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Fußball-WM 2030: Turnier "blendet die Realität aus"


Experte zu Umwelt-Schäden
WM 2030 löscht Lebensgrundlagen aus

  • Dorothea Meadows
Von Dorothea Meadows

Aktualisiert am 05.10.2023Lesedauer: 3 Min.
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Fans der deutschen Nationalmannschaft schwenken im Fußballstadion die Flagge: Werden Sie 2030 überhaupt die Flugtickets bezahlen können? (Quelle: Tom Weller/dpa/dpa-bilder)

Mehr als drei Millionen Tonnen Kohlendioxid wurden für die WM 2022 in Katar in die Atmosphäre geblasen. Wie schlimm wird dann erst die WM 2030?

Die Auswirkungen der Klimakatastrophe bekommen wir immer heftiger zu spüren. Rekordhitze im Sommer, Winter ohne Schnee, ausgetrocknete Gewässer. Dass CO2-Emissionen dafür verantwortlich sind, ist wissenschaftlich belegt. Die Entscheidung der Fifa, die Fußball-Weltmeisterschaft 2030 in sechs Ländern und auf drei Kontinenten spielen zu lassen, überrascht vor diesem Hintergrund umso mehr.

Wird diese WM eine weitere Umweltsünde? t-online hat darüber mit Stefan Gössling gesprochen. Er ist Professor für Tourismus an der Linné-Universität in Schweden und gilt als Experte für das Zusammenspiel von Tourismus, Flugreisen und Klimawandel.

"Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage"

"Hier wurde eine Entscheidung getroffen, die die Realität des Klimawandels ausblendet. Es gibt eine Verantwortlichkeit, Emissionen zu reduzieren. Die WM in drei Kontinenten zu organisieren, wird aber die Emissionen dieser Veranstaltung deutlich erhöhen. Fifa-Funktionäre scheinen Umweltaspekten keinerlei Bedeutung beizumessen", kritisiert Gössling den Weltfußballverband. "Verkauft wird die WM unter dem Label des Zusammenwachsens der Völker, aber es wird ausgeblendet, dass immer mehr Menschen durch den Klimawandel ihre Lebensgrundlage verlieren."

Wie das? Allein das CO2, das durch die Flugreisen produziert wird, ist gigantisch. 48 Mannschaften und Abertausende Fans werden sich mit dem Flugzeug in Bewegung setzen – Spieler und Funktionäre natürlich nicht in der Economy-Klasse, sondern der emissionsintensiven Premiumklasse. Zwar werden Spanien, Portugal und Marokko Gastgeber für den Großteil der Spiele sein, drei Partien werden zudem aber in Uruguay, Argentinien und Paraguay ausgetragen.

Sind die Emissionen höher, wenn ich in der Business oder First Class fliege?

Der CO2-Ausstoss, der in der Premium-Klasse verursacht wird, ist nach Angaben der Internationalen Zivilluftfahrt Organisation (ICAO) doppelt so hoch wie in der Economy-Klasse. Grund: Sitze der Premium-Klasse sind schwerer und benötigen mehr Platz als Sitze der Economy-Klasse.

"Festspiele der Reichen auf Kosten der Armen"

Was den CO2-Fußabdruck betrifft, wird sich die WM 2030 wohl nahtlos in die Liste der Umweltsünden der Fifa einreihen. Die WM 2014 in Brasilien produzierte 2,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die WM in Russland 2018 etwa 2,1 Millionen, Katar im Winter 2022 sogar mehr als drei Millionen Tonnen. Alles trotz des Wissens um die Klimaerwärmung und dass dadurch Lebensgrundlagen zerstört werden.

"Denn anders als in den Industrienationen leben viele Millionen Menschen auf der Welt direkt vom Ökosystem und sind davon abhängig", erklärt Gössling. Allein vom Meer, seinen Korallenriffen und Mangrovenwäldern leben Hunderte Millionen von Menschen. Gössling: "Korallenriffe sind durch die steigenden Oberflächentemperaturen des Meeres gefährdet, es wird in 75 Jahren keine Riffe mehr geben."

Stefan Gössling (*1970) ist Professor für Tourismus an der Linné-Universität in Schweden. Zu seinen Fachgebieten gehört der nachhaltige Tourismus sowie der Einfluss des Klimawandels auf den Tourismus und die Auswirkungen der Luftfahrt auf die Umwelt. Nach seinem Studium der Geografie und Biologie in Deutschland promovierte er in Schweden, später arbeitete er am Forschungszentrum für nachhaltigen Tourismus in Norwegen, bevor er schließlich 2009 die Professur in Schweden annahm.

Preise für Flugtickets werden sich verdoppeln

Gössling glaubt auch, dass sich bis 2030 noch viel verändern wird. In den Wahrnehmungen der Menschen und in den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Ein Beispiel sind die Flugpreise. "Sollten dann pro Tonne CO2 mehrere Hundert Euro Steuern fällig werden, würden sich die Flugpreise verdoppeln", so Gössling. Dann kann es sich der normale Fan womöglich nicht mehr leisten, seine Mannschaft von Europa nach Südamerika zu begleiten. Gössling: "Mit zunehmenden Klimaextremen werden sich auch Einstellungen ändern. Möglicherweise sieht man dann die WM als eine Form von Festspielen der Reichen auf Kosten der Armen."

Der Wissenschaftler stellt auch gleich klar, dass es bis zur WM 2030 keine umweltfreundlichen Alternativen zu Kerosin als Treibstoff für Flugzeuge geben wird. Gössling: "Da werden wir zurzeit von der Industrie in die Irre geführt. Bis 2030 wird der Beitrag des Flugverkehrs zum Klimawandel weiter zunehmen."

So könnte eine nachhaltigere WM aussehen

Aber wäre unsere weltweite Leidenschaft für den Fußball dann überhaupt in einem Turnier umsetzbar? "Würde man vernünftig planen, würde man die WM an einem zentralen Ort stattfinden lassen, der möglichst wenig Emissionen durch die Anreise der Teams und Fans verursacht", erklärt Gössling. Das hieße vermutlich innerhalb Europas. Hier könnten auch viele Fans und Teams mit der Bahn oder dem Bus anreisen. Wer fliegen muss, tut dies in der Economy-Klasse. "Infrastruktur und Stadien wären schon vorhanden", so Gössling.

"Die Realität ist allerdings, dass selbst Bundesliga-Mannschaften innerhalb Deutschlands mit dem Flieger unterwegs sind", sagt Gössling. Das Milliardengeschäft Fußball nachhaltig machen – eine Herausforderung, der sich offenbar niemand wirklich stellen will.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Prof. Stefan Gössling
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