen haben sich 68 Länder zu einer "High Ambition Coalition" zusammengeschlossen, um die Plastikverschmutzung bis 2040 zu beenden, darunter auch Deutschland.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke betonte im Vorfeld der Verhandlungen die Bedeutung der Konferenz, dämpfte aber angesichts dessen, wo überall Plastik drinsteckt, die Erwartungen. Man könne nicht alles verbieten und nicht alles recyceln, sondern brauche für alle Produktgruppen passende Lösungen. Diese zu verhandeln, werde auf jeden Fall noch länger dauern.
Strenge und verbindliche Ziele gefordert
Gerade für Verpackungen brauche es mehr wiederverwendbare Lösungen, weniger Materialverbrauch bei den einzelnen Produkten und vor allem weniger Zusatzstoffe, damit es überhaupt möglich wird, so viele Kunststoffe wie möglich zu recyceln, sagte Lemke. Als Beispiel nannte sie im Interview bei Phoenix, dass etwa Ketchup-Flaschen aus Plastik nur aus Marketingzwecken rot eingefärbt seien. Nötig sei das nicht, erschwere das Recycling aber enorm. Ob ein Kunststoff wiederverwertbar ist, hängt unter anderem von der Art des Kunststoffs und seiner Reinheit ab.
Exit Plastik, ein Verbund deutscher zivilgesellschaftlicher Gruppen und Umweltschutzorganisationen, fordert unter anderem strenge und verbindliche Ziele, um die Plastikproduktion zu reduzieren und ein Ende gefährlicher Chemikalien in Plastik. Um dies umzusetzen, brauche es eine bessere Transparenz für Inhaltsstoffe und verpflichtende nationale Aktionspläne für die Umsetzung des Abkommens, also etwa Reduktionsziele, Wiederverwendungs- und Recyclingquoten, Berichtspflichten und Compliance-Mechanismen.
Plastikindustrievertreter beeinflussen öffentlichen Diskurs
Einige Länder jedoch wollen offensichtlich gar keine Einigung. Erdölproduzenten wie der Iran, Russland und Saudi-Arabien stemmen sich dagegen, die Produktion von Kunststoffen zu kappen und plädieren für verstärktes Recycling, um den Markt für fossile Rohstoffe zu erhalten. Die Kunststoffproduktion wurde in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut, vor allem in China. Die ohnehin unzureichenden Recyclingsysteme vieler Länder können mit der explosionsartigen Zunahme der Produktion nicht mithalten. Es ging bei den Verhandlungen in Busan also nicht einfach nur darum, Müll und Verschmutzung zu vermeiden. Es ging auch um die Zukunft fossiler Rohstoffe wie Gas und Öl.
- Hören Sie hier eine Podcastfolge mit Klimajournalistin Sara Schurmann:
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Wie eine aktuelle Recherche der "New York Times" zeigt, gehen die Vertreter der Plastikindustrie dabei ähnlich vor wie die Tabak- und Fossil-Lobby, um den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen und Maßnahmen zu verzögern. Geleakte Dokumente des Plastikindustrieverbands National Association for PET Container Resources (Napcor) zeigen, dass einige der weltweit größten Petrochemie- und Kunststoffunternehmen Influencer auf TikTok bezahlten und den US-Schauspieler Dennis Quaid für ein vermeintliches Aufklärungsprogramm über die Vorzüge von Plastik anwarben. Außerdem machten sie in sozialen Netzwerken Stimmung gegen das Verbot von Einwegplastik bei den Olympischen Spielen in Paris. Die Kampagne sollte der "Anti-Plastik-Stimmung" Einhalt gebieten und vor allem junge Menschen ansprechen, die sich um die Umwelt sorgen.
Die Hauptquelle für Plastikmüll
Den Unterlagen zufolge bemühte sich der Verband, seine Verbindung zur Kampagne bewusst zu verschleiern, die Inhalte der bezahlten Auftragnehmer sollten "authentisch" wirken. Die Botschaften der Kampagne seien bisweilen irreführend gewesen, berichtet die "New York Times". Eine bezahlte Influencerin, die auf TikTok über das Leben ihrer Familie in einem Wohnmobil berichtete, behauptete etwa, dass PET-Flaschen Teil eines "geschlossenen Kreislaufs ohne Abfall" seien.
PET steht für Polyethylenterephthalat, aus dem Material werden vor allem dünne, "zerknitterbare" Plastikflaschen hergestellt. Obwohl es recycelbar ist, ist es eine Hauptquelle für Plastikmüll und Mikroplastik. Dem Napcor-Jahresbericht zufolge wurden 2022 in den Vereinigten Staaten weniger als 30 Prozent der PET-Plastikflaschen recycelt. Der Anteil habe sich in den vergangenen 10 Jahren kaum verändert.
In Deutschland liegt die Quote deutlich höher, auch dank des Pfandsystems: 2023 wurden hierzulande 97,6 Prozent der PET-Flaschen recycelt, so viele wie noch nie zuvor. Deutschland ist damit führend in der Welt. Gut für die Umwelt sind die Produkte damit noch lange nicht. Dem Umweltbundesamt zufolge sind Mehrwegflaschen – oder Leitungswasser – dennoch umweltfreundlicher und Einwegflaschen vorzuziehen.
Parallelen zwischen Plastik- und Klimakrise
Die Napcor-Kampagne gibt es seit 2018 und der Verband scheint sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Die neueste Runde an Veröffentlichungen im Sommer 2024 habe die eigenen Erwartungen übertroffen, heißt es in den geleakten Dokumenten. Die Beiträge seien 12,2 Millionen Mal aufgerufen worden und damit doppelt so oft wie erhofft. Eine anschließende Umfrage soll gezeigt haben, dass die Kampagne dazu führte, dass die Kunststoffindustrie in der Öffentlichkeit signifikant positiver wahrgenommen wird.
Und das ist nicht ganz unwesentlich, denn auch hier zeigen sich Parallelen zwischen Plastik- und Klimakrise: Die Produkte der Ölindustrie machen unser Leben leichter. Aus dem Alltag wegzudenken sind Plastikverpackungen, Düngemittel und synthetische Kleidung aktuell genauso wenig wie Kohlestrom, Gasheizungen und Benzin es lange waren. Gleichzeitig sind die Effekte, die die Verschmutzung mit Mikroplastik möglicherweise auf unsere Gesundheit hat, für den Einzelnen erst einmal nicht zu spüren.
Ich habe schon viele Freundinnen und Freunde darüber philosophieren und daran verzweifeln sehen, ob denn nun eine Bio-Gurke mit Plastikhülle oder eine konventionelle ohne Folienüberzug besser sei. Ob sie lieber eine Plastik- oder Papiertüte nehmen sollten und eine leichtere Einwegverpackung aus Plastik oder die schwere Mehrwegverpackung aus Glas.
Andere reagieren vielleicht auch nur genervt
Die Antworten fallen unterschiedlich aus, je nachdem wie weit die Produkte gereist sind oder wie oft sie wiederverwendet werden und worauf man achtet: Müllvermeidung oder CO2-Austoß. Die Faktenlage ist komplex genug. Kommen dann noch Verwirrungs- und Verzögerungstaktiken der Plastikindustrie hinzu, weisen nicht viele die ihnen übertragene, individualisierte Verantwortung von sich und kapitulieren. Verständlicherweise. Genau deswegen braucht es echte, politische Lösungen.
Doch bereits Deckel, die an Plastikflaschen und Milchkartons hängen bleiben, und Pommes, die an der Imbissbude mit einer Holzgabel serviert werden, sorgen bei einigen für Widerstand. Heißt das, dass viele Menschen nur dann für eine Reduktion von Plastik sind, solange es ihr Leben nicht betrifft? Auf einige mag das zutreffen. Andere reagieren vielleicht auch nur genervt auf unbequeme Scheinlösungen, bei denen Einwegprodukte vermeintlich oder nur graduell verbessert werden. Anstatt sie direkt durch Produkte zu ersetzen, die regelmäßig wiederverwendet werden.
- sciencedirect.com: "Variability of aerosol particle concentrations from tyre and brake wear emissions in an urban area" (englisch)
- ardmediathek.de: "UN-Konferenz gegen Plastikmüll beginnt"
- exit-plastik.de: "STECKBRIEFPLASTIK: Globales Plastikabkommen"
- nytimes.com: "Inside the Plastic Industry’s Battle to Win Over Hearts and Minds" (englisch)
- umweltbundesamt.de: "Mehrwegflaschen sind umweltfreundlicher als Einwegvarianten"
- umweltbundesamt.de: "Pressedossier Verpackungen und Verpackungsabfälle"
- umweltbundesamt.de: "Verpackungsabfälle"
- umweltrat.de: "Stellungnahme zum Entwurf der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS)"
- oceanconservancy.org: "It’s Not Just Seafood: New Study Finds Microplastics in Nearly 90% of Proteins Sampled, Including Plant-Based Meat Alternatives" (englisch)
- iea.org: "China’s petrochemical surge is driving global oil demand growth" (englisch)
- iea.org: "The Future of Petrochemicals" (englisch)